Viel trennte die beiden Schwestern Christine und Marielle Goitschel nie. Schon seit ihrer Geburt war das so. Christine, die ältere der beiden, kam am 9. Juni 1944 zur Welt, Marielle etwas mehr als ein Jahr später, am 28. September 1945. An dieser Nähe sollte sich auch in ihrem Sportlerleben nichts ändern.
Ein bis heute einzigartiger Coup
Sie erreichten Außergewöhnliches - vor allem ihre historischen Triumph-Tage Olympia 1964 in Innsbruck, die sie heute vor 61 Jahren gemeinsam krönten.
Goitschel-Schwestern holen Olympiasieg
Die jungen Goitschel-Schwestern waren begnadete Allround-Skifahrerinnen, die Anfang der 60er Jahre in die französische Alpin-Mannschaft aufgenommen wurden und bald zu Stars auf der internationalen Bühne avancierten. Ob Slalom, Riesenslalom oder Abfahrt - in allen drei Disziplinen waren sie mehr als konkurrenzfähig.
So ließen die ersten Erfolge nicht lange auf sich warten: Christine gewann 1962 den nationalen Titel im Slalom. Ihre jüngere Schwester Marielle holte im selben Jahr bei den Weltmeisterschaften in Chamonix Silber im Slalom und Gold in der Kombination. Erstaunlich war damals vor allem ihr zartes Alter. Christine war gerade erst 17 Jahre alt, Marielle sogar erst 16. Ihre unvergesslichen Leistungen zwei Jahre später deuteten sich deswegen schon an.
In Innsbruck ließ sie es dann richtig krachen: Marielle eröffnete am 1. Februar 1964 den olympischen Slalom und legte als 18-Jährige einen explosiven Lauf hin. Nach 43,09 Sekunden blieb die Uhr stehen. Eine Zeit, die unerreicht bleiben sollte. Ihre Schwester Christine kam mit 76 Hundertstel Rückstand als 14. ins Ziel. Doch im zweiten Durchgang schickte sich Christine an, das Klassement komplett auf den Kopf zu stellen.
Sie legte einen Traumlauf hin und umrundete die 56 Tore satte 1,67 Sekunden schneller als Marielle. So gewann die überragende Christine am Ende tatsächlich noch Gold - es war der erste Schwestern-Doppelsieg in der Geschichte der Winterspiele überhaupt. Als Christine ganz oben auf dem Podest stand, klatschte Marielle gerührt Beifall. Fertig waren die beiden allerdings nicht.
„Die schönsten zwei, drei Minuten unseres Lebens“
Denn lediglich zwei Tage später, am 3. Februar 1964 revanchierte sich Marielle und siegte im Riesenslalom vor ihrer großen Schwester. 0,87 Sekunden lag sie diesmal vor Christine, die wie die zeitgleiche Amerikanerin Jean Saubert mit Silber dekoriert wurde. Ein historischer Moment. Immerhin war der erneute Doppelsieg der Goitschels eine Leistung, die in der langen Geschichte der Winterspiele einzigartig ist.
Geschwister-Doppelsiege in Gold und Silber sind bei Winterspielen an sich kein Novum. Jennison und John Heaton aus den USA schafften es 1928 in St. Moritz im Skeleton, die US-Amerikaner Phil und Steve Mahre 1984 in Sarajevo im Slalom, die Österreicherinnen Doris und Angelika Neuner 1992 in Albertville im Rodel-Einzel der Damen. Später legten Philipp und Simon Schoch aus der Schweiz im Riesen-Parallel-Snowboard in Turin 2006 und Justine und Chloé Dufour-Lapointe aus Kanada in der Buckelpiste in Sotschi 2014 nach.
Aber zwei Geschwister-Doppelsiege in Folge? Das gab es nie. „Als Christine den Slalom gewann und ich Zweite wurde. Selbst als ich den Riesen gewann, war ich nicht so aufgeregt“, antwortete Christine auf die Frage nach dem Highlight ihrer Olympischen Spiele. „Es war einzigartig! Es war das erste Mal! Es waren die schönsten zwei, drei Minuten unseres Lebens. Danach gehört es einem nicht mehr.“ Bei ihrer Rückkehr in die Heimat nach Val-d‘Isère wurden sie von einer begeisterten Menge empfangen.
Wie Marielle die Journalisten austrickste
In den 60er Jahren waren die Goitschels weiterhin erfolgreich und bestimmten die Richtung in einer französischen Mannschaft, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit befand. Allen voran Marielle, die zur erfolgreichsten alpinen Skiläuferin ihres Landes aller Zeiten wurde. Bei den Weltmeisterschaften 1966 in Portillo (Chile) gewann sie Gold im Riesenslalom, in der Kombination und in der Abfahrt. Doch nicht nur auf der Piste, auch abseits der Piste sorgte sie für Trubel.
Große Aufregung gab es 1964 auch, als Marielle ihre bevorstehende Hochzeit mit Jean-Claude Killy bekannt gab, einem ehemaligen französischen Skirennfahrer, der Ende der 1960er Jahre die Herren dominierte und drei olympische Goldmedaillen sowie sechs Weltmeistertitel vorzuweisen hat. Es war allerdings nur ein Scherz, den sie sich mit ihrer Schwester ausgedacht hatte, um die Journalisten zu veräppeln.
Dennoch blieben die Schlagzeilen in aller Regel positiv. Die Sportzeitung L‘Équipe wählte Marielle noch im selben Jahr als erste Frau zur französischen Sportlerin des Jahres, und die Internationalen Vereinigung der Ski-Journalisten (AIJS) verlieh ihr gemeinsam mit ihrer Schwester den Skieur d‘Or. Vier Jahre später, 1968, beendeten die beiden Goitschels ihre erfolgreiche Karriere.