Knapper konnte es beim Weltcup-Auftakt im frostigen Östersund gar nicht zugehen. Wahrscheinlich hätte Franziska Preuß nur den Ausfallschritt auf der Ziellinie etwas impulsiver ausführen müssen, um ihren zweiten Weltcup-Sieg zu feiern. Doch am Ende fehlte die Winzigkeit von 0,1 Sekunden. Mit dem kleinsten Abstand, der in Einzelrennen gemessen werden kann, landete die 29-jährige am Sonntag hinter der Italienern Lisa Vittozzi auf Rang zwei.
Ein deutsches Comeback-Märchen
Dass Preuß mit einem Sieg das erste Gelbe Trikot für eine deutsche Biathletin nach mehr als sechseinhalb Jahren hätte holen können, sei deswegen „ein bisschen ärgerlich“ und ein minimaler Wermutstropfen. „So nah war ich noch nie dran“, gestand die Oberbayerin in der ARD. An dem ansonsten rundum gelungenen Tag ergänzte Preuß aber sofort: „Es geht jetzt erst los. Ich habe alles gegeben. Daher will ich mir auch nichts vorwerfen.“
Braucht Preuß auch nicht. Beeindruckte speziell ihre Leistung am Schießstand nachhaltig. 20 von 20 schwarzen Scheiben hatte sie abgeräumt - das schafften überhaupt nur vier der insgesamt 99 Starterinnen. Vor dem Hintergrund, dass an solche Resultate noch vor zwei Wochen bei den Testrennen im norwegischen Sjusjoen gar nicht zu denken war, keine Selbstverständlichkeit. Da hatte Preuß mal wieder mit einer Erkältung zu kämpfen, lief der Konkurrenz weit hinterher.
Preuß erinnert an ewige Leidensgeschichte
Weil die finale Phase der Vorbereitung so holprig verlief, hatte Preuß das Erlebte in Sjusjoen „zwei, drei Tage verdauen“ müssen. Auch die Tatsache, dass sie erstmals nur durch einen Trainerentscheid ins Team kam, war eine völlig neue Erfahrung. „Mich hat die Qualifikation für den Weltcup gestresst. Ich war krank im Vorfeld, hatte eine kurze Downphase. Das ging mir schon sehr nah“, gab die Skijägerin einen Einblick in ihre Gefühlswelt.
Umso logischer war es, dass Unzufriedenheit bei Preuß trotz des verpassten Sieges keine Rolle spielte. Vielmehr kletterte sie überglücklich auf das Podium, kam aus dem Lächeln nicht mehr heraus. „Wenn man bedenkt, woher ich gerade komme, bin ich super zufrieden“, erklärte sie im Anschluss und erinnerte an ihre lange Leidensgeschichte sowie die von Rückschlägen geprägten vergangenen Monate.
Schon Ende 2021 begann diese Verletzungsmisere, als sie auf der Treppe stürzte und sich den Fuß verstauchte. Es folgte ein positiver Coronatest, weshalb sie für Olympia in Peking so gar nicht in Form kam. Im darauffolgenden Jahr besserte sich die Situation nicht, im Gegenteil. Preuß zog die Reißleine, beendete die Saison wegen anhaltender gesundheitlicher Probleme vorzeitig im Januar - und verpasste dadurch auch die Heim-WM in Oberhof.
All diese Dämpfer ließen die gebeutelte Biathletin sogar über ein Karriereende nachdenken. „Im letzten Sommer habe ich ein bisschen daran gezweifelt, ob der Leistungssport noch das Richtige für mich ist, wenn man alle paar Wochen krank im Bett liegt“, offenbarte Preuß kürzlich im SPORT1-Interview. Auf der mentalen Ebene sei das „eine superschwierige Zeit“ gewesen.
DSV-Traumstart: „Das haben wir so nicht erwartet“
Nach ihrem Saison-Aus weilte Preuß dann im Frühjahr für zwei Monate in Thailand. Dort habe sich „niemand für Biathlon interessiert“, sie sei in „eine komplett andere Welt“ eingetaucht. Letzten Endes habe ihr genau diese räumliche und emotionale Distanz bei der Entscheidung geholfen, mit dem Sport weiterzumachen. Nun wolle sie „wieder dahin komme, wo ich mal war“ und am Biathlon „wieder Spaß“ haben.
Keine Frage: Direkt beim ersten Einzelrennen des Winters ist ihr das optimal gelungen. Preuß lag im Prinzip am Boden, die Erwartungen waren dementsprechend niedrig. Jetzt ist sie wieder ganz oben - zumindest fast. Denn wie das hervorragende Resultat zeigt, scheint auch die läuferische Form zu stimmen. Zwar fehlt zu den Top-Athletinnen um Elvira Öberg oder Vittozzi noch ein Stück, trotzdem ist ein mehr als solider Grundstein gelegt.
Und weil hinter Preuß auch Vanessa Voigt (3. Platz) und Sophia Schneider (5.) zeigten, dass sie in der Weltspitze mitlaufen können, war Cheftrainer Kristian Mehringer durchweg beeindruckt: „Das haben wir so nicht erwartet. Die Mädels haben einen Super-Job gemacht. Das freut uns natürlich riesig.“
Nebenbei hat das Trio schon die Norm für die Weltmeisterschaften in Nove Mesto geknackt - und kann die nächsten Rennen mit ganz neuem Selbstvertrauen in Angriff nehmen.