In ihrer Heimat war sie in etwa das, was Rosi Mittermaier für den deutschen Wintersport war. Oder, noch weiter gefasst: das, was Steffi Graf für den deutschen Sport insgesamt bedeutete.
Ikone wird 60: „Sie war einzigartig“
Im Corona-Jahr 2020 bestätigte sich die Einschätzung, als die Zeitung Blick aufgrund der Beeinträchtigungen die „Sportler des Jahres“-Wahl ausfallen ließ und stattdessen dazu aufrief, für die größten Schweizer Sportler abzustimmen. Sieger bei den Männern: Roger Federer, klar. Siegerin bei den Frauen: Vreni Schneider.
Die erfolgreichste Weltcup-Fahrerin der Schweizer Alpin-Geschichte wird heute 60 Jahre alt - und kann auf eine beeindruckende Rekordkarriere zurückblicken.
Vreni Schneider: Nur drei Stars waren noch erfolgreicher
Schneider war mit 55 Weltcupsiegen lange die Nummer 2 im ewigen Weltcup-Ranking hinter Österreich-Ikone Annemarie Moser-Pröll. Noch heute ist sie die Nummer 4 hinter Mikaela Shiffrin (aktuell 99), Lindsey Vonn (82) und eben Moser-Pröll (62).
Hinzu kamen drei Olympiasiege (Slalom und Riesenslalom in Calgary 1988, Slalom in Lillehammer 1994), drei WM-Titel, drei Gesamtweltcupsiege und insgesamt elf kleine Kristallkugeln in ihren beiden Spezialdisziplinen. Podestplätze errang Schneider im Lauf ihrer Karriere in allen Sparten, 30 Jahre lang unübertroffen war auch ihre Fabelsaison 1988/89 mit insgesamt 14 Siegen - ehe Shiffrin den Rekord 2019 überbot.
Das Skirennfahren hatte Schneider schon mit vier Jahren erlernt und sich früh als großes Talent hervorgetan. Nach ihrem Weltcup-Debüt Ende 1983 reifte sie im Windschatten der Schweizer Rekordweltmeisterin Erika Hess zur Weltklasse-Fahrerin, die sie bis zu ihrem Karriere-Ende 1995 blieb: Nach ihrem Rekordwinter 1988/89 beendete sie auch ihre letzten beiden Saisons mit der großen Kristallkugel - erst als Schneider abtrat, war der Weg für die Weltcup-Krönung der damals besten Deutschen Katja Seizinger frei.
Schneiders große Stärke war die technische Präzision: „Richtig schnell ließ ihr unspektakulärer, aber millimetergenauer Stil Schneider nie aussehen. Das täuschte“, umschrieb der Spiegel einmal, was die Ausnahmefahrerin ausmachte. Gefürchtet waren auch Schneiders zweite Durchgänge: Unvergessen ist, wie sie 1994 in der Sierra Nevada mit 1,93 Sekunden Rückstand in den zweiten Lauf ging - und am Ende Platz 1 belegte, mit 1,36 Sekunden Vorsprung.
„Einzigartig als Sportlerin und als Mensch“
Ein schillernder Star wie Shiffrin oder früher Vonn war die Ausnahmefahrerin der späten Achtziger und frühen Neunziger dabei nie: Die bescheidenen Verhältnisse, denen sie entstammte, haben sich in ihrer Persönlichkeit immer widergespiegelt.
Schneider - eigentlich: Verena Schneider - wurde am 26. November im 600-Einwohner-Dorf Elm im Kanton Glarus geboren. Die Tochter eines Schuhmachers wurde in ihrer Jugend von einem Schicksalsschlag geprägt: Ihre Mutter starb, als sie 16 war, womit sie früh Verantwortung für ihre drei jüngeren Geschwister übernehmen musste.
Ihr Sinn fürs Familiäre wurde später auch in der Ski-Szene geschätzt, auch von der Konkurrenz: „Vreni war immer freundlich, gesprächsfreudig und bescheiden“, erinnert sich die deutsche Ex-Weltmeisterin Martina Ertl im Tagesanzeiger. „Vreni war einzigartig, als Sportlerin, aber auch als Mensch“, ergänzt Ex-Bundestrainer Jan Tischhauer: „Dass sie bei all den Erfolgen derart bescheiden und ohne Starallüren blieb, war unglaublich.“
In ihrer kleinen Heimatgemeinde blieb Schneider immer verwurzelt und gründete dort auch ihre eigene Familie mit ihrem Mann - mit dem sie eine Skischule betreibt - und ihren zwei Söhnen. Eine andere Leidenschaft offenbarte sie 2012 mit der Aufnahme eines Volksmusik-Albums.
In den Schweizer Medien gibt es rund um Schneiders Ehrentag viele Würdigungen und Huldigungen, Schneider selbst macht keine große Sache um das Jubiläum: „Ich werde diesen Tag nicht feiern“, verriet sie dem SRF, die großen Feiern und Empfänge während ihrer Karriere hätten ihr genügt. Sie verbringe den Tag auf der Skipiste.