Ist den Pittsburgh Steelers mit der Verpflichtung von Russell Wilson bereits zum Start der Free Agency einer der besten Deals der Offseason gelungen? Oder hat die Traditions-Franchise aus der Industriestadt bei der Verpflichtung des Quarterbacks zu kurzfristig gedacht?
Neuanfang für einen Mega-Star?
Klar ist: So wie vergangene Saison konnte es bei den Steelers nicht weitergehen. Gegen Ende der Spielzeit schien durch die Entlassung von Offensive Coordinator Matt Canada zwar Besserung in Sicht, für den ersten Playoff-Sieg seit 2016 reichte es allerdings mal wieder nicht.
Trotz einer mit Stars gespickten Defense, talentierten Receivern und einem vielversprechenden Running-Back-Duo sind die Steelers in den vergangenen Jahren im Mittelmaß versunken.
Wilson als Heilsbringer
Head Coach Mike Tomlin konnte zwar seine Rekord-Serie (mindestens ausgeglichene Bilanz in jeder seiner 17 Saisons als HC) ausbauen, vom angepeilten siebten Super-Bowl-Sieg der Franchise war er aber über die vergangenen acht Jahre meilenwert entfernt.
Aus dem Mittelmaß herausbringen soll die Steelers nun Wilson, doch die unumstrittene Rolle als erster Quarterback wurde ihm in den Gesprächen mit Tomlin und dem neu verpflichteten Offensive Coordinator Arthur Smith offenbar nicht garantiert.
„Pittsburgh hat klar gemacht, dass sie Konkurrenz für Kenny Pickett hereinbringen“, berichtet NFL-Insider Adam Schefter für ESPN, stellte jedoch auch klar: „Aber Russell Wilson geht nirgendwo hin, wo er nicht denkt, dass er der Starter werden kann. Er muss es sich aber eben erst verdienen und gut performen.“
Steelers ohne Nachteil
„Wir reden von einem Typen mit neun Pro Bowls und einem Super-Bowl-Ring. Ich glaube nicht, dass er nach Pittsburgh kommt, um ein Backup für Kenny Pickett zu sein“, verlieh Schefter seinen Aussagen noch Nachdruck. Auf der anderen Seite lobte er die Entscheidung der Steelers, sich den kürzlich von Denver entlassenen Wilson mit einem Einjahresvertrag zu schnappen.
„Für Pittsburgh gibt es wirklich gar keinen Nachteil“, betonte der NFL-Experte. „Die Broncos zahlen seinen Paycheck, die bezahlen die 38 Millionen Dollar nächste Saison.“ Auf der anderen Seite müssen die Steelers lediglich das Veteranen-Minimum von etwas mehr als einer Million Euro bezahlen. Ein klarer Pluspunkt für die Steelers - und nicht der einzige.
Wilson gibt den Steelers genau das, was sie dringend benötigen
Denn Wilsons Topform kann den Steelers genau das bieten, was ihnen in den zurückliegenden Jahren fehlte: ein funktionierendes Passspiel. Schließlich warfen in der vergangenen Saison nur die New York Jets weniger Touchdown-Pässe (11) als die Steelers (13). Der bisherige Starter Pickett warf in zwölf Einsätzen lediglich sechs davon (4 INTs).
Nach einer schwachen Debüt-Saison 2022 in Denver (16 TDs, 11 INTs) spielte Wilson dagegen vergangene Saison wieder näher an seiner früheren Form, warf 26 Touchdowns bei acht Interceptions. Über 26 Touchdowns hatte bei den Steelers zuletzt Franchise-Legende „Big Ben“ Roethlisberger in der Saison 2020/21 geworfen (33 TDs).
Wilson und Steelers-OC als Traumpaar?
Was Steelers-Fans aber viel mehr Mut machen dürfte, ist Wilsons Tauglichkeit für die neue Steelers-Offense unter dem neuen Offensive Coordinator Smith. Denn der setzte bei seinen vorherigen Stationen in Atlanta und Tennessee auf ein Spielsystem, welches sehr gut zu Wilsons Spielertyp passt.
ESPN schreibt deswegen sogar von einem „match made in heaven“ (sinngemäß auf deutsch: ein wie füreinander geschaffenes Paar). Smith gilt nämlich als großer Befürworter von Play-Action-Spielzügen, ließ während seiner Zeit bei den Falcons bei 32 Prozent (zweithöchster Wert der Liga) der Snaps ebenjene Pass-Spielzüge mit angetäuschten Lauf durchführen.
Und genau das ist Wilsons große Stärke. Das bewiesen auch seine Statistiken aus der Vorsaison:
Wilsons Statistiken | bei Play-Action-Spielzügen | bei Nicht-Play-Action-Spielzügen |
---|---|---|
Touchdowns | 11 | 15 |
Interceptions | 1 | 7 |
Yards pro Spielzug | 7.4 | 6.7 |
Quarterback-Rating | 80 | 40 |
Allerdings sieht auch nicht alles rosig aus. Vor allem Wilsons Hang dazu, den Ball lange zu halten, könnte in Anbetracht der bestenfalls mittelmäßigen Offensive Line der Steelers kritisch betrachtet werden. Mit durchschnittlich 3,06 Sekunden, bevor er den Ball los wurde, stand Wilson ligaweit auf Platz zwei. Nur Bears-QB Justin Fields brauchte in der vergangenen Saison länger, um den Ball weiterzugeben.
Fields wurde auch mit den Steelers in Verbindung gebracht, allerdings hätten sie dafür wohl mindestens einen wertvollen Draft Pick abgeben müssen. Weil sie Wilson dagegen zum Schnäppchen-Preis erhielten, können sie sich im Draft noch verstärken - und selbiges in der Free Agency tun.
Zu kurz gedacht?
Die Steelers sind im Win-Now-Modus, das haben sie mit der Entscheidung pro Wilson bewiesen - und mit Hinblick auf die kommende Saison darf ihnen dadurch auch viel zugetraut werden.
Allerdings haben sie die Suche nach einem neuen Franchise-Quarterback, der Wilson aufgrund seines Alters nicht sein kann, nur in die Zukunft verschoben. Zumal der Deal mit Wilson zeigt, dass Pickett intern nicht als Franchise-Quarterback gesehen wird, auch wenn das in dieser Form nach außen kommuniziert wurde.