Die schwedischen Biathleten sorgen Winter für Winter für Furore. Mit dafür verantwortlich: ein junger deutscher Coach.
„Das ist der Unterschied zu Deutschland“
Der Münchner Johannes Lukas zieht seit 2015 die Fäden bei den Skandinaviern, die mit Sebastian Samuelsson sowie den Öberg-Schwestern Elvira und Hanna mehrere Weltklasse-Athleten stellen.
Lukas hat seinen Vertrag jüngst bis 2026 verlängert - einer Fortsetzung seiner erfolgreichen Arbeit steht also nichts im Weg.
Bei den Olympischen Spielen in Peking (ab 4. Februar im LIVETICKER) wollen die Schweden eine gute Rolle spielen. Wie das gelingen soll, was die zwei Pärchen im Team für Lukas‘ Arbeit bedeuten und wie er sich im Fußball weiterbilden möchte, verrät der 28-Jährige im SPORT1-Interview.
SPORT1: Herr Lukas, seit 2015 sind Sie im schwedischen Team engagiert. Was hat sich seither bei Ihnen verändert?
Johannes Lukas: Der ganze Aufgabenbereich. Die letzten ein bis zwei Jahre sind wegen Corona sehr intensiv gewesen. Die Trainingslager und -orte sucht man nicht mehr nach den besten Trainingsvoraussetzungen aus, sondern nach der größten Sicherheit und den besten Hygienemaßnahmen. Die letzten zwei Jahre haben wir auch das Reisen deutlich reduziert und viel mehr in Schweden gemacht.
Lukas sieht schwedischen Biathlon-Boom
SPORT1: Wie nehmen Sie sich selbst in Schweden wahr?
Lukas: Die schwedische Presse ist sehr intensiv. Ich denke, ich habe mittlerweile eine gewisse Sicherheit hinzugewonnen und mir Respekt durch die Ergebnisse erarbeitet. Bei einer WM brauche ich beispielsweise nach jedem Rennen ungefähr 45 Minuten, bis ich aus der Medienzone raus bin. Das war vor zwei bis drei Jahren nicht so, aber das liegt an den Ergebnissen und dem Biathlon-Boom, der in Schweden stattfindet. (DATEN: Weltcup-Kalender der Biathlon-Saison)
SPORT1: Sprechen Sie mit den schwedischen Medien schwedisch?
Lukas: Ich mache mittlerweile alles auf Schwedisch. Mir fällt es inzwischen sogar schwer, deutsch zu sprechen. Wenn ich acht Wochen am Stück unterwegs bin und nur schwedisch spreche, dann fehlen mir im Deutschen ab und an die Worte.
Schweden im Biathlon erfolgreich - daran liegt es
SPORT1: Was würden Sie sagen, was das Erfolgsgeheimnis Ihrer Mannschaft ist?
Lukas: An erster Stelle steht bei uns das Team. Wir haben unseren Stützpunkt in Östersund. Alle Athleten sind dort, alle Trainer sind dort und der Verband hat dort seinen Sitz. Mann muss sich vorstellen, dass das gesamte Team jeden Morgen zusammen trainiert und sich pusht. Das ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. (DATEN: Alle Biathlon-Rennen im LIVETICKER)
SPORT1: Gibt es Aspekte, die Sie besser machen als Deutschland?
Lukas: Es ist immer schwierig, Nationen zu vergleichen. Alle Nationen haben unterschiedliche Stärken und ein anderes System. Norwegen hat beispielsweise einen riesigen Nachwuchs, da ist es im Endeffekt egal, was du machst, weil immer einer durchkommt. In Deutschland gibt es allein durch das Behördensystem verschiedene Gruppen, die an anderen Orten trainieren. Das ist der größte Unterschied zu unserer Philosophie.
SPORT1: Nun stehen die Olympischen Spiele an. Haben Sie konkrete Ziele?
Lukas: Ich bin da relativ entspannt. Ich will die Athleten in eine gute Form bringen, was dann passiert, kann ich nicht beeinflussen. Natürlich gibt es ein offizielles Ziel vom Verband, was meiner Meinung nach realistisch ist. Wir wollen mindestens eine Medaille bei den Frauen und bei den Männern gewinnen.
Wie sehr Corona mental belastet
SPORT1: Mit welchen Erwartungen gehen Sie an die Olympischen Spiele?
Lukas: Die politische Situation ändert für uns Trainer und Athleten nicht viel. Da wurde alles im Vorfeld bereits gesagt. Mein Job ist es, die Athleten in Topform zu bringen. Wo und wann die Wettbewerbe stattfinden, bestimme ich nicht, sondern der Wettbewerbskalender. Die Corona-Situation wird uns, denke ich, Probleme machen. Ich war seit acht Wochen nicht mehr zu Hause, das Risiko, diese Bubble zu verlassen, ist zu groß. Das gleiche gilt für die Athleten. Es ist sicherlich eine Situation, die den ein oder anderen mental belastet. Viele haben eine Familie zu Hause, aber die Athleten sind zehn Wochen unterwegs und sind in Einzelzimmern untergebracht. So ein bisschen hat man auch Angst, was passiert, wenn jemand positiv ist. Solche Gedanken rauben einem die Kraft und ein bisschen den Spaß.
SPORT1: Sie haben bei den Frauen und bei den Männern je ein Geschwisterpaar im Team. Man hat das Gefühl, dass der/die jüngere bei beiden eher der Überflieger ist. Ist dies ein Zufall in Ihren Augen?
Lukas: Ich glaube, dass das kein Zufall ist. Dasselbe war bei Simon und Martin Fourcade der Fall. Bei Elvira und Hanna Öberg ebenfalls. Du hast immer die große Schwester vor dir, versuchst Sachen zu übernehmen und läufst hinterher. Du lernst viel von ihr und schaust dir Sachen ab und lernst dazu. Ich denke, da liegt ein großer Unterschied. Du bist anfangs etwas der Nachzügler, hast weniger Druck, gerade wenn die große Schwester viel Druck hat. Du kannst dich einfach besser entwickeln. Das sind für mich die ausschlaggebenden Punkte.
Elvira Öberg auf den Spuren von Johannes Thingnes Bö
SPORT1: Sehen Sie in Elvira Öberg das Potenzial, die weibliche Version von Johannes Thingnes Bö zu werden?
Lukas: Sie hat die Qualität dazu. Elvira ist sehr jung, da kann in ihrer Karriere noch viel passieren. Sie ist sehr gut, hat aber definitiv Dinge, die wir entwickeln können. Gerade im Kraftbereich.
Lukas will sich bei Fußball-Verein weiterbilden
SPORT1: Macht Ihnen das „skurrile Liebesviereck“ im schwedischen Team Sorgen?
Lukas: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Mir war das ganze länger bekannt, bevor es an die Medien ging. Wir haben klar und deutlich kommuniziert: Wer in meinem Team dabei sein will, muss als Teamplayer funktionieren. Sollte dies nicht der Fall sein, ist es den Athleten freigestellt, das Team zu verlassen. Privatfälle kann und will ich nicht beeinflussen, ebenso wenig, was jeder auf seinem Zimmer macht. Bisher hat das sehr gut funktioniert.
SPORT1: Machen Sie sich grundsätzlich Gedanken, was Ihre weitere Karriere betrifft?
Lukas: Ich fühle mich aktuell sehr wohl. Ich habe mir inzwischen viel Wissen über Biathlon angeeignet, verstehe den Sport sehr gut und bin sehr innovativ. Dementsprechend versuche ich, den Sport weiterzuentwickeln und natürlich auch das Training. Ich bin jetzt 28 Jahre alt und schließe nie aus, dass ich eines Tages etwas anderes machen will. Aber die nächsten vier Jahre bis zu den nächsten Olympischen Spielen möchte ich beim Biathlon bleiben. Ich habe aber vor, im nächsten Jahr ein Praktikum in einem anderen Sport zu machen, sofern die Corona-Situation das zulässt. Ich überlege, Richtung Fußball zu gehen und mir andere Trainings- und Arbeitsmethoden anzuschauen. Ich möchte als Trainer nicht abstumpfen, möchte immer dazu lernen und der Fußball ist der fortgeschrittendste Sport in Deutschland, deshalb steht das im nächsten Jahr auf meiner Agenda.
SPORT1: Haben Sie einen Verein im Kopf?
Lukas: Ich habe gewisse Vereine im Kopf, wo man einen Kontakt herstellen kann. Der Fokus darauf liegt aber nach Olympia.