Vanessa Voigt ist ein offenherziger Mensch, es zeigt sich immer wieder.
„Amateurhaft“? Wirbel um Voigt
Die deutsche Biathletin sagt, was sie bewegt, auch in öffentlichen Interviews. Und sie schreibt deswegen bei der WM in Nove Mesto aktuell auch international Schlagzeilen.
Die 26-Jährige bewegt vor allem die Biathlon-Nation Norwegen, war dort am Freitagmorgen erstes Aufmacher-Thema im Sportbereich des öffentlich-rechtlichen Kanals NRK. Und sie hat auch den erfolgreichsten Biathleten der Geschichte auf den Plan gerufen, der sie harsch kritisiert und „amateurhaft“ nennt.
Was ist geschehen?
Vanessa Voigt: „Nachrichten, die echt erschreckend waren“
Voigt hatte nach ihrem 15. Platz in der Verfolgung am Sonntag in der ARD gesagt, dass sie „im Hotel erstmal mein Handy aus machen werde“ - und danach im Wintersport-Podcast der Sportschau näher ausgeführt, wie sehr Negativkommentare in den sozialen Medien sie beschäftigen.
„Es war jetzt in den vergangenen Wochen so, dass die Leistung hier und da nicht gepasst hat“, hatte sie in dem am Montag veröffentlichten Interview erklärt: „Dann hat man das Handy angemacht und gehofft, dass jemand einen ein bisschen aufbaut. Aber man hat oft auch Nachrichten gefunden, die echt erschreckend waren. Nachrichten, die persönlich beleidigend waren.“
Schon nach der verpassten Medaille in der Mixed-Staffel hätte sie „einiges gelesen, wo es hieß ‚Ausrede hier, Ausrede da‘. Zu einem Zeitpunkt, wo ich gedacht habe, ich brauche eine Umarmung, ich brauche ein paar nette Worte und keine Nachrichten, die mich vielleicht noch mehr auf den Boden der Tatsachen drücken. Gestern war ich schon ziemlich auf dem Boden.“
Der Tenor der Kommentare, die ihr sauer aufgestoßen seien, hätte gelautet: „'Du bist mental schwach. Du sollst nach Hause gehen. Was machst du hier noch?‘ - Das sind Sachen, die mir nicht weiterhelfen. Es ist was anderes mit sachlicher Kritik zum Rennen, mit der ich vielleicht was anfangen kann. Aber wenn es von Leuten kommt, die auf dem Fernseher sitzen auf der Couch, die vielleicht nie auf Skiern gestanden sind, die mich nicht kennen und gar nicht sehen, was für ein Setup wir drumherum haben, was ich mental alles mache, das ist für mich ganz schön schwach.“
Björndalen: „Kommt mir sehr amateurhaft vor“
Voigt ist nicht der erste Biathlon-Star, der seinem Ärger über abschätzige Nachrichten im Netz öffentlich Luft macht. Allein in jüngerer Vergangenheit hatten unter anderem der französische Olympiasieger Quentin Fillon Maillet oder die Schwedin Stina Nilsson sehr ähnliche Erfahrungen öffentlich gemacht.
Im Kontext der WM schlagen Voigts Aussagen nun vor allem in Norwegen Wellen - und stoßen auf geteiltes Echo. Wenig verständnisvoll äußerte sich Rekord-Weltmeister Ole Einar Björndalen, in seiner Heimat inzwischen TV-Experte.
„Wenn man für so etwas anfällig ist, sollte man diese Social-Media-Kanäle bei wichtigen Rennen einfach ausblenden“, sagte der 50-Jährige bei TV2: „Viel Zeit am Handy und in den sozialen Netzwerken zu verbringen, ist nicht das Klügste, wenn man bei einer WM ist, wo nur Leistung zählt. Sich so von negativer Kritik beeinflussen zu lassen, kommt mir sehr amateurhaft vor.“
Björndalen - der jüngst auch den bei der WM schwächelnden norwegischen Frauen fehlende mentale Reife attestierte - war nicht der einzige prominente Ex-Star, der sich zu Wort meldete.
Aktive Kolleginnen fühlen mit
Die im vergangenen Jahr zurückgetretene Ex-Weltmeisterin Tiril Eckhoff riet Voigt ebenfalls, die sozialen Medien während der WM ganz auszublenden: „Ich habe mir damals ein Nokia gekauft und mein Smartphone weggelegt.“
Mit negativer Aufmerksamkeit „müssen wir alle als Spitzensportler leben“, glaubt Eckhoff, die zudem schätzt: „Ich glaube, in Deutschland ist es noch schlimmer. Da gibt es noch mehr Fans und noch härtere Botschaften.“
Neben Kritik und gut gemeinten Ratschlägen erntete Voigt auch Zuspruch - etwa von Marit Ishol Skogan, die eher die schmähenden Fans in der Verantwortung sieht, sich zu hinterfragen: „Sie sollten mal versuchen, selbst zur WM zu fahren und fünf Treffer mit einem Puls von 200 ins Ziel zu bringen. Ganz so einfach ist das nicht.“
Auch Skogans Landsfrau Juni Arnekleiv nannte die Schilderungen Voigts im NRK „traurig“, auch die schwedische Top-Biathletin Elvira Öberg kann Voigts Frust persönlich nachvollziehen: „Es ist schade, wenn es Fans gibt, die de facto gegen einen arbeiten.“ Auch sie versuche, sich aktiv abzuschirmen.
Voigt kennt das Dilemma
Die ehemalige Biathletin Synnove Solemdal betrachtet die Sache von beiden Seiten: Es sei ein Dilemma für die Sportlerinnen der heutigen Generation, dass sie aus Vermarktungsgründen unter Druck stünden, bei Instagram und Co. „in einer zusätzlichen Arena aufzutreten und erreicht werden zu können“.
Den „Tastaturkriegern“, denen sich die Sportstars damit aussetzten, seien in dieser Logik „ein notwendiges Übel“, das man in Kauf nehmen müsse, wenn man es so betrachte: „Ich glaube, dass es als Sportler früher angenehmer war, ohne das alles.“
Die Zeit zurückdrehen wird Voigt nicht können, aber das Weglegen des Handys hat in jedem Fall nicht geschadet: In der zweiten Woche waren ihre Leistungen mit Platz 5 im Einzel und Platz 6 im Single Mixed besser. Am Wochenende hofft Voigt in Staffel und Verfolgung weiterhin auf Medaillen - was dann auch freundlichere Kommentare zur Folge hätte.
So oder so ist Voigt allerdings bewusst, dass sie es immer mit einem zweischneidigen Schwert zu tun haben wird: „Es ist schon auch bemerkenswert wie viel Rückhalt man nach guten Rennen bekommt - aber auch wie wenig man nach schlechten kriegt.“