Die Schöne und das Biest, das liebreizende Schneewittchen gegen die böse Eishexe - Nancy Kerrigan und Tonya Harding kannten vor 28 Jahren auch Menschen, die Eis eigentlich nur als Würfel im Whiskyglas zu schätzen wissen.
Der größte Eiskunstlauf-Skandal
Zu spektakulär war einfach die wahrhaft dramatische Geschichte der beiden US-Eiskunstläuferinnen.
Eisenstangen-Skandal zwischen Kerrigan und Harding
Ausgangspunkt der beispiellosen Kufen-Saga ist der 6. Januar 1994. Kerrigan wird beim Training zu den US-Meisterschaften in Detroit von einem zunächst Unbekannten mit einer Eisenstange attackiert und am Knie verletzt. "Why me, why me?" - die markerschütternd gekreischte Frage der damals 24-Jährigen ist Breaking News im US-TV, über Stunden hinweg.
Tage später wird der gedungene Attentäter Shawn Eckhardt dingfest gemacht. Und gesteht das Ungeheuerliche: Angeheuert habe ihn Jeff Gillooly, damaliger Ehemann von Kerrigan-Rivalin Harding. Die oftmals operettenhafte Eiswelt ist entsetzt, der US-Verband reagiert und sperrt die sportlich qualifizierte Harding für die Olympischen Winterspiele in Lillehammer.
Medienrummel schon beim Training
Doch die damals 23-Jährige wehrt sich erfolgreich mit juristischen Mitteln, lässt ihre Anwälte auf die Unschuldsvermutung pochen. Dem Verband drohen immense Schadenersatzforderungen, er gibt klein bei und nimmt die nationale Titelträgerin nach Norwegen mit.
Das erste gemeinsame Training der US-Läuferinnen in einer kleinen Eishalle in Hamar wird zum Weltereignis. Eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn muss die Mini-Arena wegen Überfüllung geschlossen werden. Polizisten sichern die Ein- und Ausgänge, mehrere TV-Stationen übertragen live.
Hardings Trainerin Diane Rawlinson spuken die skurrilen Szenen bis heute im Kopf herum. „Es war der pure Irrsinn, alles war wie elektrisiert. Als die beiden Mädchen einmal knapp aneinander vorbeiliefen, klickten gleichzeitig Hunderte von Kameras“, erinnerte sich die mittlerweile 74-Jährige dazu einst in einem Interview.
Zwei Welten treffen im bitterkalten Skandinavien aufeinander. Hier Kerrigan, die bildschöne Tochter aus wohlbehütetem Ostküsten-Hause, dort Harding, die rotzige Göre aus Oregon mit prekärem familiären Hintergrund. Schneewittchen und Aschenputtel sozusagen.
Kein Happy-End für Kerrigan
Bei der Kürentscheidung schaut die gesamte Welt in das kleine norwegische Städtchen, allein 100 Millionen TV-Nutzer werden in den USA registriert. Dass Katarina Witt einen Comeback-Versuch startet, nicht einmal das interessiert mehr.
Gold für Harding oder Kerrigan? Von wegen, Olympiasiegerin wird in dieser denkwürdigen Nacht die zauberhafte Eis-Ballerina Oksana Bajul aus der Ukraine.
Silber geht an Kerrigan, Harding wird nur Achte. Es bleibt bis heute der letzte gemeinsame Auftritt. Harding soll mehrfach telefonisch ihre einstige Rivalin um Entschuldigung gebeten haben. Dem Vernehmen nach erfolglos.
Drama als Stoff für Hollywood
Zu gern hätte auch Hollywood den 2017 gedrehten Film „I, Tonya“ mit den beiden Protagonistinnen glamourös promotet. Doch während Harding bereitwillig mit der australischen Hauptdarstellerin Margot Robbie über Rote Teppiche flanierte, lässt Kerrigan die Filmbosse bis heute abblitzen: „Ich bin vollauf damit beschäftigt, mein eigenes Leben zu leben.“
Was der Streifen, der weltweit auch ohne die Unterstützung der mittlerweile 51-jährigen Kerrigan mehr als 50 Millionen US-Dollar einspielte, bei seinem Plot noch offen lässt, hatte Harding mittlerweile ein Stück weit eingeräumt. „Ich wusste, dass da irgendetwas lief“, gestand sie vor ein paar Jahren im Rahmen einer zweistündigen ABC-Dokumentation ein.
Aber längst ist das flüchtige Comeback im Scheinwerferlicht Vergangenheit, Harding lebt US-Berichten zufolge wieder in den Wäldern rund um Portland leben, irgendwo in Oregon.
Und weit, weit weg von ihren sportlichen Erfolgen, die vor einem Vierteljahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Schlag beendet waren.