Am Ende war Richard Freitag vor allem ehrlich sich selbst gegenüber: Der kultige Schnurrbart war längst weg, die Form schon viel länger, „und wenn man sich dann nicht mal mehr für den zweitklassigen Continental Cup qualifiziert“, sagte der vielleicht begabteste deutsche Skispringer der vergangenen 20 Jahre am Samstag im Oberstdorf, „fragt man sich als Weltklassemann, der man war, ob man hier noch richtig ist.“
Abschied eines Unvollendeten
Der „Ritsch“ hat die Antwort gefunden: Nach 13 Weltcup-Wintern beendet der zweimalige Weltmeister seine Karriere. „Ich habe nicht gedacht, dass es am Ende so schnell geht“, sagte er.
Freitag ging so unaufgeregt, wie es dem introvertierten Sachsen entsprach. Keine Handvoll deutscher Journalisten lauschte der kleinen Pressekonferenz des 30-Jährigen vor dem Skiflug-Weltcup auf der Heini-Klopfer-Schanze.
Freitag entschied sich gegen einen Abschiedssprung
Dort hatte er 2013 als bislang letzter Deutscher gewonnen, war 2018 WM-Dritter geworden. Nun verzichtete Freitag auf den angebotenen Abschiedsstart, „weil es sehr schwer für mich geworden wäre, noch einmal schön zu fliegen“. Kein Groll: „Ich habe nichts nachzuholen, habe den Sport sehr schön erlebt.“
Acht Weltcup-Siege feierte Freitag, zuerst 2011 in Harrachov, wo 28 Jahre zuvor Vater Holger gewonnen hatte. Sieben WM-Medaillen holte er, dazu Team-Olympiasilber, feierte 2015 in Innsbruck den ersten deutschen Tagessieg bei der Vierschanzentournee nach quälenden 13 Jahren.
Gemeinsam mit Severin Freund hielt er das deutsche Skispringen am Leben, als die Schmitt-Hannawald-Generation nicht mehr und die Geiger-Eisenbichler-Generation noch nicht lieferte.
Pechvogel bei großen Sportereignissen
Und doch wirkt Freitag, von dessen Flugkünsten Ex-Bundestrainer Werner Schuster so schwärmte, wie ein Unvollendeter. Der große Einzeltitel, für den er zweifelsohne das Potenzial hatte, fehlt. Beim Olympia-Teamgold „seiner“ Generation 2014 in Sotschi musste ausgerechnet er zusehen.
Und als Freitag 2017/18 in der Form seines Lebens sprang, stürzte er als Favorit bei der Vierschanzentournee in Innsbruck schwer. Auch wenn er danach noch Teamweltmeister 2019 wurde - richtig erholt davon hat er sich nie.
„Die letzten zweieinhalb Jahre waren sehr, sehr schwer“, sagte Freitag. Zeitweise tingelte er durch den drittklassigen FIS-Cup, Rücktrittsgedanken reiften, wurden konkret: Brotterode/Harz, Mitte Februar, Platz 27 und 31. „Danach hatte ich erstmals keine Ideen mehr“, sagte Freitag: „Ich bin heimgefahren und dachte, okay, es ist gut. Es ist Zeit für etwas Neues.“ Und zwar? „Das kann ich noch nicht sagen. Aber mir geht es wirklich gut.“