Kilian Zierer hat einen beeindruckenden Weg hinter sich: Vom Fußballfeld in Deutschland bis in die harten Reihen des American Footballs in den USA. Nachdem Zierer im NFL Draft 2023 nicht ausgewählt worden war, unterschrieb er als undrafted Free Agent bei den Houston Texans. Der 24 Jahre alte Offensive Lineman kämpfte sich nach einer Knöchelverletzung zurück und hofft, sich in diesem Jahr seinen Traum von der NFL erfüllen zu können.
Die neue deutsche NFL-Hoffnung
Im Interview mit SPORT1 spricht Zierer über seine mühsame Rückkehr zur Fitness, seine großen Ambitionen - und warum er trotz aller Rückschläge fest daran glaubt, es in die NFL zu schaffen.
Zudem gewährt er Einblicke in die Unterschiede zwischen Football in Deutschland und den USA und verrät, was seine Laufbahn mit Björn Werner zu tun hat, der als einer der ersten deutschen Profis den Weg in die NFL gefunden hat.
Zierer: „Ich bin wieder top fit“
SPORT1: Herr Zierer, Sie haben die vergangene Saison nach einer Verletzung im letzten Spiel der Preseason verpasst. Wie fit sind Sie im Vorfeld der neuen Saison?
Kilian Zierer: Es war keine schwere Verletzung, aber mein Knöchel hat eine lange Zeit gebraucht, um wieder 100 Prozent belastbar zu werden. Aber ich bin jetzt seit Monaten schon wieder topfit und habe auch in den ersten zwei, drei Preseason-Spielen, die wir hatten, gute Spielzeit bekommen.
SPORT1: War die Verletzung aber nicht auch deshalb schwierig, weil Ihr Traum von der NFL im vergangenen Jahr so knapp vor der Erfüllung scheiterte?
Zierer: Natürlich hat es im ersten Moment wehgetan. Aber es war nicht so schlimm, weil ich wusste, dass ich in diesem Jahr wieder meine Chance bekomme. Durch meine vorherigen Verletzungen wusste ich, was auf mich zukommt. Das Nervigste an Verletzungen ist, dass man wieder auf das Niveau zurückkommen muss, auf dem man vorher war. Dass man in dem Fall dem Knöchel vertraut, dass man den mit 100 Prozent in den Boden stemmen kann und weiß, der hält. Bis man dieses Vertrauen wieder hat, dauert es sehr lange. Aber ich hatte schon Verletzungen, die ein Jahr gedauert haben, der Knöchel war ein paar Monate. Deswegen war es einfacher als eine Kreuzbandverletzung.
SPORT1: Wie lief die Vorbereitung und die ersten Spiele für Sie und Ihr Team?
Zierer: Man hat fast jeden Tag Training. Man hat Trainingslager, man versucht, so gut wie möglich zu werden. Man hat aber ein paar Spiele, bei denen man noch nicht weiß, gegen wen man spielt. Es ist gut, wenn man Abwechslung hat. Es ist immer eine gute Chance für Spieler wie mich oder jüngere Spieler, sich zu beweisen und für die kommende Saison ins Team zu kommen.
SPORT1: Mit welchen Zielen gehen Sie in die Saison?
Zierer: Mein Ziel ist das gleiche wie letztes Jahr: Ich will ins Team kommen und ein Teil des Kaders sein.
SPORT1: Sie haben erst relativ spät mit dem Football begonnen. Wie sind Sie zu der Sportart gekommen?
Zierer: Ich habe Fußball gespielt, bis ich 15 Jahre alt war. Irgendwann war es für mich vorbei, weil ich einfach zu groß wurde. Da habe ich den Spaß am Fußball verloren und ein Jahr keinen Sport gemacht. Als ich mit meinem Vater und meiner Schwester in den USA Urlaub gemacht habe, habe ich zum ersten Mal Football im Fernsehen gesehen. In Deutschland habe ich dann die komplette NFL-Saison angeschaut und war fasziniert von dem Sport. Ich habe herausgefunden, dass ein paar meiner ehemaligen Mitspieler, mit denen ich jahrelang Fußball gespielt habe, mit dem Football bei den Munich Cowboys angefangen haben. Ich habe gefragt, ob ich mal zu einem Probetraining mitdarf, bin dahingegangen und es hat mir gefallen.
Enttäuschung im NFL-Draft 2023 - Neue Chance bei den Texans
SPORT1: Wie kam der große Traum auf, irgendwann mal in der NFL zu spielen?
Zierer: Ich habe in meinem ersten Jahr nur als Receiver gespielt, weil ich noch deutlich kleiner als jetzt war. Im zweiten Jahr haben wir einen neuen Trainer bekommen, der mich gleich im ersten Training in die Offensive-Line gestellt hat. Das hat mir im ersten Moment noch nicht so gefallen, weil ich eigentlich nicht so ein großer Brocken werden wollte. Aber er hat mir nach ein paar Trainingseinheiten gesagt, dass er Potenzial in mir sieht und glaubt, dass ich in die USA gehen und dort Football spielen könnte. Ich habe es im ersten Moment gar nicht geglaubt. Er hat mir dann den Kontakt zu Björn Werner besorgt und mir damit den Weg geebnet. Als ich am Junior College angekommen bin und in der ersten Saison direkt gestartet bin, kamen nach der Saison die ganzen Scholarships von den Universitäten rein. Und da hat es so langsam angefangen, dass ich gedacht habe, ich könnte es eines Tages vielleicht schaffen.
SPORT1: Wie lief die Entscheidung für einen so großen Schritt ab?
Zierer: Die Entscheidung verlief jahrelang. Es gab verschiedene Optionen, im Endeffekt aber habe ich mich fürs Junior College entschieden. Björn Werner kannte den Koordinator dort, und dann hat es ganz schnell geklappt.
SPORT1: War es schwer für Sie, die Familie zu verlassen?
Zierer: Es war für mich in dem Sinne etwas komplett Neues, deshalb war für mich klar, es ist eine einmalige Möglichkeit. Meine Familie stand voll hinter mir. Die haben mich auch nach ein paar Wochen direkt besucht. Ich bin auch Weihnachten wieder heimgeflogen. Deshalb war es nicht wirklich ein großes Drama. Es tat am meisten weh, meinen kleinen Bruder zu verlassen. Der war damals 11 Jahre alt, meine Schwester war schon 20.
SPORT1: War es eine große Enttäuschung für Sie, dass Sie im Draft 2023 nicht ausgewählt wurden?
Zierer: Mir war bewusst, dass ich nicht sehr hoch gedraftet werde. Es tat schon weh, nicht gedraftet zu werden. Aber ich wusste, wenn ich nicht gedraftet werde, dass ich trotzdem irgendwo unterkomme. Das war im Vorhinein schon relativ klar. Als die Situation vorbei war und ich wusste, ich geh zu den Texans und bekomme da eine genauso gute Chance, machte es im Endeffekt auch keinen Unterschied.
„In den USA ist Football eine Religion“
SPORT1: Was sind denn die Unterschiede zwischen Football-Training in den USA und Deutschland? Wo kann sich Deutschland hinsichtlich der Förderung noch verbessern?
Zierer: In Deutschland spielt man, zumindest in der U19, wo ich gespielt habe, Football zum Spaß. Man hat zweimal die Woche für anderthalb Stunden Training. Das Playbook besteht aus zehn Spielzügen. In den USA ist es ein Beruf. In den USA ist Football eine Religion. Es ist das, was man jeden Tag macht. Man hat in der Saison kaum Freizeit, sechs von sieben Tagen spielt man Football. Und das Niveau ist deutlich höher. Ich bin angekommen am Junior College und kam erst mal gar nicht klar. Wie schnell die Spieler sind, wie gut die sind, wie stark die sind. Da gewöhnt man sich so langsam dran. Dann bin ich vom Junior College nach Auburn gegangen, auch da waren alle viel größer, stärker, schneller, beweglicher. Daran musste ich mich anpassen.
SPORT1: Nach den Olympischen Spielen wurde in Deutschland mal wieder über die Sportförderung diskutiert. Welche Unterschiede sehen Sie diesbezüglich zwischen Deutschland und den USA?
Zierer: In Deutschland gibt es ja keinen Schulsport in dem Sinne. In den USA hat der Sport an den Schulen einen größeren Wert. Dort gibt es sehr viele Sportarten, die einfach Teil der Schule sind. Man spielt hier nicht für einen Verein, man spielt für seine Schule. In Deutschland geht man von morgens bis nachmittags in die Schule. Wenn man Sport machen will, muss man das in einem Verein in seiner Freizeit machen. In den USA hat man auch Schule, aber die Schule weiß, der spielt Football, der spielt Basketball, der spielt Baseball. Und dann wird die Zeit angepasst. Das fehlt in Deutschland. Der Vorteil ist, dass man fürs Studium nichts zahlen muss. Der Nachteil ist, dass Sport nicht den großen Stellenwert wie in den USA hat.
SPORT1: Welcher Sport interessiert Sie denn neben dem American Football noch?
Zierer: Ich bin seit diesem Jahr großer Formel-1-Fan. Ich habe im Frühjahr die Netflix-Serie gesehen und die ersten sechs Staffeln in zwei, drei Wochen geschaut. Während des Summer-Break konnte ich mir dann auch Rennen in Montreal anschauen. Fußball schaue ich immer mal wieder an, wenn ich kann. Ich hatte diesen Sommer relativ viel frei, deshalb konnte ich die ganze EM anschauen. Bundesliga-Spiele sind sowieso schwierig anzuschauen von hier drüben. Champions League ist das Einzige, was ich mir anschauen kann, wenn ich mal die Zeit habe.
„Nie gedacht, dass ich eines Tages mal hier sein werde“
SPORT1: Zurück zum Football: Die NFL wird seit einigen Jahren auch in Deutschland beliebter – wie sehen Sie die Entwicklung hier, wird das auch zu noch mehr deutschen NFL-Spielern in Zukunft führen?
Zierer: Als ich angefangen habe, war Sebastian Vollmer, glaube ich, der einzige Deutsche, der zu dem Zeitpunkt in der NFL aktiv war. Und ich habe jetzt schon in drei Preseason-Spielen mit Julius Welschof und Jakob Johnson gegen zwei Deutsche gespielt. Man merkt, wie viel größer es wird, in Europa und international, auch in Deutschland. Dass Spieler den Sprung in die NFL schaffen, hätte man sich vor zehn Jahren gar nicht vorstellen können. Und ich habe auch von mir selbst nie gedacht, dass ich eines Tages mal hier sein werde.
SPORT1: Können Sie sich vorstellen, dass es auch in der NFL mal einen deutschen Spieler gibt wie Dirk Nowitzki in der NBA - der sein Team zur Meisterschaft führt?
Zierer: In der NFL ist das Problem, dass das beste Team nur mit einem guten Quarterback gewinnen kann. Die kommen, glaube ich, derzeit alle aus Amerika. Ich hoffe, dass wir eines Tages einen deutschen Quarterback in der NFL haben, der auch startet. Ich glaube, am wahrscheinlichsten ist es, dass es Deutsche auf den Positionen Offensive-Line, Defensive-Line, Full-Back und Tight-End schaffen können.