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Comeback als Mama? Miriam Neureuther sieht zu viele Missstände

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Comeback als Mama? Miriam Neureuther sieht zu viele Missstände

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Comeback? Was Neureuther abhält

Miriam Neureuther spricht im SPORT1-Interview über die Biathlon-WM, gesellschaftliche Probleme im Wintersport und ihr neues Leben.
Miriam Neureuther gewann zweimal WM-Gold in der Biathlon-Staffel
Miriam Neureuther gewann zweimal WM-Gold in der Biathlon-Staffel
© IMAGO/Sven Simon
Miriam Neureuther spricht im SPORT1-Interview über die Biathlon-WM, gesellschaftliche Probleme im Wintersport und ihr neues Leben.

Sie gewann Olympia-Silber im Skilanglauf, holte im Biathlon zweimal WM-Gold an der Seite von Magdalena Neuner und insgesamt sieben Weltcup-Siege im Einzel und in der Staffel.

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Miriam Neureuther (damals: Miriam Gössner) zählte einst zu den erfolgreichsten deutschen Wintersportlerinnen, ehe ein schwerer Radunfall 2013 ihre junge Karriere nachhaltig zurückwarf. Ihre aktive Karriere hat die Ehefrau von Felix Neureuther 2019 endgültig beendet, ein gefragter Star ist sie allerdings noch immer.

Im SPORT1-Interview spricht die 33-Jährige - am Freitag, 18.30 Uhr auch zu Gast bei „SKI & BERGE - Das DSV Magazin im TV auf SPORT1 - über ihr neues Leben als dreifache Mutter und ihre positiven und negativen Eindrücke von der Biathlon-WM in Nove Mesto. Zudem äußert sie auch kritische Ansichten zu Missständen im alpinen Skisport, dem Umgang des IOC mit Russland und einen Mangel an Gleichberechtigung im deutschen Wintersport.

SPORT1: Frau Neureuther, Ihr endgültiger Rücktritt vom Leistungssport ist mittlerweile bald fünf Jahre her. Was steht aktuell im Mittelpunkt Ihres Lebens?

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Miriam Neureuther: Der Mittelpunkt meines Lebens ist ganz klar meine drei Kinder und mein Mann. Wir versuchen wie jede andere Familie auch, durch unser Leben zu schippern, gesund zu bleiben und eine schöne Zeit zu verbringen.

SPORT1: Ihre Familie musste im vergangenen Jahr den Tod Ihrer Schweigermutter Rosi Mittermaier verkraften, erst vor einigen Monaten hatten Sie zusammen mit Schwiegerpapa Christian Neureuther einen gemeinsamen TV-Auftritt bei der Show „Dalli Dalli“, in dem dieser sehr berührt war, dass Sie quasi Rosis Platz eingenommen haben. War das für Sie auch ein besonderer Moment?

Neureuther: Ja, es war schön, seine lieben Worte zu hören. Wir sind eine Familie, die sich sehr, sehr nahesteht, Felix‘ Familie und meine Familie. Wir haben alle sehr guten und sehr viel Kontakt miteinander, sehen uns eigentlich täglich. Es war für mich da auch eine Art von Ehre, den Platz an seiner Seite einzunehmen. Es war ein schönes gemeinsames Erlebnis.

SPORT1: Im vergangenen Monat stand die Biathlon-WM in Nove Mesto bei Wintersport-Fans im Mittelpunkt des Interesses. Wie eng ist Ihre Verbindung in die frühere Sportart noch?

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Neureuther: Ich bin natürlich nach wie vor großer Biathlon-Fan und finde, dass es eine der besten Sportarten ist, die es gibt. Natürlich fiebere ich auch noch mit der deutschen Mannschaft und einzelnen Athleten mit. Persönlich habe ich, nachdem mittlerweile ja etwas Zeit vergangen ist, nicht mehr zu allen den größten Kontakt. Mit Franziska Preuß zum Beispiel aber habe ich weiter einen persönlichen Draht, wir verstehen uns sehr gut.

Miriam Neureuther gab Franziska Preuß bei WM Zuspruch

SPORT1: Preuß hatte bei der WM trotz ihres starken Comebacks in diesem Winter einmal mehr viel Pech, blieb ohne Medaille. Nun entging ihr wegen einer anhaltenden Erkrankung auch die Chance auf die kleine Kristallkugel im Einzel. Haben Sie da zuletzt Zuspruch geben müssen?

Neureuther: Ich weiß ja, wie es ist: Wenn es nicht so läuft, hauen viele auf einen drauf. Ich habe ihr deshalb nach der Mixed-Staffel eine Nachricht geschrieben, dass wir an sie denken und dass sie so viel mehr zu bieten hat als in diesem einen misslungenen Rennen, das jedem passieren kann. Das Schöne ist, dass sie im Sprint dann gleich zeigen konnte, dass sie es besser kann - schade, dass dann danach wieder die Gesundheit nicht mitspielte und es ihr weiter zu schaffen macht. Man muss die Sachen aber letztlich auch ins rechte Licht rücken. Es ist nur Sport. Viele Fans sehen das, was im Sport passiert, als dramatischer an, als es eigentlich ist.

SPORT1: Anstelle von Preuß hatten andere deutsche Teamkolleginnen unerwartete Freudentage: Janina Hettich-Walz mit Silber im Einzel, die zuvor formschwache Sophia Schneider, die Bronze in der Staffel gesichert hat, für die sie eigentlich nicht nominiert werden sollte. Haben Sie diese Geschichten besonders gefreut?

Neureuther: Ja, natürlich. Wahnsinn, dass Janina sich da eine Silbermedaille holen konnte. Das hat sie sich verdient. Wirklich großes Kino. In der Staffel war es ein kleines Auf und Ab der Gefühle. Sophia hat das an Ende dann toll gemacht und die Bronzemedaille abgesichert. Die Mädels haben es an dem Tag alle gut gemacht. Es gab andere Nationen, die größeren Favoriten waren, aber mit zu vielen Schießfehlern die Tür aufgemacht haben. Dann muss man aber auch durchgehen und ich finde, sie haben das geschlossen als Mannschaft richtig gut gemacht.

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SPORT1: Top-Talent Selina Grotian hat mit Platz 4 im Einzel bei ihrem WM-Debüt auch ein viel größeres Ausrufezeichen gesetzt als erwartet. Was macht sie so besonders?

Neureuther: Es ist immer schwierig, jemanden zu beschreiben, wenn man nicht richtig nah dran ist. Ich kenne Selina und ihren Bruder schon etwas länger, da wir am gleichen Ort trainiert haben, aber wegen des Altersunterschieds kann ich letztlich auch nur das einschätzen, was ich medial mitbekomme und von den Trainern höre. Ich kann so viel sagen: Sie hat gute Voraussetzungen, da sie läuferisch vorn mitlaufen und auch schießen kann. Und wer bei einer WM viermal Null schießt, der kann wirklich schießen. Jetzt geht es darum dranzubleiben, weiter zu trainieren, stabiler zu werden und das Ganze auch zu vereinen. Sie hat absolut das Zeug dazu. Ich würde mich richtig freuen, wenn das für sie aufgeht.

“Schade, was soziale Medien mit der Gesellschaft machen“

SPORT1: Für eine größere Diskussion - speziell auch in Ihrer zweiten Heimat Norwegen - hat Vanessa Voigt gesorgt, als sie während der WM über abschätzige Kommentare in den sozialen Medien sprach. Rekordweltmeister Ole Einar Björndalen nannte es „sehr amateurhaft“, sich davon während einer WM beeinflussen zu lassen. Hat er Recht?

Neureuther: In der Sache ist was dran, dass man sein Smartphone bei so einem Anlass einfach nicht einschalten könnte. Da gebe ich dem Ole schon recht. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Ich war auch eine Athletin, die sich solche Dinge stark zu Herzen genommen hat. Ich habe dann aber mein Handy einfach ausgeschaltet und habe mir die Kommentare gar nicht durchgelesen. Ich wusste genau, dass mich das trifft und meine Leistung dadurch nicht besser wird. Ich verstehe aber auch, dass Vanessa sich verteidigen will, dass sie sagt: Ich schieße nicht mit Absicht daneben, ich laufe nicht mit Absicht langsam. Wenn man dann von jemandem, der in seinem Leben noch nie eine Biathlonwaffe oder einen Langlauf-Ski in der Hand hatte, kritisiert wird, ist das verletzend. Ich finde es wahnsinnig schade, was die sozialen Medien mit der Gesellschaft machen. Dass man Leute anonym beschimpfen kann, ohne dabei irgendwelchen Konsequenzen ausgesetzt zu werden, finde ich schwierig. Es gibt aber eine andere Sache, die mir bei Vanessa nicht gefallen hat bei dieser WM.

Voigts Material-Kritik: „Das macht man nicht“

SPORT1: Welche?

Neureuther: Wie sie über die Techniker gesprochen hat. Dass sie so oft negativ über das Thema Material geredet hat - auch vor der WM - fand ich nicht gut, das kann man als Athlet so nicht machen aus meiner Sicht. Die Techniker geben immer ihr Allerbestes, stehen morgens früh auf und versuchen alles, um den Athleten die besten Ski zur Verfügung zu stellen. Und umgekehrt kann es ihnen auch passieren, dass sie dir eine Rakete an den Fuß geben und du schießt dann fünfmal daneben. Da willst du auch nicht, dass der Techniker um die Ecke kommt und sagt: „Mein Gott, bist du doof.“ Das macht man nicht und genauso wenig ist es in Ordnung, sich nach jedem Rennen über das Material zu beschweren. Einmal den Finger in die Wunde zu legen: völlig in Ordnung. Aber so oft? Um sich das rauszunehmen, muss man eine andere Art von Leistung zeigen und einen anderen Stellenwert im Team haben.

Neureuther wünscht sich härteren Russland-Kurs des Sports

SPORT1: Ein Thema, das über den Biathlon hinausgeht: Sie sind als Botschafterin beim Verein „Athletes for Ukraine“ engagiert. Wie stehen Sie zu der Linie des IOC zur Zulassung russischer Athleten unter neutraler Flagge bei Olympia in diesem Jahr? Fairer Kompromiss - oder hätten Sie sich mehr gewünscht?

Neureuther: Ich hätte mir da schon mehr gewünscht. Einfach um ein Statement zu setzen. Ich glaube, der Sport hat eine große Wirkung und dass es ein starkes politisches Zeichen wäre, wenn alle Athleten einer Nation, die einen solchen Krieg beginnt, als Konsequenz ausgeschlossen werden. Die Hintertür mit den neutralen Athleten finde ich schwierig, auch wenn mir klar ist, dass es ein schwieriges Thema ist: Ich kenne selbst einige russischen Athleten, die wirklich nichts mit diesem Krieg am Hut haben und ganz tolle Menschen sind. Genauso wie es auch viele Sportler gibt, die diesen Krieg unterstützen, auch das gehört zur Wahrheit. Es ist ein Problem, das auszutarieren, am Ende kann man keine Gesinnungstests machen und es ist bitter, wenn ein Startverbot Athleten trifft, die persönlich wirklich keine Schuld trifft. Aber es wäre trotzdem ein stärkeres Signal des Sports, ein klareres Nein zu Russland zu sagen und das System damit zur Verantwortung zu ziehen.

SPORT1: Der alpine Ski-Weltcup ist in dieser Saison von vielen Absagen wegen Wetter- und Umwelteinflüssen beeinträchtigt worden - ein Thema, das ihrem Mann Felix sehr am Herzen liegt. Wie sehen Sie es? Hört der Weltverband FIS nicht genug auf die Alarmsignale?

Neureuther: Solange die aktuelle Leitung der FIS um Johan Eliasch im Amt bleibt, wird es nach meiner Ansicht leider wirklich schwer, dort etwas zu bewegen. Klar muss ein Umdenken her. Ich finde es unglaublich, dass man mehrmals im Jahr nach Amerika fliegt, anstatt die Rennen dort am Stück durchführen zu lassen. Oder die Matterhorn-Rennen in Zermatt, die zum zweiten Mal in Folge ausgefallen sind, weil sie in den November gelegt worden sind, zu einem Zeitpunkt, an dem dort schlechte Bedingungen herrschen - obwohl es wirklich genügend Warnungen von Experten gegeben hatte. Es ist bitter, dass solche Dinge passieren, nicht umsonst geschehen zurzeit so viel Verletzungen. Das sind ja alles Topathleten, die es da erwischt. Aber wenn man sich anschaut, wie die da hin und her geschickt werden, wundert es mich auch nicht, dass sowas passiert, die Reisestrapazen, der ständige Wettkampfstress treiben den Körper irgendwann über die Grenze. Da muss man sich mal zusammensetzten und ein Konzept erstellen, bei dem die Athletensicherheit wieder mehr in Vordergrund steht.

Mütter im Wintersport: „Tür relativ geschlossen“

SPORT1: In den vergangenen Jahren haben mehrere prominente Sportlerinnen wie Caroline Wozniacki oder Angelique Kerber ein Comeback gefeiert, auch um als Mutter ein gesellschaftliches Zeichen zu setzen. Hatten Sie den Gedanken auch mal?

Neureuther: Nach der Geburt unserer ersten Tochter hatte ich es ja überlegt. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich gemerkt habe: Wir sind in unserer Gesellschaft noch nicht an den Punkt gekommen, dass man als Mutter wieder so teilnimmt, wie ich es mir wünschen würde. Mir zum Beispiel wurde von vielen Leuten gesagt, dass ich jederzeit willkommen bin. Aber halt ohne mein Kind. Und das wollte ich nicht, ich habe ein Kind bekommen, um eine Mama zu sein. Ich finde es sehr schwer, Karriere und das Mutterdasein gleichwertig zu betreiben. Nicht falsch verstehen: Es ist machbar und es muss machbar sein und dass Frauen wie Angelique Kerber es zeigen, finde ich toll. Es ist auch so, dass du als Mutter nochmal ganz andere Stärken in dir entdeckst, dass du ein neues Verhältnis zu den Dingen, eine neue Gelassenheit entwickelst, die dir im Sport absolut hilft – als Vater übrigens ja auch und da ist es ja in aller Regel kein Thema, dass die Karriere weitergeht. Für Mütter im Wintersport ist die Tür dafür dagegen noch relativ geschlossen, zumindest in Deutschland.