Franziska Preuß, Lou Jeanmonnot, Elvira Öberg, Julia Simon - bei all diesen Athletinnen konnte man erwarten, dass sie auch in dieser Biathlon-Saison weit vorne zu finden sind. Doch ein Name sticht beim Blick auf den Gesamtweltcup heraus, mit dem vor der Saison wohl keiner gerechnet hatte: Suvi Minkkinen.
Die Überraschung der Biathlon-Saison
Bis zum Weltcup-Wochenende in Antholz lag die Finnin dort sogar sensationell auf Platz vier. Nach ihrem einzig richtig schwachen Rennen in dieser Saison ging sie im Sprint von Antholz aber leer aus und verpasste auch die Verfolgung, wodurch sie auf den achten Rang zurückfiel.

Bis dahin war Minkkinen neben der Weltcupführenden Preuß die beständigste Athletin der Saison gewesen und hatte lediglich einmal die Top 20 verpasst - und das mit Platz 23 auch nur knapp.
Aufstieg auch für Minkkinen „eine Überraschung“
„Es fühlt sich so an, als würde ich träumen“, sagte die 30-Jährige im exklusiven SPORT1-Interview am Rande des Weltcups in Ruhpolding. „Ich war jetzt so oft in den Top Zehn und das sogar mit Rennen, die nicht perfekt liefen. Daher frage ich mich manchmal, ob das real ist.“
Die Frage ist verständlich, denn obwohl die Finnin bereits vor acht Jahren ihr Debüt gab, ist sie über einen 27. Platz im Gesamtweltcup (Saison 2022/23) noch nie hinausgekommen. Ein solcher Quantensprung in diesem Alter ist auch im Biathlon eine absolute Seltenheit.
Dass es plötzlich so weit nach vorn geht, überrascht auch Minkkinen: „Mein Ziel vor der Saison war es, in den Top 20 im Gesamtweltcup zu sein und ich wusste, dass man dafür einige Rennen in den Top Zehn oder Top 15 beenden muss. Aber dass ich so konstant sein würde, war wirklich eine Überraschung für mich.“
Trainingsumstellung als Schlüssel zum Erfolg
Der Schlüssel zum jetzigen Erfolg? Die stets gute Schützin hatte in der vergangenen Saison gemerkt, dass größere Erfolge ohne entsprechende Laufleistung im heutigen Biathlon nicht mehr möglich sind.
Gereift war diese Erkenntnis nach einer Covid-Infektion, die sie nach einer guten Vorbereitung aus der Bahn geworfen hatte.
„Als ich ins Ziel gelaufen bin, hatte ich gar nicht das Gefühl, ein Rennen gelaufen zu sein, weil ich lange Zeit gar nicht mit so einer hohen Intensität laufen konnte. Am Ende der Saison habe ich mir gesagt: Das möchte ich nicht noch einmal. Ich gebe jetzt nochmal alles“, blickt Minkkinen zurück.
„Ein Risiko, das ich eingehen wollte“
Gesagt, getan. Sie stellte ihre Vorbereitung um, arbeitete viel an den Anstiegen und trainierte im Sommer mehrere Wochen in den Alpen. Ein Schritt, der in den vorherigen Jahren „finanziell einfach nicht möglich gewesen“ wäre.
Die Entscheidung, den Fokus weg vom Schießen und hin zum Laufen zu legen, sei dabei nicht einfach gewesen, „weil wir eben zwei Sportarten zusammenbringen müssen. Und die guten Schießleistungen sind ja auch nicht nur von Talent gekommen. Ich habe sehr hart dafür gearbeitet“.
Dass sich Athleten über den Sommer im Laufen verbessern, ist nicht außergewöhnlich - nicht selten leidet jedoch die Schießquote darunter.
Für Minkkinen war das aber ein Risiko, „das ich eingehen wollte. (…) Ich musste einfach das Vertrauen in mich haben, dass das Schießen trotzdem gleich gut bleibt.“
Ein kleines Biathlon-Märchen in Oberhof
Ihr Vertrauen wurde belohnt: Zur ersten Podestplatzierung ihrer Karriere im Sprint im heimischen Kontiolahti kam in Oberhof ein besonderes Erfolgserlebnis hinzu: Mit ihrem Teamkollegen Tero Seppälä stand Minkkinen nach der Single-Mixed-Staffel erstmals ganz oben auf dem Podium.
Dies war dabei nicht nur der erste finnische Weltcup-Sieg seit fünf Jahren - damals gewann Kaisa Mäkäräinen ebenfalls in Oberhof den Massenstart -, sondern auch der erste Sieg einer finnischen Staffel auf Weltcup-Niveau jemals.
Biathlon-Ikonen Björndalen und Neuner als Vorbild
Neben Mäkäräinen hatte Minkkinen aber auch sehr erfolgreiche Ex-Athletinnen aus Deutschland als Vorbilder: „Magdalena Neuner und Miriam Gössner (heute Neureuther, Anm. d. Red.) waren Athletinnen, zu denen ich aufgeschaut habe.“ Mit Neuner verbindet sie sogar ihr gemeinsames Hobby, das Stricken.
Als sie kleiner war, schaute Minkkinen auch einer anderen Ikone gerne zu: Ole Einar Björndalen. Und indirekt hat dieser sogar ein wenig Anteil am Aufschwung des finnischen Teams.
Denn Nationalcoach Erik Kulstad arbeitete bis zu seinem Wechsel nach Finnland vor zwei Jahren an der Seite des Weltcup-Rekordsiegers (94 Siege im Biathlon) für das chinesische Team.
„Sie (Kulstad und Björndalen) tauschen sich viel aus. Aber ich weiß nicht im Detail, welche Ansätze, die Erik ins Training mitbringt, von ihm kommen und welche von Ole Einar. Ole ist ein echtes Talent, was das Skilaufen angeht. Das ist der Part, wo ich nicht so talentiert bin“, sagte Minkkinen lachend.
Biathlon-WM in Lenzerheide: Favoriten „sind andere“
Zu dem Sport brachte sie aber nicht ihr Idol, sondern ihr kleiner Bruder: „Ich habe ein paar seiner Rennen im Sommer gesehen und dachte mir: Das scheint interessant zu sein. Dann habe ich meinen Vater auf dem Heimweg gefragt, ob ich bei der nächsten Trainingseinheit mitmachen darf“, erinnert sich Minkkinen.
Ihr Talent zeigte sich schnell und so konnte sie ihr Hobby zum Beruf machen, in welchem mit der Biathlon-WM in Lenzerheide (12. bis 23. Februar) ein Highlight bevorsteht. Großen Druck will sich die Finnin trotz ihrer guten Form aber nicht machen.
„Wenn ich bei der WM einige Rennen in den Top Sechs beenden würde, wäre ich sehr glücklich“, sagte Minkkinen angesprochen auf ihre Ziele dort. Sie sei zwar auch für eine Medaille „vielleicht eine gute Kandidatin, aber nicht die Favoritin. Das sind immer noch andere.“
Minkkinen drückt Preuß im Gesamtweltcup die Daumen
Dazu zählt Preuß, die Minkkinen auch als Gewinnerin des Gesamtweltcups erwartet: „Franzi war sehr überzeugend. Sie ist so gut am Schießstand und ihre Laufleistung ist auch sehr konkurrenzfähig in jedem Rennen. Und ich wäre so glücklich, wenn sie (den Gesamtweltcup) gewinnen würde, weil sie auch einige Probleme hatte in den letzten Jahren.“
Minkkinen selbst hofft, die Saison „in den Top Zehn oder noch besser in den Top Fünf zu beenden“.
Aber auch wenn sie in den Kampf um den Gesamtweltcup nicht eingreifen kann, ist ihr eine Bezeichnung fast schon sicher: Biathlon-Überraschung der Saison.