Acht Jahre ist es inzwischen her, dass Maria Höfl-Riesch ihre Karriere als Ski-Rennläuferin beendet hat. Die dreimalige Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterin war eine der schillerndsten Figuren im deutschen Wintersport.
Dreßen? “Es ist tragisch“
Im SPORT1-Interview spricht die 37-Jährige unter anderem über die Chancen der DSV-Starter rund um Lena Dürr und Thomas Dreßen, der nach einer schweren Verletzung zurückkommt.
Auch zum umstrittenen Matterhorn-Rennen, das in diesem Jahr aufgrund des Wetters nicht stattfinden wird, vertritt sie eine klare Meinung.
SPORT1: Frau Höfl-Riesch, die Wintersport-Saison hat mit dem Riesenslalom in Sölden schon begonnen. Kribbelt es bei Ihnen noch, wenn Sie die Sportler*innen die Strecke herunterfahren sehen?
Maria Höfl-Riesch: Bei meinen Lieblingsstrecken wie zum Beispiel Lake Louise oder beim Heimrennen in Garmisch kribbelt es noch bei mir. Aber ohne Wehmut. Es sind die Erinnerungen, die hochkommen und einfach schön sind.
SPORT1: Lake Louise ist für das nächste Jahr aus dem Weltcup-Kalender gestrichen worden. Sind Sie traurig darüber?
Höfl-Riesch: Ich bin immer sehr gerne nach Lake Louise gefahren, weil es eine gute Strecke für mich war und ich dort fünf Abfahrten gewinnen konnte. Vor Ort herrschte immer eine schöne vorweihnachtliche Stimmung und es war meist sehr kalt. Es ist sehr schade, denn die Strecke ist seit langer Zeit ein fester Bestandteil im Ski-Weltcup-Kalender.
Matterhorn-Rennen hat „Schattenseiten“
SPORT1: Die Rennen auf der neuen Strecke am Fuße des Matterhorns mussten aufgrund des Wetters abgesagt werden. Wie stehen Sie zu der Idee der neuen Strecke?
Höfl-Riesch: Grundsätzlich finde ich neue und spektakuläre Ideen eigentlich ganz gut. Wir reden seit langer Zeit im Ski-Sport darüber, dass sich etwas verändern muss, um das Interesse zu steigern und auch die junge Generation zu erreichen. Aber es gibt auch Schattenseiten. Es ist nicht ganz ohne, auf fast 4000 Meter eine so lange Abfahrt zu fahren. Andererseits sollten alle zu Beginn der Saison noch die Kräfte haben, um so eine Abfahrt zu meistern.
SPORT1: Wie sehen Sie die Zukunft im Ski-Sport mit Bezug auf die Nachhaltigkeit?
Höfl-Riesch: Der Sport im Allgemeinen und natürlich auch der Ski-Sport hat eine gewisse Verantwortung. Aber der Sport hat die Verantwortung auch nicht nur alleine. Jeder Einzelne, aber auch große Konzerne und Organisationen müssen ihren Beitrag dazu leisten. Das ist ganz wichtig. Im Rahmen seiner Möglichkeiten tut der Ski-Sport es in diesem Winter auch schon. Ich habe aus vielen Skigebieten gehört, dass sie die Betriebszeiten der Bahnen verkürzen wollen. Alle hoffen auf einen kalten Winter, um möglichst wenig die Beschneiungsanlagen anwerfen zu müssen.
Höfl-Riesch hofft auf nächsten Schritt bei Weidle
SPORT1: Was trauen Sie den deutschen Fahrerinnen um Lena Dürr in diesem Jahr zu?
Höfl-Riesch: Lena ist endlich in der Weltspitze angekommen und hat den Weg in die Slalom-Weltelite geschafft. Das hat mich sehr gefreut. Sie hat bereits viele Weltcup-Jahre in den Beinen. Als ich noch gefahren bin, ist sie als junges Talent ins Team gekommen und blieb viele Jahre unter ihren Erwartungen. Aber umso schöner ist es, dass es nun geklappt hat und es wäre in Peking ja sogar fast eine olympische Medaille geworden. Es war viel Pech dabei, dass sie so knapp daran vorbeigeschrammt ist. Ich denke, dass sie nach der tollen vergangenen Saison jetzt hochmotiviert und definitiv in der Lage ist, erneut ganz vorne mitzufahren. Leider ist sie da aus deutscher Sicht ziemlich alleine. Es gibt noch Emma Aicher, die das Potenzial hat, mittelfristig in mehreren Disziplinen vorzustoßen. Außer Kira Weidle in der Abfahrt sieht es auf der Speed-Seite leider etwas mau aus. Ich hoffe, dass Kira auch im Super-G einen Schritt nach vorne macht, weil das nötige Ski- und Technikgefühl hat sie.
SPORT1: Was muss Ihrer Meinung nach der deutsche Alpin-Sport machen, um weitere Fahrinnen auf ein Top-Level zu bekommen?
Höfl-Riesch: Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess, der sich über viele Jahre abspielt. Im Nachwuchs habe ich zu wenig Einblick, da bin ich nicht mehr nah genug dran. Aber Emma Aicher wäre für mich eine Kandidatin, die in allen Disziplinen Potenzial hat. Es wächst eine vielversprechende Allrounderin heran. Ich hoffe, dass die neue Generation Fuß fasst und der DSV dann etwas breiter aufgestellt ist.
SPORT1: Die deutschen Verantwortlichen haben Romi Remme aus Kanada ins DSV-Team geholt. Was kann sie der deutschen Mannschaft an Extraschub geben?
Höfl-Riesch: Wahrscheinlich hat sie in Kanada nicht mehr die Förderung oder den Startplatz bekommen und unterstützt bzw. bereichert jetzt aufgrund ihrer deutschen Großmutter ein nicht sehr breit aufgestelltes DSV-Team. Sie ist ebenfalls ein Allround-Talent, aber hat bisher noch nicht den großen Durchbruch geschafft. Vermutlich hat sie jetzt die Hoffnung, dies beim DSV schaffen zu können.
„Es ist tragisch, was Thomas Dreßen passiert ist“
SPORT1: Mit Blick auf die Herren kommt Thomas Dreßen nach einer Knieverletzung wieder zurück. Was trauen Sie ihm zu?
Höfl-Riesch: Es ist tragisch, was ihm in den letzten Jahren aufgrund der Verletzungen passiert ist. Er hatte bereits als junger Fahrer einige Male aufhorchen lassen. Man konnte früh sehen, dass da jemand kommt, der über kurz oder lang vorne mitmischen kann. Zudem ist sein Wahnsinnserfolg in Kitzbühel mit dem Streif-Sieg unvergessen. Leider musste er zuletzt durch das Tal der Verletzungen gehen und ich wünsche ihm, dass er wieder angreifen und an seine Erfolge anknüpfen kann.
SPORT1: Wie schwierig ist es nach einer Knieverletzung wieder die Sicherheit auf den Skiern zu erlangen?
Höfl-Riesch: Es kostet viel Überwindung, denn man benötigt wieder Vertrauen in den Körper. Und auch mental ist es für ihn wichtig, sich bei schwierigen Sicht- und Pisten-Verhältnissen wieder zu trauen, volles Risiko zu gehen. Das wünsche ich im sehr. Es wird kein einfacher Weg nach so einer Leidenszeit. Aber ich bin zuversichtlich, denn er hat die körperlichen Voraussetzungen und das nötige Skigefühl. Ich hoffe, dass wir noch viel Freude an ihm haben werden.
SPORT1: Linus Straßer hat eine starke vergangene Saison gezeigt. Trauen Sie ihm zu, seine Leistungen wieder zu bestätigen?
Höfl-Riesch: Linus hatte bereits vor einigen Jahren gute Ergebnisse, ist aber dann am Erwartungsdruck gescheitert. Seitdem ist er auf seinem Leistungsniveau etwas hängen geblieben, aber die vergangene Saison war auf jeden Fall ein Schritt nach vorne. Es hat insgesamt trotzdem noch etwas an der Konstanz gefehlt, aber man darf auch vom einem auf das andere Jahr keine Wunder erwarten. Der Schritt in der vergangenen Saison war gut und der nächste Schritt sollte sein, konstant solche Leistungen abrufen zu können. Bei den Herren gibt es zwar eine enorme Dichte an sehr guten Fahrern, aber Linus ist ein großes Talent und hat es schon oftmals unter Beweis gestellt.
Höfl-Riesch mit klarer Forderung an Verbände
SPORT1: Wem aus dem deutschen Team trauen Sie eine Überraschung zu?
Höfl-Riesch: Auf der Techniker-Seite eher niemandem. Stefan Luitz hat noch mit den Nachwirkungen seiner Verletzung zu kämpfen. Alexander Schmid fährt seit einigen Jahren mal besser, mal schlechter. Bei ihm würde ich mir häufiger den Killerinstinkt wünschen, damit er den letzten kleinen Schritt, der ihm zum Siegfahrer noch fehlt, machen kann. Auf der Speed-Seite sieht das Ganze eigentlich ähnlich aus. Wir haben viele starke Athleten, die an einem guten Tag vorne mitmischen können, aber nicht dieses Seriensieger-Gen haben. Es wäre schön, wenn sie eine Konstanz entwickeln würden, um ihr Leistungsvermögen häufiger abrufen zu können.
SPORT1: Zum Abschluss noch ein ganz anderes Thema. Die talentierte Lara Colturi ist vom italienischen zum albanischen Verband gewechselt. Aufgrund dessen gab es Zoff. Wie haben Sie die Ereignisse wahrgenommen?
Höfl-Riesch: Ich habe davon gelesen, es aber im Detail nicht direkt mitbekommen. Es ist ein schwieriges Thema. Mit Blick auf die Top-Fahrer machen das jedoch eigentlich die meisten so, dass sie sich ihr Team im Team aufbauen. Zu meiner Zeit haben das zum Beispiel auch schon Lindsey Vonn, Lara Gut und einige andere gemacht. Marcel Hirscher war das Paradebeispiel Nummer 1. Ich finde schon, dass die Verbände dafür offener werden müssen, denn die Top-Stars brauchen eine speziellere Betreuung. Ich habe als einzige Allrounderin im Team am Ende meiner Karriere auch ein paar notwendige Dinge eingefordert, und wenn ich heute noch fahren würde, würde ich das noch weitaus mehr tun. Meiner Meinung nach braucht es für die Weltspitze mehr Individualität und man muss das Bestmögliche für sich rausholen, wenn man auf höchstem Niveau erfolgreich sein will.