Es war ein würdevoller Abschied für Thomas Dreßen: Deutschlands kürzlich noch besten Abfahrer wurde nach seinem letzten Rennen auf der legendären Streif in Kitzbühel von seinen Teamkollegen und Konkurrenten gefeiert, als gäbe es kein Morgen.
Streif-Held Dreßen schlägt Alarm
Das war Ende Januar, und seither ist der 30-Jährige, der an genau jenem Ort 2018 mit dem Triumph bei der Hahnenkamm-Abfahrt seinen absoluten Durchbruch in die Weltspitze des Ski alpin feierte, Wintersport-Rentner und Privatier.
Ein „Nachgurken“ im Weltcup sei nicht sein Anspruch, sagte Dreßen beim Schlusspunkt unter eine eindrucksvolle Karriere mit fünf Weltcup-Siegen sowie zehn Weltcup-Podestplätzen.
Streif-Ikone Dreßen: So geht es mir im Ruhestand
Und „natürlich gibt es auch ein Leben danach“, schließlich wolle er ja „mit meinen Kindern Sport treiben und sie aktiv erziehen“.
Dass der Rückzug, Konsequenz auf und Tribut für den dem hohen Anspruche nicht mehr genügenden Körper, aber keineswegs so leicht fällt, ließ Dreßen bei SPORT1 durchblicken. Der gebürtige Garmisch-Partenkirchener verriet dabei auch, welche Pläne er hat und was ihn mit Blick auf den alpinen Ski-Zirkus umtreibt und ärgert umtreibt.
SPORT1: Herr Dreßen, haben Sie sich schon angefreundet mit dem Alltag als Ski-Rentner?
Thomas Dreßen: Mehr oder weniger. Es ist ungewohnt aufzustehen und keinen festen Plan zu haben mit Training und Aufgaben. Ich kann bewusst in den Tag hineinleben, auch wenn die Tochter den Zeitplan vorgibt. Aber ich genieße das im Moment.
SPORT1: Also kein Vermissen des Rennzirkus?
Dreßen: Überhaupt nicht, aber ich vermisse die Leute und das Unterwegsein. Aber das kommt in Zukunft wieder. Ich werde nicht zum Stubenhocker, sondern es wird mich sicher wieder zu den Skipisten ziehen - in welcher Funktion auch immer. Langweilig wird mir nicht werden, aber jetzt tut ein bisschen Ruhe auch gut.
Ski? „Falls es mich juckt, stehen sie bereit“
SPORT1: Sind die Ski in Keller eingemottet oder stehen sie griffbereit falls es in den Beinen juckt?
Dreßen: Die Ski sind im Keller. Aber falls es mich juckt, was bisher nicht der Fall war, stehen sie bereit.
SPORT1: Was werden Sie am meisten vom Weltcup vermissen?
Dreßen: Den Moment am Start und die letzten 30 Sekunden im Starthaus, bevor es los geht. Da ist man komplett allein und für sich. Die Spannung, die sich da in einem aufbaut, bekommt man wahrscheinlich nirgendwo anders her. Auch das Reisen mit den Teamkollegen und den anderen Nationen wird fehlen.
SPORT1: Und was wird am wenigsten fehlen?
Dreßen: Die extremen Herausforderungen für den Körper und was dazu gehört - die Schmerzen und die Schmerzmittel, die ich nehmen musste.
„Eine zweite Gams daheim wäre schon schön“
SPORT1: Wenn Sie ein Rennen noch einmal fahren könnten - welches wäre das und warum?
Dreßen: Kitzbühel vor ein paar Jahren, als ich in Topform war. Leider hatte ich da einen schlechten Tag erwischt. Eine zweite Gams daheim wäre schon schön.
SPORT1: Wo steht die Gams des Sieges von 2018?
Dreßen: Daheim neben dem Fernseher. Weil ich so stolz auf sie bin. Da wird sie wahrscheinlich auch immer bleiben.
SPORT1: Denken Sie manchmal daran, was möglich gewesen wäre, wenn der Körper besser mitgespielt hätte?
Dreßen: Eigentlich gar nicht. Der Grund für meinen Abschied ist der Sturz 2018 in Beaver Creek. Damals habe ich einen Fahrfehler gemacht, weil ich zu viel Risiko eingegangen bin. Aber wenn ich das Risiko vorher und nachher nicht eingegangen wäre, hätte ich die ganzen Erfolge nicht gefeiert. Durch die Verletzungen habe ich aber auch viele tolle Menschen, Trainer, Ärzte und Physiotherapeuten kennengelernt, die sich mit riesengroßem Engagement um mich gekümmert haben - das bringt mir für das weitere Leben und für die Zukunft auch viel, womöglich sogar noch mehr.
SPORT1: In Kitzbühel hatten Sie Ihren größten sportlichen Erfolg, dort haben Sie nun unter großem Jubel und emotional auch aufgehört. Ein perfektes Ende, das nicht schöner hätte sein können?
Dreßen: In Wengen habe ich gemerkt, dass es nicht mehr geht. Und dann hatte ich nicht viel Zeit, weil Kitzbühel ja am nächsten Wochenende war. Für mich stellte sich die Frage: Willst du ein Abschiedsrennen? Das wollte ich. Aber dann war die Frage nach dem Wo? Machst du noch mal Pause und fährst außer Konkurrenz beim Weltcup-Finale? Aber schnell war klar, wir machen es in Kitzbühel. Das ist für mich immer das wichtigste Rennen gewesen, und ich bin heilfroh, dass das alles so geklappt hat.
„Dann war mir klar, dass Aufhören der richtige Weg ist“
SPORT1: War das eine Entscheidung, die spontan am Frühstückstisch gefällt wurde?
Dreßen: Nein, das habe ich allein entschieden. Ich bin am Samstag aus Wengen heimgefahren, am Sonntagabend hat meine Frau unsere Tochter ins Bett gebracht und währenddessen habe ich das allein für mich entschieden. Ich habe es aber niemanden erzählt, sondern erst abgewartet, was die Ärzte am nächsten Tag sagen. Dann war mir aber klar, dass Aufhören der richtige Weg ist. (Ski Alpin: News, Gesamtstände, Ergebnisse, Liveticker)
SPORT1: Haben Sie Sorge um den Nachwuchs, wenn Sie an die Zukunft des Skisports denken?
Dreßen: Es wird sicher nicht leichter, die Kinder und Eltern zu begeistern. Letztere müssen das ja finanzieren, und das wird nicht einfacher durch die ganzen steigenden Preise. Aber man muss auch die Seilbahnbetreiber verstehen - es kostet alles mehr. Es bleibt zu hoffen, dass es weiter Athleten gibt, die den Sport positiv nach außen tragen und den Spaß transportieren. Die Kinder sollten Freude finden und nicht Druck von den Eltern bekommen - das war bei mir auch nie der Fall. (HINTERGRUND: Die Tragödie um Thomas Dreßens Vater)
SPORT1: Wie gefährlich ist der Klimawandel für den Skisport?
Dreßen: Der Klimawandel ist generell kritisch für den Wintersport. Er ist angewiesen auf kalte Temperaturen - anders als beispielsweise in der Formel 1, beim Fußball oder Radfahren, wo fünf Grad mehr keine Rolle spielen. Deswegen ist den Wintersportlern der Klimawandel nicht egal, sie legen sogar am meisten Augenmerk auf das Klima. (Wintersport: Alle Liveticker)
„Welcher Sport kommt schon ohne Strom aus?“
SPORT1: Dorothea Wierer, die Biathletin, hat bei SPORT1 im Interview kürzlich behauptet, Biathlon mit der IBU wäre dem SKi-Weltverband FIS Jahrzehnte in dieser Hinsicht voraus und hat den Rennkalender als Beispiel gebracht. Braucht es eine Reform?
Dreßen: Die FIS muss aufwachen, was den Rennkalender angeht. Aber in Zermatt zum Beispiel wäre ein Rennen auf dem Gletscher möglich gewesen, doch die Wettersituation hat es nicht zugelassen.
In Sölden weiß man auch, dass das Wetter zwei Wochen nach dem Rennen schwieriger wird. Dann ist das Wetter unbeständiger. Deshalb ist der Termin da so gewollt. Generell geht nichts mehr ohne Kunstschnee - aber welcher Sport kommt schon ohne Strom aus? Dann müssten sich alle Sportarten hinterfragen. Formel 1 wird auch in der Nacht unter Flutlicht gefahren, das Champions-League-Finale findet auch abends unter Flutlicht statt. Es ist nicht sinnvoll, auf andere Sportarten mit dem Finger zu zeigen und Tipps und Ratschläge zu geben. Jede Sportart sollte sich auf sich konzentrieren und überlegen, wie man den Sport voranbringen kann. Verbieten und Abschaffen ist nicht die Antwort. Ganz besonders wenn wie im Wintersport Kinder in der dunklen Jahreszeit an der frischen Luft in Bewegung gebracht werden. Wenn sie weg von den Bildschirmen Naturräume erleben, diese in der Folge schätzen und schützen. In den Vereinen gibt es ein generationenübergreifendes Miteinander und im Sport lernt man Regeln zu respektieren und auch mit Rückschlägen umzugehen.
SPORT1: In der Zukunft wird die Familie mehr Zeit bekommen. Aber auch eine Aufgabe beim Deutschen Skiverband ist denkbar, oder?
Dreßen: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich bin für alles offen, will aber meine Erfahrungen einbringen. Noch sind diese frisch und jetzt kann man die noch gebrauchen, bevor der Skisport sich weiterentwickelt. Aber auch ein Job in den Medien wäre interessant. Ich bin nicht der Typ, der zuhause sitzt und denkt: „Schee is‘, nix machen“. Ich brauche eine Aufgabe, die mich interessiert. Aber wenn es im Sport ist, wird das nicht schwer sein.