Die Biathlon-Welt wird von einer riesigen Rücktrittswelle erfasst. Nicht nur die „Biathlon-Königinnen“ Denise Herrmann-Wick und Marte Olsbu Röiseland machen nach dem Saison-Abschluss in Oslo Schluss.
Biathlon-Beben! Was kommt da noch?
Auch die Französin Anais Chevalier-Bouchet verkündete am Mittwoch ihr Karriereende. Kurios: Am Abend sagte mit Tiril Eckhoff dann auch noch das nächste Aushängeschild Norwegens Adieu. Und damit könnte noch lange nicht Schluss sein...
SPORT1 gibt einen Überblick über die bislang erfolgten Rücktritte und welche prominenten Abschiede noch drohen.
Diese Rücktritte sind fix:
Denise Herrmann-Wick (Deutschland)
Es kam nicht unerwartet, dennoch sorgte der endgültige Abschied von Herrmann-Wick am Dienstag für einen großen Aufprall. Die 34-Jährige wird ab Freitag noch in drei Rennen beim Weltcup in Oslo an den Start gehen, danach ist Schluss.
Der deutsche Biathlon-Sport verliert nach Magdalena Neuner, die 2011 mit nur 24 Jahren zurückgetreten war, und Laura Dahlmeier 2019 sein nächstes Aushängeschild. Ihr Abschied löste eine Welle an Huldigungen aus. Tarjei Bö feierte die Sächsin gar als „Biathlon-Königin“ ab.
In den vergangenen Jahren hielt Herrmann-Wick die deutsche Fahne im Weltcup und bei den Großereignissen hoch – dabei feierte sie erst 2016 ihr Biathlon-Debüt. Zuvor war die physisch starke Athletin im Langlauf aktiv, wo sie eine olympische Bronze-Medaille errang.
Ihre Erfolgsliste im Biathlon stellt dies jedoch klar in den Schatten: Olympiasieg und Bronze in Peking 2022, dazu kommen acht WM-Medaillen (2x Gold, 6x Silber, 1x Bronze) sowie 14 Weltcupsiege und eine kleine Kristallkugel im Sprint.
Marte Olsbu Röiseland (Norwegen)
Die Norwegerin war (einmal mehr) einen Tick schneller als Herrmann-Wick: Wenige Stunden, bevor Herrmann-Wick Nägel mit Köpfen gemacht hatte, war Olsbu Röiseland mit ihrem Rückzug bereit an die Öffentlichkeit getreten.
„Ich habe nicht die Motivation, jeden Tag die Arbeit zu leisten, die nötig ist, um die Beste zu sein“, erklärte die 32-Jährige bei einer Pressekonferenz am Dienstag. „Ich denke, es ist am besten, nachzugeben, solange man ganz oben steht. Ich denke auch, mein Körper wird das sehr zu schätzen wissen.“
Olsbu Röiseland prägte den Biathlon-Sport gerade in den jüngsten fünf Jahren. Bei zwei olympischen Teilnahmen 2018 und 2022 sammelte sie sieben Mal Edelmetall, darunter ihr dreifacher Olympiasieg von Peking.
Dabei ist Olsbu Röiseland im weniger schneereichen Süden Norwegens, in der Provinz Agder, geboren. Als erste Winter-Olympiasiegerin aus dieser Region schrieb sie norwegische Sport-Geschichte.
Vanessa Hinz (Deutschland)
Zu einem völlig überraschenden Zeitpunkt, nämlich kurz vor der Heim-WM in Oberhof, verkündete Vanessa Hinz ihr Karriereende. Mit sofortiger Wirkung zog die gebürtige Münchenerin die Reißleine, wenige Tage später verabschiedete sie sich in Oberhof tränenreich von den deutschen Fans.
„Schon im Sommer, noch bevor es mit den Verletzungen losging, war für mich klar, dass ich in meine letzte Saison gehe“, begründete Hinz ihr ungewöhnliches Timing: „Mein Körper und mein Kopf haben mir gezeigt, dass mit 31 Jahren Schluss sein soll mit Leistungssport.“
Hinz war in dieser Saison nur im zweitklassigen IBU-Cup gelaufen. In über zehn Jahren als DSV-Profi hatte Hinz immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Dennoch stehen am Ende ihrer Karriere drei WM-Titel mit der Staffel sowie einmal Olympia-Bronze und 27 Weltcup-Podestplätze.
Wie Herrmann-Wick wagte Hinz 2012 den Wechsel vom Langlauf zum Biathlon.
Anais Chevalier-Bouchet (Frankreich)
Noch ganz frisch, nämlich vom Mittwochvormittag, ist der Rücktritt von Frankreichs Erfolgsgesicht. Mit 30 Jahren ist Schluss für die dreimalige olympische Medaillengewinnerin.
„Ein anderes Leben wartet auf mich“, schrieb Chevalier-Bouchet bei Instagram: „Ich kann kaum erwarten, was als nächstes kommt.“
Die drei Rennen beim Weltcup-Abschluss in Oslo (ab Freitag im SPORT1-Liveticker) sind die letzten in der Karriere von Chevalier-Bouchet. Nach zwei vierten Plätzen bei der WM in Oberhof will sie am Holemkollen noch ein letztes Mal aufs Podest springen.
Tiril Eckhoff (Norwegen)
Röiselands Landsfrau versetzt den nun vor einem Neuaufbau stehenden Norwegerinnen den nächsten Schockmoment. Kurios: Tiril Eckhoff ist die nunmehr dritte Biathlon-Olympiasiegerin, die binnen nur zwei Tagen ihr Karriereende verkündet.
Die 32-Jährige erklärte, nach ihrer einjährigen Zwangspause infolge einer Corona-Infektion nicht mehr in den Weltcup zurückzukehren.
„Es ist ein bisschen traurig, jetzt aufzuhören, aber gleichzeitig finde ich auch, dass es die richtige Entscheidung ist“, schrieb Eckhoff bei Instagram: „Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe und werde immer mit einem Lächeln auf die Jahre im Biathlon zurückblicken.“
Eckhoff hatte bei den Olympischen Winterspielen zweimal Gold geholt und insgesamt acht Medaillen eingesammelt - dazu kam die zehnmalige Weltmeisterin auf 15 mal WM-Edelmetall.
Federica Sanfilippo (Italien)
Mit einem großen Knall verließ Sanfilippo kurz nach dem Jahreswechsel den italienischen Kader. Die 32-Jährige war nicht zum Heim-Weltcup in Antholz nominiert worden und hatte daraufhin ihr Gewehr in den Schrank gestellt.
Sogar Italiens Star-Biathletin Dorothea Wierer schaltete sich ein und kritisierte den Umgang mit ihrer „besten Freundin“: „Ich denke, du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden. (…) Ich bin sehr, sehr verbittert und enttäuscht. Unser Traum war es, gemeinsam an den Olympischen Spielen in Italien teilzunehmen, und das wird nicht passieren.“
Insgesamt startete Sanfilippo in über 170 Weltcuprennen und stand achtmal auf dem Podest.
Diese Rücktritte könnten noch folgen:
Dorothea Wierer (Italien)
Auch Wierer selbst hat ihren Abschied aus dem Biathlon-Zirkus zumindest angedeutet. „Ich weiß es noch nicht, ich muss mich erst entscheiden“, erklärte sie kürzlich im Gespräch mit dem Portal fondoitalia.
Es gebe „Tage, an denen ich mich frage, was ich hier noch mache, und andere, an denen ich merke, wie gut es läuft, und mir sage, dass es sich lohnt, weiterzumachen“. Aktuell läuft es für Wierer richtig gut, die versierte Schnellschützin liegt im Gesamt-Weltcup auf Rang zwei.
Doch trotz zwei Gesamtsiegen im Weltcup und vier WM-Titeln kämpft die 32-Jährige mit Selbstzweifeln. Beim norwegischen Sender NRK sprach sie offen über ihre Unsicherheiten:
„Von außen mag es nicht so aussehen, aber sie können meinen Trainer fragen. Er habe noch nie einen Sportler mit so geringem Selbstvertrauen getroffen, der so gute Ergebnisse erzielt.“ Auch deshalb lässt sich Wierer wohl bis nach der Saison Zeit, um über ihre Zukunft zu entscheiden.
Tarjei Bö (Norwegen)
Der große Bruder des quasi unantastbaren Johannes Thingnes Bö. Dabei hat Tarjei Bö mit seinen 34 Jahren auch alles erreicht: Drei Mal Olympiasieger, elf Mal Weltmeister und jüngster Gesamtweltcup-Sieger der Geschichte.
Dennoch droht ihm nicht nur sein kleiner Bruder den Rang abzulaufen, auch die norwegische Jugend ruht nicht: Mit Sturla Holm Laegreid, Filip Fjeld Andersen und Sivert Guttorm Bakken zeigen alleine drei Athleten unter 26 Jahren ihre Ambitionen – und weitere lauern dahinter.
Ein Startplatz für die kommende Saison ist für den einstigen Dominator alles andere als gesichert. Um sich in den Vorbereitungen zu beweisen, bringen die Einheiten enorme körperliche Qualen mit sich. Tut sich der 34-Jährige das noch einmal an?
Jakov Fak (Slowenien)
2006 feierte Jakov Fak sein Debüt Weltcup – damals noch unter kroatischer Flagge. 2010 wechselte der zweimalige Weltmeister ins slowenische Team und gehörte über fast ein Jahrzehnt zur Weltspitze.
Doch der Zenit seines Schaffen scheint überschritten, sein letzter großer internationaler Erfolg (Olympia-Silber 2018) liegt fünf Jahre zurück.
In dieser Saison steht zwar immerhin noch ein dritter Platz beim Weltcup in Ruhpolding zu Buche, das ist aber eher als Ausreißer zu sehen. Daher könnte es aus Slowenien schon bald heißen: „Adijo“ - auf Wiedersehen.