Als Viertplatzierter im Gesamtweltcup war Benedikt Doll in der vergangenen Saison bester Nicht-Norweger, will Johannes Thingnes Bö und Co. auch im neuen Winter wieder herausfordern - zum wahrscheinlich letzten Mal. Schließlich plant der 33-Jährige, sein Gewehr im März in die Ecke zu stellen. Aber: Die Entscheidung ist noch nicht final gefallen, wie der gebürtige Schwarzwälder im SPORT1-Interview bekräftigt.
Karriereende? „Es ist noch nicht final!“
SPORT1: Herr Doll, am 25. November startet die neue Weltcup-Saison. Schon vor zwei Wochen gab es beim Season‘s Opening in Sjusjoen das erste Kräftemessen, dort sind Sie Siebter im Sprint und 26. im Massenstart geworden. Waren Sie zufrieden?
Doll: Ich war zu den Rennen in Sjusjoen nicht richtig fit, deshalb war das mehr oder weniger nur Training für den bevorstehenden Weltcup. Aber ist hilft, die Form unter Wettkampfbedingungen, mit Zuschauern und Startnummern zu testen. Mit fünf Fehlern am Schießstand konnte ich im Massenstart ergebnismäßig nicht zufrieden sein, technisch hat es aber gut gepasst. Das war eher eine Konzentrationsfrage. Diese Fehler sind relativ einfach zu minimieren, weil ich nicht gewackelt habe. Mir gibt das ein gutes Gefühl. Auf der Strecke war es dagegen schwierig, weil die siegreichen Norweger sehr schnelle Skier hatten.
SPORT1: Welche sportlichen Ziele haben Sie sich für die Saison 2023/24 gesetzt?
Doll: Das Thema Schießen ist sehr wichtig für mich. Ich möchte mich im Gegensatz zu den letzten Jahren unbedingt steigern, darauf habe ich meinen Fokus gelegt. Auf das neue Jahr und die Weltmeisterschaft im Februar blicke ich gerade noch gar nicht, sondern will erstmal einen guten Einstieg in die Saison finden. Danach beschäftigte ich mich mit den nächsten Rennen.
Norwegen-Dominanz? „Da gibt es nichts schönzureden“
SPORT1: Die letzte Saison dominierte Johannes Thingnes Bö nach Belieben. Wird es der norwegische Überflieger in diesem Winter schwerer haben?
Doll: Wenn bei uns im deutschen Team alles zusammenpasst, dann müssen die Norweger erstmal ein perfektes Rennen abliefern, um vorne zu sein. Aber Johannes Thingnes Boe kann sich natürlich jedes Mal ein oder zwei Schießfehler mehr erlauben, da gibt es nichts schönzureden. Außerdem haben die Norweger auch in der Breite ein unfassbar starkes Team, das über sechs starke Leute verfügt - da macht immer jemand ein gutes Rennen.
SPORT1: Weshalb hat das norwegische Team gegenüber allen anderen Nationen einen so großen Vorsprung?
Doll: Sie haben extrem gute Nachwuchsarbeit geleistet und ernten jetzt die Früchte. Wir haben in den letzten Jahren immer das gleiche Training mit dem gleichen Schießtrainer gemacht. Jetzt haben wir mit Uroš Velepec einen neuen Cheftrainer und sehr viel anders gestaltet. Wir hoffen, dass wir dadurch das Niveau anpassen und die Lücke zu den Norwegern schließen können.
SPORT1: Der zum Cheftrainer aufgestiegene Uroš Velepec hat mit dem ehemaligen Langläufer Jens Filbrich auch einen neuen Assistenten an seiner Seite. Wie läuft die bisherige Arbeit mit ihm?
Doll: Er ist unfassbar motiviert und lebt den Sport. Seine Begeisterung ist sehr wichtig für uns. Er arbeitet akribisch an unserer Lauftechnik. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Trotzdem haben wir da schon einen Schritt nach vorne gemacht. Vor allem die Jungs, die in Oberhof tagtäglich mit ihm arbeiten. Aber: Die Lauftechnik ist ein wichtiger Baustein, allerdings auch nur einer von vielen und nicht das Ein und Alles. Im Biathlon gibt es extrem viele Bausteine, die miteinander harmonieren müssen. In den letzten Jahren haben wir versucht, uns in allen Bereichen zu verbessern. Da ist Jens jemand, der im Lauf-Sektor einen sehr guten Input gebracht hat.
SPORT1: Was trauen Sie ihren DSV-Teamkollegen in diesem Winter zu?
Doll: David Zobel ist im vergangenen Winter extrem gut reingekommen, der macht wieder einen super Eindruck. Philipp Nawrath war dagegen letztes Jahr mit seinem Einstieg gar nicht zufrieden, der ist diesmal sehr gut drauf. Und Johannes Kühn ist läuferisch sowieso einer der besten im Team. Er hat am Schießstand einen großen Sprung nach vorne gemacht. Bei denen bin ich mir sicher: Wenn alles zusammenpasst, dann sind Top-Ten-Platzierungen drin.
Karriereende? „Vielleicht packt es mich im Laufe des Winters nochmal“
SPORT1: Nach dem Karriereende von Denise Herrmann-Wick sind Sie nun der erfahrenste Biathlet im deutschen Team. Spüren Sie dadurch zusätzlichen Druck?
Doll: Nein, ich nehme das völlig entspannt an und bin dieser Situation auch gewachsen. Das ist nicht von einem Augenblick auf den anderen gekommen, sondern hat sich schon in den letzten Jahren mit den Rücktritten von Arnd Peiffer und Erik Lesser so entwickelt.
SPORT1: Diese Gelassenheit kommt sicherlich auch daher, dass sie mittlerweile Vater sind.
Doll: Auf jeden Fall. Ich habe immer abgesicherte Verhältnisse. Wenn es beim Biathlon nicht läuft, dann mache ich was anderes. Und ich stehe auch nicht am Abgrund, wenn es im Sport mal nicht passt. Das macht die ganze Sache definitiv entspannter.
SPORT1: Sie haben angekündigt, dass dieser Winter auch Ihr letzter sein könnte.
Doll: Ich formuliere es mal so: Dass ich aufhöre, ist sehr wahrscheinlich. Aber ich will es noch nicht final festlegen. Vielleicht packt es mich im Laufe des Winters oder nach der Weltmeisterschaft nochmal, weil ich mich in bestimmten Aspekten weiter verbessern möchte. Die Olympischen Spiele 2026 beeinflussen mich dahingehend zum Beispiel nicht. Aktuell ist es aber sehr sicher, dass ich nach der Saison aufhören werde.
Das will Doll nach der Karriere machen
SPORT1: Ihre ehemaligen Teamkollegen Arnd Peiffer und Erik Lesser haben das Ende ihrer Laufbahn jeweils kurzfristig verkündet, um nicht ständig mit diesem Thema konfrontiert zu werden. Wieso haben Sie einen anderen Weg gewählt?
Doll: Das ist organisch gewachsen. Ich habe vor zwei Jahren gesagt, dass ich noch ein oder zwei Winter mache. Wer diese beiden Jahre verfolgt hat, der konnte also schon vor zwei Jahren sagen, dass nun meine womöglich letzte Saison kommen wird (lacht). Ich würde mich persönlich unglaubwürdig machen, wenn ich jetzt alles wieder dementiere.
SPORT1: Auf welchen Weltcup-Ort freuen Sie sich vor Ihrer möglicherweise letzten Saison am meisten?
Doll: Auf die Lenzerheide! Es ist ein neuer Weltcup-Ort, nicht weit von mir zu Hause weg, also fast ein kleines Heimrennen. Dahin fahre ich nur drei Stunden, deswegen freue ich mich sehr darauf.
SPORT1: Wird Ihre Karriere nach der Biathlon-Laufbahn etwas mit dem Sport zu tun haben? Sie haben immerhin ein abgeschlossenes Studium des Ingenieurwesens.
Doll: Beruflich werde ich dem Biathlon ziemlich sicher nicht erhalten bleiben - nur im Herzen. Vielleicht mache ich etwas Ehrenamtliches im Verein und würde mich dort weiter engagieren. Ansonsten wird es bei mir wahrscheinlich in die elektrotechnische Richtung gehen, deswegen möchte ich auch nochmal studieren.
Wintersport als Klimasünder? „Das ist eine starke Verzerrung“
SPORT1: Derzeit gibt es hitzige Debatten, weil viele Menschen vermuten, dass es Wintersportarten wie Biathlon wegen des Klimawandels in der bekannten Form bald nicht mehr geben werde. Was denken Sie darüber?
Doll: Oftmals wird es so dargestellt, dass der Wintersport Verursacher des Klimawandels ist, weil es Bilder wie die aus Sölden vom Gletscher gibt, wo Schnee im Spätsommer mit der Pistenraupe umhergekarrt wird. Das ist eine starke Verzerrung. Für den Biathlon bleibt es trotzdem sehr spannend. Die Schneesicherheit ist das Allesentscheidende. Über Sommerdepots und Kunstschnee versucht man das noch aufrechtzuerhalten. Doch die große Frage ist: Wie lange geht das noch gut? Ich habe ein bisschen meine Zweifel, weil man Biathlon nicht einfach in einen Sommersport umwandeln kann.
SPORT1: Warum nicht?
Doll: Mit Skirollern können wir Wettkämpfe machen, die sehr nah am Biathlon sind. Das Problem ist, dass das mediale Interesse für den Wintersport im Sommer viel geringer ist, weil die Leute draußen sind und nicht vorm Fernseher sitzen wie im Winter. Es ist eine schwierige Situation. Ich denke, so erfolgreich wie Biathlon im Winter ist, wird es im Sommer nicht mehr sein können - außer es werden ganz neue und attraktive Formate geschaffen.
SPORT1: Wäre eine Sommer-Saison im Biathlon denn was für Sie?
Doll: Wenn ich jetzt länger Sport machen würde, fände ich die Wettkämpfe im Sommer nicht schlechter als im Winter. Am Ende geht es aber auch um Popularität und den finanziellen Faktor. Da sehe ich im Sommer wesentlich weniger Potenzial. Vielleicht müsste man die Sportart dann dahingehend umbauen, dass es keine Weltcup-Orte in den Alpen mehr gibt, sondern mit Skirollern in die Großstädte gehen. Biathlon auf Schalke oder die Sommerrennen, die es schon gibt, sind ja sehr beliebt. Vielleicht könnte man daraus eine eigene Liga machen. Es gibt Zukunftsszenarien, die das Herz erst verkraften muss. Der Winter ist eben die schönste Jahreszeit für einen Wintersportler.