Die deutsche Biathlon-Hoffnung Selina Grotian wurde nicht ohne Grund immer wieder mit Legenden des Sports verglichen. Die 20-Jährige hat im vergangenen Winter ihre erste richtige Saison im Weltcupteam bestritten, die sie selbst als „extrem anstrengend“ bezeichnete.
Biathlon-Hoffnung: „Das ärgert einen“
Im Rahmen des Wings for Life World Run sprach sie exklusiv mit SPORT1 über ihre bisherige Karriere. Sie verriet, auf was sie durch ihren Sport verzichten muss und äußerte sich zur Zukunft des Biathlons.
SPORT1: Wie bewerten Sie Ihre erste richtige Saison im Weltcupteam?
Selina Grotian: Am Anfang war ich schon etwas enttäuscht von meiner Leistung, aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto wertvoller ist es mir eigentlich auch vorgekommen. Am Anfang lief es nicht ganz so recht und hinten raus wurde es dann immer besser und ich habe mich immer mehr wohlgefühlt.
Neuner? „Am Anfang war es ein krasser Vergleich“
SPORT1: Sie sind Deutschlands Nachwuchs-Hoffnung im Biathlon. Wie gehen Sie mit den Vergleichen mit Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier um? Was macht das mit Ihnen?
Grotian: Mittlerweile nicht mehr ganz so viel, weil ich es jetzt schon gewohnt bin. Am Anfang war es natürlich ein krasser Vergleich, aber ich sehe das eigentlich eher als Kompliment.
SPORT1: Würden Sie die beiden auch als Vorbilder bezeichnen?
Grotian: Früher auf jeden Fall. Mittlerweile habe ich nicht mehr so direkt ein Vorbild, aber natürlich kann man sich von den beiden extrem was abschauen.
SPORT1: Haben Sie Vorbilder abseits vom Sport?
Grotian: Nicht konkret. Ich schaue mir eigentlich von jedem ein bisschen was ab. Ich finde es immer faszinierend, was Sportler alles erreichen können.
Biathlon-Hoffnung: „Das war für mich eine Riesen-Herausforderung“
SPORT1: Woran wollen Sie im Sommer besonders arbeiten?
Grotian: Ich wollte das Augenmerk ein bisschen mehr auf das Schießen legen. Das hat letztes Jahr zum Schluss hin gut geklappt, aber am Anfang war ich noch nicht auf dem Punkt da. Ich habe mir natürlich selbst ein paar Ziele gesetzt, die ich für den Sommer erreichen will.
SPORT1: Was halten Sie vom Massenstart im Biathlon? Setzt er Sie unter Druck?
Grotian: Ich muss schon sagen: Massenstart war noch nie so wirklich mein Ding. Es kommt der Startschuss und dann ist alles so hektisch, das mag ich nicht so gerne. Aber es ist, glaube ich, die Königsdisziplin im Biathlon, weil du da wirklich Frau gegen Frau kämpfst. Du wirst am Schießstand wirklich sehr unter Druck gesetzt, weil die Erste schon einen Schuss gesetzt hat und du vielleicht noch nicht einmal am Anschlag bist. Und deswegen war es für mich letztes Jahr eine Riesen-Herausforderung, weil ich einfach noch nicht so weit war. Aber ich denke, es ist auf jeden Fall eine extrem wichtige Disziplin oder sogar die wichtigste Disziplin. Und wenn man die beherrscht, dann ist man im Game angekommen.
SPORT1: Unter dem Aspekt des Klimas hat zuletzt die WM gezeigt, dass es immer schwieriger wird, unter geeigneten Bedingungen Wettkämpfe auszutragen. Denken Sie, es ist eine Kalender-Umstrukturierung nötig, damit genügend Schnee vorhanden ist?
Grotian: Da könnte man schon den Kalenderplan ein bisschen anpassen. Vielleicht könnte man ein bisschen später anfangen und einfach gucken, wo der Schnee liegt und das darauf ausrichten. Das würde uns viel bringen, weil letztes Jahr nicht immer perfekte Bedingungen waren. Leider geht es dann auch nicht immer ganz fair daher und das ärgert einen natürlich schon.
SPORT1: Gibt es darüber interne Diskussionen?
Grotian: Soweit ich weiß, schaut die IBU schon sehr auf die Ausrichtung, auch wegen der Umwelt. Wenn dann nämlich ganz Europa nach Amerika fliegen muss, ist es natürlich auch nicht perfekt. Es ist ein extrem schwieriges Thema und ich bin froh, dass wir uns als Sportler nicht darum kümmern müssen.
„Dann macht man sich angreifbar“
SPORT1: Sie sind recht aktiv auf Instagram und haben zuletzt Ihre Reisen mit dem Van geteilt. Ist das Reisen ein Ausgleich für Sie?
Grotian: Ich war letztes Jahr nach der Saison in Norwegen und habe gemerkt, dass ich diese Saison ein bisschen mehr Abstand zum Schnee brauche. Dieses Camper-Leben, wo du spontan überall ohne Plan hinreisen kannst, hat mir dieses Jahr nach der Saison extrem geholfen. Es war mental auch eine extrem anstrengende Saison im Weltcup. Der Urlaub hat mir extrem gutgetan.
SPORT1: Vanessa Voigt hat in letzter Zeit schlechte Erfahrungen mit Social Media gemacht und viel Hass erlebt. Erleben Sie Ähnliches?
Grotian: Zum Glück noch nicht. Es ist extrem schwierig, wenn man seinen mentalen Zustand herausposaunt. Dann macht man sich angreifbar. Andererseits finde ich es extrem cool und stark, wenn man die Ehrlichkeit hat und alles sagt, was man auf dem Herzen hat.
„Nicht der Typ, der sowas krass an sich heranlässt“
SPORT1: Könnten Sie sich vorstellen, bei der nächsten WM auf Social Media zu verzichten?
Grotian: Ich gehe da optimistisch ran. Ich bin nicht der Typ, der sowas krass an sich heranlässt. Ich weiß, dass ich viele Leute habe, die hinter mir stehen und an mich glauben. Das ist für mich wichtiger, als die einzelnen Hate-Kommentare zu sehen.
SPORT1: Sie sind erst 20 Jahre alt und nehmen schon an den wichtigsten Wettbewerben teil und leben einen anderen Alltag als die meisten in Ihrem Alter. Denken Sie da manchmal drüber nach?
Grotian: Die letzten zwei Jahre habe ich mir das extrem zu Herzen genommen. Als Sportler muss man echt auf sehr viele Sachen verzichten und wenn man Freunde erlebt, die ihr Uni-Leben haben und feiern gehen, dann vermisst man das manchmal schon. Man muss echt auf viel verzichten. Aber ich bin extrem dankbar, dass ich meinen Sport so ausführen und mit dem Zoll und den Sponsoren mein Geld verdienen darf. Ich glaube, das ist etwas sehr Besonderes und das Privileg hat auch nicht jeder.