Die Frau mit den langen blonden Haaren strahlt über das ganze Gesicht, als sie von Moderatorin Simona Rolandi in „Domenica Sportiva“, der renommiertesten Sportsendung im italienischen TV, angekündigt wird.
Deutschlands unbekannter Superstar
„Ganz Italien hat euch bei den Olympischen Spielen bewundert, wie ihr die Goldmedaille gewonnen habt. Wir haben Geschichte geschrieben“, sagt Rolandi voller Pathos, bevor die blonde Frau zu Wort kommt. Oder besser gesagt: Sie versucht, zu Wort zu kommen.
Wegen einer defekten Tonleitung zur Olympiasiegerin, die zu Hause sitzt und zugeschaltet ist, müssen mehrere Anläufe genommen werden, ehe sie doch noch gehört wird.
Dann aber erzählt die 23-Jährige von den aufregenden Tagen in Paris und wie sie mit den Volleyballerinnen die Goldmedaille nach Italien holte. Als Mittelblockerin, die die meiste Zeit auf dem Feld stand, hatte sie einen wesentlichen Anteil am historischen Triumph.
Kindheit zwischen Piombino und Kulmbach
Die blonde Frau heißt Sarah Fahr und ist spätestens seit diesen Augusttagen ein Superstar im italienischen Sport. Wenn man so will, dann ist sie aber auch eine deutsche Olympiasiegerin, die hierzulande kaum jemand kennt.
Fahr hat deutsche Eltern, ist in Kulmbach geboren, bevor die Familie nach Italien zog. Ihr Vater hatte einen Job als Skipper auf Elba gefunden, später ging es aufs Festland nach Piombino.
„Dort bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen“, erzählt Fahr bei SPORT1. „In den Ferien war ich immer in Deutschland, den Rest des Jahres habe ich in Italien verbracht.“
Vor allem die starke Bindung zu ihren Großeltern sorgte dafür, dass sie regelmäßig den langen Weg von der Toskana nach Oberfranken auf sich nahm. „Auf jeden Fall ist ein Teil von mir auch deutsch“, sagt Fahr. „Die Familie ist deutsch, zu Hause sprechen wir Deutsch. Ein Teil von mir ist an Deutschland gebunden.“
„Okay, lass uns mal Sarah bringen“
Sportlich allerdings habe nie zur Debatte gestanden, für Deutschland zu spielen, was vor allem am deutlich höheren Stellenwert des Frauen-Volleyballs in Italien liegt. Bereits mit 13 Jahren war Fahr so gut, dass sie in die Jugendnationalmannschaft der Azzurre berufen wurde. Weil sie dazu die italienische Staatsangehörigkeit benötigte, bekam sie diese zur deutschen dazu.
Ab da kannte die Karriere der 1,92 Meter großen Volleyballspielerin fast nur noch eine Richtung: nach oben. Schon mit 13 Jahren zog sie von zu Hause aus, ging nach Novara, später Mailand und dann Florenz. Bereits im Alter von 16 Jahren gab sie ihr Debüt für die Nationalmannschaft, als sie 2018 für die WM nominiert wurde.
„Da hatte ich Glück, denn auf meiner Position als Mittelblockerin hatten die anderen Spielerinnen Probleme. Deswegen hat der Trainer damals gesagt: ‚Okay, lass uns mal Sarah bringen‘, erzählt Fahr. Mit einer Silbermedaille kehrte sie damals zurück.
Den entscheidenden Schritt im Verein ging Fahr im Sommer 2020, wo sie bei Imoco Volley Conegliano unterschrieb und fortan alles gewann, was es zu gewinnen gab – inklusive der Champions League. Einen heftigen Rückschlag erlebte sie allerdings kurz nach den Olympischen Spielen in Tokio, als sie wegen zwei Kreuzbandrissen insgesamt eineinhalb Jahre pausieren musste.
Glänzendes Comeback nach zwei Kreuzbandrissen
Doch Fahr biss sich durch und glänzte bei ihrer Rückkehr, als sie 2023 mit Conegliano den italienischen Pokal holte. „Am meisten bedeutet mir dieser Titel nach meinen beiden Knieoperationen“, sagt sie und ergänzt: „Das war sehr emotional, weil es mein Comeback war und ich gut gespielt habe.“
Nach einer traumhaften Saison 2023/24, an deren Ende sie die Champions League gewann und beim Sieg in der Nations League zur besten Mittelblockerin gewählt wurde, folgte der ultimative Höhepunkt mit Olympia-Gold – inklusive eines ungewöhnlichen Planes, der letztlich voll aufging.
„Wir haben versucht, das Turnier zu normalisieren“, erzählt Fahr. „Das Problem bei Olympia ist, dass da immer tausend Emotionen im Spiel sind. Die Gefahr ist dann, dass man sich nicht auf das Wesentliche konzentriert.“ Deswegen habe man sich entschieden, nicht ins Olympische Dorf einzuziehen, sondern in einem Hotel außerhalb zu wohnen.
„Die Atmosphäre haben wir dann zwar nicht ganz so mitbekommen wie in Tokio, wo es komplett anders war“, sagt sie. „Aber es war wichtig für uns, dass wir nicht abgelenkt werden und immer nur ans nächste Spiel denken. Alles war ein bisschen relaxter, das hat uns sicherlich geholfen, den Fokus zu behalten.“
„Das sind eher deutsche als italienische Tugenden“
In einem perfekt abgestimmten Team unter dem argentinischen Trainerfuchs Julio Velasco schmetterten und blockten Italiens Frauen alles weg, was sich ihnen in den Weg stellte. Im gesamten Turnier verloren Fahr und Co. nur einen einzigen Satz, auch das Finale gegen die USA (3:0) war komplett einseitig.
Als sie dann auf dem Podium stand, die Goldmedaille um den Hals gehängt bekam und die italienische Hymne mitsang, kamen ihr die Tränen: „Ich hatte die Augen geschlossen und dann läuft alles, was du erlebt hast, worauf du in deinem Leben verzichtet hast, noch einmal in deinem Kopf ab. Das ergibt dann alles einen Sinn. Das war dann sehr emotional, und ich habe in dem Moment auch ein bisschen geweint.“
Die Feierlichkeiten zogen sich über Wochen hin, doch der Höhepunkt sollte erst am vergangenen Wochenende folgen. Da wurde sie mit dem gesamten Olympia-Team von Staatsoberhaupt Sergio Matarella empfangen und für die sportlichen Leistungen bei den Spielen in Paris geehrt.
Spätestens da wird klar, dass Sarah Fahr nicht nur auf dem Reisepass, sondern längst mit Leib und Seele Italienerin ist – ohne dass sie jedoch ihre deutschen Wurzeln leugnen würde, die zu diesem Triumph beigetragen haben.
„Ich glaube, dass die deutsche Mentalität, mit der ich aufgewachsen bin, auch einer der Gründe ist, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin“, sagt sie. „Zum Beispiel die Pünktlichkeit und die Arbeitsqualität. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es ganz oder gar nicht. Das sind eher deutsche als italienische Tugenden und die haben mir in meinem Leben geholfen.“