Leon Draisaitl lässt die Edmonton Oilers vom Stanley Cup träumen.
“Leon erinnert mich an Gerd Müller“
Der deutsche Nationalspieler hat in den laufenden Stanley Cup Playoffs in der NHL in neun Playoff-Spielen sensationelle 13 Tore geschossen. Zudem bereitete er vier Tore vor und kommt so auf 17 Scorer-Punkte für die Kanadier.
In Spiel drei der Serie gegen die Vegas Golden Knights gab es jedoch einen kleinen Dämpfer. Bei der 1:5-Pleite blieb der Deutsche erstmals in den diesjährigen Playoffs ohne Scorer. Dennoch ist er aktuell die große Oilers-Hoffnung im Kampf um den sechsten Titel der Franchise-Geschichte.
Diese Rolle unterstrich er unter anderem in Spiel eins der Serie, als ihm gleich vier Tore gelangen. Auch dank dieser Leistung scheint es für den Deutschen tatsächlich möglich, den Uralt-Playoff-Rekord von 19 Toren von Reggie Leach (Saison 1975/76) und Jari Kurri (1984/85) anzugreifen.
Diese mögliche Bestmarke dürfte Draisaitl aber reichlich egal sein, denn er will mit seinen Edmonton Oilers den ersten Stanley Cup nach einer Durststrecke von 33 Jahren nach Edmonton holen.
Draisaitls Defensive steht in der Kritik
Doch dafür muss der Nationalspieler auch sein Niveau in der Defensive auf ein höheres Niveau heben.
Gerade im eigenen Drittel zeigen sich immer wieder Schwächen. So auch bei der Offensive-Gala in Spiel eins gegen Las Vegas. Draisaitl erzielte zwar vier Tore, sah aber bei drei Toren des Gegners nicht gut aus. Am Ende verloren die Oilers mit 4:6.
David Staples vom Edmonton Journal stellte in seiner Einzelkritik nach dem Spiel fest: Ein verpatzter Check in der neutralen Zone habe zu einem frühen Gegentor geführt, und beim zweiten Gegentreffer habe er den Schützen Michael Amadio nicht konsequent genug gestört. Auch beim dritten Tor der Golden Knights habe er Schwächen im Defensiv-Verhalten gezeigt.
„In der Verteidigung spekuliert er einfach zu oft, anstelle einfach auf den Puck und seinen Gegenspieler zu schauen“, erklärt der Oilers-Experte David Staples im Gespräch mit SPORT1.
Draisaitl würde als Center in der defensiven Manndeckung eine besondere Rolle zukommen, da er sich auch um einen Stürmer des Gegners kümmern müsse. Hier sei er oft etwas unachtsam.
„Weil er so schlau ist und Spielzüge des Gegners lesen kann, verlässt er manchmal seine Spots in der Verteidigung, um in die Passbahnen zu kommen und den Puck zu klauen“, erklärt Staples: „Wenn er den Puck erobert, ist das natürlich super, aber wenn er den Puck nicht bekommt, hat er seine Position verloren und es stehen oft Spieler entweder frei vorm Tor oder haben im Umschaltspiel eine Überzahlsituation.“
Oilers-Fans wollten Draisaitl-Trade
Trotzdem müsse man festalten, das Draisaitl ganz sicher kein schlechter Defensive-Spieler sei. „Wenn Leon sich auf die Defensive konzentriert und fokussiert ist, kann er ein sehr starker Defensive-Spieler sein, vielleicht sogar einer der Besten, aber die meisten Offensive-Spieler jagen dem Puck nach, weil sie gleich wieder Offensive generieren wollen.“
Gerade in den oberflächlichen Statistiken wirkte es deshalb lange so, als wenn Draisaitl zu den schlechtesten Defensivspielern der Liga zählen würde. Deswegen wünschten sich einige Oilers-Fans zu Beginn seiner Karriere einen Trade und es gab auch einige Angebote.
„Ich glaube nicht, dass Edmonton ihn wirklich abgeben wollte, aber andere Teams haben sich nach ihm erkundigt. Montreal wollte ihn zum Beispiel 2016 und bot dafür P.K. Subban, doch Edmonton lehnte ab“, erinnert sich Staples.
Stattdessen gaben die Oilers damals Taylor Hall für Adam Larsson ab. „Das haben viele Fans nicht verstanden. Sie hätten lieber Draisaitl als Hall abgegeben.“
Diese Fans werden heute froh sein, dass ihr Management nicht auf sie gehört hat. Der Hall-Trade ging für Edmonton zwar auch nicht auf, doch der für Draisaitl gebotene P.K. Subban hat mittlerweile seine Karriere beendet und auch Taylor Hall spielt bei weitem nicht auf dem Niveau von Draisaitl.
Staples: Draisaitls Schuss toppt Ovechkin
So zählen die Oilers in dieser Saison ganz klar zu den Anwärtern auf den Stanley Cup und das gerade wegen Leon Draisaitl.
„In diesen Playoffs hat sein Schuss und auch sein Bewusstsein für die Offensive natürlich ein neues Level erreicht. Jeder weiß, dass er der gefährlichste Spieler auf dem Eis ist, seine Gegner finden aber einfach keinen Weg ihn zu decken.“
Der deutsche Nationalspieler sei wahrscheinlich der schlauste Spieler, wenn es darum ginge die Räume zu finden, in denen der Verteidiger ihn nicht stoppen kann und wenn er dann abziehe, habe er den „gefährlichsten Schuss im Hockey“.
„Wenn Draisaitl zum Schuss kommt, ist er drin. Sein Schuss ist wahrscheinlich gefährlicher als der von Alex Ovechkin“, empfindet Staples. Jener Ovechkin könnte schon bald den Allzeit-Tore-Rekord von Wayne Gretzky knacken.
„Leon erinnert mich an Gerd Müller“
Auch wegen seiner Torgefahr zieht Staples einen Vergleich zwischen Draisaitl und einer deutschen Fußball-Legende
„Durch seine vielen Tore und Rekorde erinnert mich Leon (Draisaitl, Anm. d. Red.) immer an Gerd Müller“, gesteht der Journalist.
Draisaitls Spiel auf dem Eis sei dem Fußballspieler im Strafraum ähnlich. Im Fußball müsse man im Strafraum sehr clever sein, um offene Räume zu finden, man müsse sein Tempo verändern und manchmal aus dem Nichts auftauchen, um seine Tore zu schießen.
Ähnlich würde der 27-Jährige agieren: „Er hat einen unglaublichen Instinkt für das Toreschießen, erkennt die freien Räume. Das erinnert mich unglaublich an Gerd Müller oder Karl-Heinz Rummenigge.“
Staples glaubt an Oilers-Meisterschaft
Dieser Instinkt soll die Oilers in diesem Jahr zur Meisterschaft führen. Geht es nach den Einschätzungen des kanadischen Journalisten stehen die Chancen gut: „Ich würde ihnen eine 40-prozentige Chance auf den Titel ausstellen. Sie haben definitiv die besten Chancen und sind für mich der Favorit.“
Das liegt natürlich an Draisaitl und seinem kongenialen Partner Connor McDavid: „Sie haben mit McDavid und Draisaitl die mit Abstand besten Spieler, die aktuell noch in den Playoffs spielen.“
Zudem glaubt der Oilers-Experte, dass Draisaitl in den entscheidenden Phasen der Saison auch seine Defensivschwächen wieder abstellen wird. „Wenn Leon fokussiert ist, kann er eine absolute Wucht in der Defensive und im Angriff sein. Er kann auf beiden Seiten des Eis unaufhaltsam sein.“
Dies habe er auch schon in den diesjährigen Playoffs bewiesen: „Zum Beispiel im sechsten Spiel der Serie gegen Los Angeles, als sie das entscheidende Spiel der Serie gewonnen haben. Da hatte er ein fast perfektes Spiel auf beiden Seiten des Eises. Wenn er so spielt, sind die Oilers nahezu unschlagbar. Ich glaube, dass er dieses Niveau noch oft in den Playoffs erreichen kann und deswegen sind sie mein absoluter Favorit auf den Titel.“
Gelingt dies, könnte Leon Draisaitl im eishockeyverrückten Edmonton endgültig in die Sphären der Legenden Wayne Gretzky und Mark Messier aufsteigen - ihre Scoring-Rekorde dürften dann sowieso wackeln.