Der schwere Trainingssturz von Broderick Thompson in Beaver Creek vor zwei Woche sorgte, dass eine altbekannte Debatte im alpinen Ski-Sport wieder aufkommen. Brauchen die Fahrer einen Airbag?
Ski alpin: Diese Frage spaltet den Ski-Weltcup
Diese Frage spaltet den Ski-Weltcup
Zur Erinnerung: Der Kanadier, der zwischendurch ins Koma versetzt werden musste, hatte sich mehrere Wirbel und das Schulterblatt gebrochen. Geht es nach FIS-Renndirektor Markus Waldner, wäre der Sturz mit einem Airbag glimpflicher abgegangen. Deswegen will der Ski-Weltverband den Airbag zur neuen Saison verpflichtend für alle Fahrer einführen.
Wie der „Canadian Cowboy“, wie Broderick auch genannt wird, sprechen sich jedoch viele Speed-Fahrer gegen diese Maßnahme aus - darunter zahlreiche namhafte Akteure. Neben Thomspons Teamkollege James Crawford, seines Zeichens Super-G-Weltmeister 2023, weigern sich unter anderem Norwegens Superstar Aleksander Aamodt Kilde und der Super-G-Weltmeister 2019 Dominik Paris. „Ich habe den Airbag einmal angezogen und fühlte mich dadurch in meinen Bewegungen zu stark eingeschränkt“, erklärte der Italiener im Schweizer Blick seine Entscheidung.
Auch Beat Feuz, der bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking zu Abfahrts-Gold fuhr, verzichtete bis zu seinem Karriereende im Januar 2023 auf diese Sicherheitsmaßnahme. „Ich stand diesem System aufgrund des Sturzes meines österreichischen Kumpels Matthias Mayer 2015 in Gröden sehr skeptisch gegenüber“, positionierte er sich einmal in dieser Frage und ergänzte, „Mayer hat sich damals zwei Brustwirbel gebrochen, obwohl er den Airbag getragen hat. Und für mich gibt es nach wie vor keinen Beweis, dass diese Konstruktion wirklich vor Verletzungen schützt.“
ÖSV-Stars lehnen den Airbag geschlossen ab
Mit dieser Meinung vertritt Feuz jedoch nicht die Mehrheit. Selbst die Airbag-Verweigerer glauben grundsätzlich an eine Verbesserung der Sicherheit für die Fahrer. Vielmehr wird sich um die Aerodynamik Sorge gemacht. Daniel Hemetsberger, der wie alle seine ÖSV-Teamkollegen den Airbag ablehnt, hat ihn probiert und kommt auf Nachfrage der österreichischen Krone zu einem eindeutigen Ergebnis: „Er stört.“
Noch deutlicher wird Vincent Kriechmayr. Der Doppel-Weltmeister 2021 (Abfahrt und Super-G) sieht in dem Airbag „den richtigen Schritt“. Jedoch sei aktuell nicht die nötige Bewegungsfreiheit gegeben. Daher würde man aktuell mit der Herstellerfirma Dainese zusammenarbeiten, um dies zu verbessern. Sobald dies gegeben sei, werde er den Airbag benutzen. „Bis dorthin steht für mich als Racer der Erfolg über der Sicherheit“, meint der Routinier.
Ein Superstar, der das Argument der schlechteren Aerodynamik widerlegt, ist Marco Odermatt. Der Schweizer fährt seit drei Jahren mit dem Schutz und gewann in dieser Zeit zweimal den Gesamtweltcup. Grund dafür sei seine Freundin, wie er im Blick verriet. „Der Airbag war für mich länger kein Thema, bis mich Stella eines Abends gefragt hat, ob ich einen benutze.“ Als er mit ‚Nein‘ geantwortet habe, hatte sie nachgefragt, warum. „Das hat mich zum Nachdenken animiert. Und ich bin zur Überzeugung gekommen, dass mir dieser Airbag wirklich helfen kann“, erläutert er seine Umdenken.
Bei der Firma Dainese ist man sich der Thematik bewusst, musste man doch bei der Einführung des Airbags im Moto-GP mit denselben Vorurteilen kämpfen. „Auch dort war vor der Pflicht die Skepsis groß“, erklärte Dainese-Betreuer Alesandro Gheser und erinnerte an die Vergangenheit des Ski-Sports: „Vor einigen Jahren hätte sich niemand vorstellen können, dass man mit Helm Ski fährt. Jetzt tun es alle.“
Kurioser Vorschlag von Ex-ÖSV-Star
Geht es nach Hans Knauss, ein ehemaliger Speedspezialist und mittlerweile als TV-Experte im österreichischen Fernsehen im Einsatz, könnte der Airbag sogar in doppelter Hinsicht die Sicherheit steigern. Zum einen durch seinen Schutz bei Stürzen, zum anderen durch seine Bremswirkung.
„Der Abfahrtssport entwickelt sich seit Jahren in eine viel zu schnelle Richtung, deshalb müssen wir immer noch mehr schwere Verletzungen registrieren“, sieht der 52-Jährige eine verhängnisvolle Entwicklung. „Wenn in Zukunft alle Athleten den Airbag desselben Ausrüsters tragen, könnte man sich gemeinsam mit den Herstellern der Rennanzüge auf ein Produkt einigen, das die Luft nicht abweist, sondern aufsaugt und damit das Tempo um fünf Kilometer pro Stunde reduziert. Das würde einiges zu einer größeren Sicherheit der Athleten beitragen.“
Ob die Fahrer jedoch solch eine einbremsende Maßnahme akzeptieren werden, steht in den Sternen. Aktuell scheint bei den meisten Speedfahrern die Sicherheit noch an zweiter Stelle zu stehen. Statt Safety first, gilt hier wohl eher das Motto: Wer bremst, verliert.