Vor einigen Wochen hat die Internationale Biathlon Union (IBU) mit der Ankündigung einer Regeländerung den Startschuss für eine große Welle der Kritik in der Biathlon-Szene gegeben. Auch die deutschen Athleten zeigten sich bei SPORT1 skeptisch mit Blick auf die Neuerung, die vor allem die besten Sportler benachteiligen könnte.
Kritik von deutschen Biathlon-Stars
„Ich sehe das rein aus Sportlersicht und finde das nicht gut und kann das nicht nachvollziehen“, beteiligte sich unter anderem Franziska Preuß im exklusiven SPORT1-Interview an der Debatte.
Neue Startgruppen-Regelung: Benachteiligung für Top-Biathleten
Doch worum geht es konkret? Bislang durften die besten 15 Biathleten des Gesamtweltcups frei aus den vier vorhandenen Startgruppen wählen. Die Regeländerung sorgt nun dafür, dass dieses Entscheidungsrecht entzogen wird.
Stattdessen sollen die Top-Athleten die Einzel- und Sprintrennen in der neuen Saison fest von der dritten Startgruppe aus in Angriff nehmen. Der Weltverband hofft, so mehr Spannung für die Zuschauer, insbesondere vor dem Fernseher, zu generieren.
Bei vielen Athleten sorgte dies für Unmut, denn die Wahl der besten fiel zuvor oft auf eine frühe Startgruppe. Diese bot neben den zumeist deutlich besseren Streckenbedingungen den zusätzlichen Vorteil, dass sich vor Start des Rennbetriebs noch auf der Strecke warmgelaufen werden konnte. Abseits der Strecke gelten die Aufwärm-Bedingungen an vielen Wettkampforten nicht als ideal.
„Wir hoffen natürlich, dass die Rahmenbedingungen für solche Änderungen stimmen und dass die Warmlaufrunden dementsprechend sind“, äußerte sich daher auch Preuß.
Kühn: Vorschläge für Kompromiss haben keinen „Anklang gefunden“
Johannes Kühn, den das Thema über den Sommer als Mitglied des Athletenkomitees viel beschäftigt hat, war der Frust über die Neuerung ebenfalls deutlich anzumerken: „Persönlich bin ich der Meinung, dass das im Moment nicht ideal ist und die alte Regelung deutlich besser war. Ich bin nicht der Einzige, der das nicht so toll gefunden hat.“
Zwar könne der beste Deutsche des vergangenen Winters auf Herrenseite die „Beweggründe der IBU prinzipiell schon verstehen“, zweifelt aber noch an der Umsetzung. „Ich befürchte, dass es jetzt zum Beispiel so sein kann, dass man ein bisschen später einschaltet und dann die ersten zehn, zwanzig Leute gar nicht angeguckt werden.“
Doch nicht nur die Umstrukturierung selbst, sondern auch die Kommunikation zwischen dem Verband und den Betroffenen schien nicht zur vollen Zufriedenheit des DSV-Athleten abgelaufen zu sein. „Wir haben geredet. Mitgeredet haben wir nicht wirklich“, fand Kühn diesbezüglich deutliche Worte. „Wir haben den ganzen Sommer über gegrübelt und überlegt, wie man es besser machen kann. Ich glaube, es hätte ein paar Ideen gegeben, die ein Kompromiss gewesen wären, die aber nicht so richtig Anklang gefunden haben, was okay ist. Wenn sie nicht wollen, dann halt nicht.“
Nawrath und Strelow üben sich in Zweckoptimismus
Auch mit Blick auf die Streckenkonditionen machte der 32-Jährige mit seiner Kritik nicht halt. „Ich hoffe, dass die Bedingungen so sind, dass es fair bleibt, denn das war die letzten Jahre nicht immer so. (…) Ich habe letztens eine Aussage gelesen, in der es hieß, dass die Bedingungen so super gewesen wären. Das stimmt nur bedingt.“
Sein Teamkollege Philipp Nawrath gestand ebenfalls, dass „Skepsis natürlich da“ sei, da auch ihm bewusst wäre, „dass es hinten raus meistens langsamer wird und die Verhältnisse tiefer werden“. Zugleich stellte er aber auch fest: „Ich habe schon auch Rennen gehabt, wo ich auch hintenraus richtig gute Ergebnisse liefern konnte.“ Auch wenn das natürlich in der Regelmäßigkeit nicht garantiert werden könne, sehe er „dem Ganzen erst mal zuversichtlich entgegen“.
Einen ähnlichen Zweckoptimismus legte auch Justus Strelow an den Tag: „Am Anfang war ich sehr dagegen. Ich habe mich jetzt hier und da nochmal ein bisschen mit dem Thema beschäftigt. (…) Ich denke für den Zuschauer gibt es schon das eine oder andere Rennen, das nicht super spannend ist. Denken wir mal an Johannes Thingnes Bö. Wenn der im Sprint 0/0 schießt und die Startnummer zwei hat, dann weißt du mehr oder weniger, wer gewonnen hat. Hier und da kann es sicherlich dazu führen, dass mehr Spannung reinkommt.“
Mit Bö an der Spitze stellten die Norweger im vergangenen Winter sechs der besten sieben Athleten im Gesamtweltcup. Es ist daher wenig überraschend, dass sich auch die dominante Nation des Herren-Biathlons bereits vor einigen Wochen klar gegen die neue Regelung aussprach.
Der Kritik zum Trotz: IBU bleibt standhaft
Doch auch bei weniger erfolgreichen Sportlern stößt der Plan auf Widerstand. So auch bei David Zobel, der zumindest in der vergangenen Saison nicht in den Topregionen der Gesamtwertung zu finden war und so bei einem ausbleibenden Leistungssprung sogar von der neuen Regelung profitieren könnte. „Die Regeländerung kann ich nicht beeinflussen, daher nehme ich es, wie es kommt. Positiv finde ich es trotzdem nicht.“
Die Kritik änderte an der Entscheidung der IBU genauso wenig wie eine vom Athletenkomitee gestartete Petition. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es für die Skeptiker dennoch: Zumindest bei schwierigen Streckenbedingungen behält es sich die Wettkampfjury vor, die besten Sportler der aktuellen Weltcup-Gesamtwertung zu Beginn des Wettkampfs starten zu lassen. Zudem soll das neue System nach einer Testphase bei den ersten Weltcup-Stationen im November und Dezember evaluiert werden.
Bis zum Saisonstart am 30. November in Kontiolahti dürfte aber erstmal das Motto von Franziska Preuß gelten: „Es ist, wie es ist. Wir müssen uns jetzt bestmöglich darauf einstellen.“