Erster Weltcupsieg, dazu zwei weitere Podestplätze - Philipp Nawrath ist in dieser Saison so erfolgreich wie nur zuvor unterwegs. Neben seiner schon immer vorhandenen Stärke auf der Strecke kann der 30-Jährige mittlerweile auch am Schießstand für Furore sorgen und hat sich der Weltspitze dadurch angenähert.
Nawrath: Norwegen “grenzwertig“
Bei der am 7. Februar startenden Biathlon-Weltmeisterschaften in Nove Mesto will Nawrath selbstverständlich wieder voll angreifen - obwohl die Konkurrenz aus Norwegen schier übermächtig wirkt. Im SPORT1-Interview äußert sich der gebürtige Allgäuer über Johannes Thingnes Bö und seine persönliche Chancen.
SPORT1: Herr Nawrath, Sie haben lange warten müssen, nun aber gleich zu Saisonbeginn Ihren ersten Weltcup-Sieg und zwei weitere Podestplätze geholt. War es für Sie ein bislang perfekter Winter?
Philipp Nawrath: Der Start war natürlich total zufriedenstellend. Aber ich merke schon, dass es im Biathlon ständig auf und ab gehen kann. Es gab immer wieder Tage, wo es gar nicht geklappt hat und man platzierungsmäßig ganz woanders landet, als man sich vorgenommen hat. Von daher hat es mich umso mehr gefreut, dass ich diese Top-Ergebnisse gleich am Anfang erreichen konnte. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als so gut in eine Saison zu starten. Insgesamt wünsche ich mir aber noch ein bisschen mehr Konstanz - gerade nach dem zweiten Trimester. Da habe ich eine eher durchschnittliche Performance gezeigt.
Fluor-Verbot spielt Nawrath ein „bisschen eher in die Karten“
SPORT1: Johannes Thingnes Bö meinte, dass es durch das Fluor-Verbot mehr Kraft auf der Loipe braucht. Sie werden oft als Kraftpaket bezeichnet, spielt Ihnen die Regeländerung besonders in die Karten?
Nawrath: Gewisse Strecken, wie zum Beispiel die schweren Kurse in Östersund, kommen mir da tatsächlich sehr entgegen. Es ist natürlich auch eine Technikfrage. Reine Power im Oberkörper bringt nichts, wenn man die entwickelte Kraft nicht auf die Ski bekommt. Was das angeht, ist Johannes Thingnes Bö auch immer noch der Maßstab im Biathlon-Zirkus. Aber er hat eben gemerkt, dass die Ski (durch das Fluor-Verbot; Anm. d. Red.) jetzt nicht mehr so gut gleiten wie vorher und mir das wirklich ein bisschen eher in die Karten spielt. Während meiner Verletzungspause im Sommer konnte ich sogar noch mehr Kraft trainieren, da bin ich jetzt sehr gut aufgestellt.
SPORT1: Außerdem fällt auf: Sie schießen viel schneller als in den vergangenen Jahren, agieren sehr selbstbewusst. Was haben Sie da im Sommer verändert?
Nawrath: Wenn man mit dem Gedanken, dass man endlich schneller schießen will, an den Schießstand kommt, geht das selten gut. Das ist zumindest meine Erfahrung. Deswegen gilt es, einen anderen Weg zu finden. Für mich war klar, dass ich mich vor allem zu Hause mehr mit diesem Thema beschäftigen muss. Früher habe ich viel Zeit in die Ausbildung und meinen Beruf bei der Polizei investiert, mittlerweile kann ich weitaus mehr in das Schießtraining stecken - mache das jetzt als tagtägliche Routine. Dieses Trockentraining hat mir am Anfang sehr viel Sicherheit gebracht und extrem viel geholfen. Wichtig ist aber immer, dass man sich mit der Schießgeschwindigkeit nicht überfordert.
SPORT1: Oftmals waren die Deutschen im Kampf gegen die Uhr, bei Sprint und Einzelrennen, sehr gut, liefen dafür in Verfolgungen und Massenstarts, also bei Mann-gegen-Mann-Duellen, eher hinterher. Woran liegt das?
Nawrath: Das ist uns auch aufgefallen. Vor allem die letzten Wettkampftage einer Weltcup-Station sind häufig nicht optimal verlaufen. Woran das liegt, können wir leider noch nicht sagen - ob der Fokus nicht mehr hundertprozentig da war oder das taktische Verhalten nicht perfekt gepasst hat. Man braucht ein gewisses Selbstvertrauen, um bei Rennen mit viermal Schießen ganz vorne dabei zu bleiben. Da gab es leider immer Aussetzer, bei jedem von uns. Die meisten sind aber läuferisch in einer super Verfassung, da brauchen wir uns gar nicht mehr zu verstecken. Daher ist es unser klares Ziel, dass wir die nächsten Chancen unbedingt besser nutzen wollen.
„Norweger haben schlichtweg das stärkste Leistungsgefüge“
SPORT1: Die stärksten Konkurrenten kommen auch in diesem Winter wieder aus Norwegen. Johannes Thingnes Bö und Co. dominieren den Weltcup nach Belieben und im IBU-Cup drängen schon die nächsten Talente nach oben. Was machen die so viel besser?
Nawrath: In der Breite haben die Norweger schlichtweg das stärkste Leistungsgefüge. Da gilt es jetzt zu überlegen, welche Rolle die Schneeverhältnisse an den Trainingsorten spielt. Wenn ich zehn oder 15 Jahre zurückdenke, sind die Norweger aus der Haustür gegangen und standen auf den Langlaufski. Bei mir lagen da zum Beispiel immer mindestens 20 Minuten Fahrt zwischen. Während wir Deutschen von Grund auf mehr intensivieren mussten, hatten die Norweger da vielleicht mehr Skigefühl entwickelt. Im fortgeschrittenen Alter macht das gar nicht mehr so viel aus, ob man als Kind mehr oder weniger auf den Ski stand. Aber insgesamt kommt in Norwegen dadurch eine unfassbar breite Masse an Athleten nach, was die Spitze extrem nach oben drückt. Da wissen die Besseren jederzeit, dass sie noch besser werden müssen, um überhaupt im Team bleiben zu können.
SPORT1: Im Gesamtweltcup belegen die Norweger sogar die Plätze eins bis sechs. Kann diese Dominanz dem Biathlon auf Dauer schaden?
Nawrath: Ja, auf jeden Fall. Wir haben schon im Vorfeld der Saison gesehen, dass die Norweger das Quäntchen besser waren. Das hat sich jetzt bestätigt. Ich denke, es ist wichtig, dass sich das Feld auch international ein bisschen mehr mischt. Das funktioniert bei den Frauen tatsächlich ein besser als bei den Männern. Was die Norweger bei uns jetzt nochmal so viel stärker macht, weiß ich auch nicht hundertprozentig. Aber es ist schon grenzwertig, ob das schadet oder nicht. Natürlich wollen wir irgendwann ein Mittel finden, wie wir dagegenhalten können. Denn zuletzt war es definitiv so, dass es für die Zuschauer nicht unbedingt spannend ist, wenn am Ende immer ein Norweger gewinnt.
SPORT1: Wenn Sie sehen, dass ein Christiansen zu Jahresbeginn als 7. im Gesamtweltcup aussortiert wird, sind Sie dann trotzdem ganz froh, dass Sie Deutscher sind?
Nawrath: Schon (lacht). Ich würde unser Team gar nicht viel schwächer einschätzen. Bei uns gibt es allerdings nicht diese ultrabreite Masse, die ständig nachrückt. In Deutschland wird zwar auch sehr stark ausselektiert, in Norwegen ist das Ganze aber einfach noch deutlich härter.
SPORT1: Die Norweger bewegen sich auch in einem anderen System als die Deutschen ...
Nawrath: Genau, da spielt deren System eine entscheidende Rolle. Die Grundversorgung läuft über den Verband, so wie das bei uns über die Behörden passiert. Aber bei ihnen gibt es nur eine sehr geringe Basisförderung. Deswegen weiß jeder Norweger: Wer sich darüber hinaus etwas aufbauen will, muss eben eine bestimmte Präsenz haben, damit Sponsoren überhaupt auf einen zukommen. Das klappt wiederum nur, wenn man weit oben dabei ist. Allein dadurch haben sie einen ganz anderen Erfolgsdruck. Ich glaube, dass es teilweise wirklich nicht schön ist, sich über einen so langen Zeitraum in einer Hop- oder Top-Situation zu bewegen. Wenn da etwas Kleines nicht passt oder man nicht trainieren kann, fliegt man relativ schnell raus.
Nawrath optimistisch: „Bin in einer guten Verfassung“
SPORT1: Zurück zu Ihrer Person. Am 7. Februar startet die Weltmeisterschaft. Was müsste passieren, damit Sie nach diesem Saisonhighlight sagen: „Ich bin zufrieden“?
Nawrath: Ich habe ordentlich trainiert und bin in einer guten Verfassung. Jetzt geht es für mich darum, die Wettkämpfe mit vollem Fokus anzugehen und passende Renneinteilungen zu finden. Das war in den letzten Wochen mein kleines Manko, was auch das Schießergebnis manchmal schwieriger gemacht hat. Wenn ich es schaffen kann, bei ein oder zwei Rennen meine beste Leistung zu bringen, dann bin ich voll zufrieden. Was das am Ende ergebnistechnisch bedeutet, wird man sehen.
SPORT1: Sie haben Ihre zuletzt ausbaufähige Schießquote erwähnt. Da ist Ihr Teamkollege Justus Strelow gerade das Nonplusultra. Kann man sich da auch mal was abschauen?
Nawrath: Das stimmt. Justus bringt das in den Wettkämpfen richtig gut rüber. Er weiß natürlich selbst, dass er läuferisch oft in der Defensive ist. Deswegen hat er sich am Schießstand noch einen Tick mehr vorgenommen als die anderen. Jetzt ist es für uns wirklich extrem viel wert, dass wir einen in der Mannschaft haben, der zu den besten Schützen im gesamten Weltcup zählt und teilweise sogar Altmeister wie Simon Eder im Regen stehen lässt. Wenn man ihn im täglichen Training dabei hat und sich duellieren kann, bringt das einen richtig guten Zug in die Gruppe. Nichtsdestotrotz sollte jeder Athlet auch bei seinen eigenen Schwerpunkten bleiben.
Biathlon-WM: Lässt sich Velepec neue Wetten einfallen?
SPORT1: Die interne Konkurrenz ist auch in Deutschland groß und bei der WM gibt es bei jedem Rennen nur eine begrenzte Anzahl an Startplätzen. Zittern Sie da ein wenig?
Nawrath: Wir sind theoretisch sogar acht Leute, die sich qualifiziert haben - aber nur sechs wurden nominiert. Ich weiß meine Qualitäten einzuschätzen und habe eine gute Ausgangsposition, wenn ich auf den Gesamtweltcup-Stand schaue. Meine läuferische Verfassung ist sehr gut, das werden die Trainer auch sehen. Deswegen rechne ich mir schon eine gewisse Anzahl an Starts aus. Trotzdem kann man nicht erwarten, dass man am Ende jedes Rennen läuft. Es wird immer so aufgestellt, dass die Stärken eines jeden Athleten optimal zur Geltung kommen. Aber ich hoffe natürlich, dass das so gut wie möglich für mich entschieden wird.
SPORT1: Hat Uros Velepec eigentlich schon eine neue, kuriose Wette angekündigt, falls Ihr eine Medaille holen solltet?
Nawrath: Bisher ist von ihm noch nichts gesagt worden (lacht). Aber wir haben jetzt noch einige Mannschaftssitzungen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass er sich da noch das ein oder andere einfallen lässt.