Nur noch ein Sieg bis zum Super Bowl! Am Wochenende stehen in den NFL-Playoffs die Conference Championship Games an - und natürlich sind auch die Kansas City Chiefs wieder mit dabei. Zum sechsten Mal in Folge.
Verkehrte Welt bei den Chiefs
Alles beim Alten also bei Patrick Mahomes und Co.? Von wegen! Von den Teams, die es in den vergangenen fünf Jahren jedes Mal mindestens ins Endspiel der AFC schafften, unterscheidet sich die aktuelle Mannschaft doch erheblich.
Angeführt von Quarterback-Superstar Mahomes stand das Team von Andy Reid meist für Offensiv-Spektakel: In den vergangenen fünf Jahren erzielten die Chiefs in der Regular Season 565, 451, 473, 480 und 496 Punkte - in den ersten drei genannten Spielzeiten sogar bei noch 16 statt nun 17 Partien.
Die Chiefs Offense schwächelt
In diesem Zeitraum rangierte Kansas Citys Offensive bei Yards und Punkten pro Spiel ligaweit nie schlechter als auf Rang 6, in zwei Saisons führten sie die NFL in beiden Kategorien gleichzeitig an. Und dieses Jahr? Nur die neuntmeisten Yards der Liga, bei den Punkten sogar nur Rang 15! Aber: Auf einmal haben die Chiefs sowohl bei den erlaubten Punkten als auch bei den gegnerischen Yards die zweitbeste Defense der Liga.
„In den vergangenen Jahren hat die Offense dieses Team getragen. Selbst als sie letztes Jahr im Super Bowl waren, hatten sie sehr viele junge Spieler in der Defense“, erklärt Chiefs-Experte Steve Walls vom Sideline Sports Talk Network im Gespräch mit SPORT1.
Damals habe Defensive Coordinator Steve Spagnuolo keine andere Wahl gehabt - aber das habe sich nicht nur durch den Super-Bowl-Gewinn, sondern auch in der aktuellen Saison ausgezahlt.
„Sie haben daraus Kapital geschlagen, dass auch diese jungen Spieler jetzt schon die Erfahrung mitbringen und so kontinuierlich gespielt haben, dass sie auf dem Feld nicht mehr groß nachdenken müssen, wie es vielleicht bei anderen Spielern in dem Alter der Fall ist“, sagt Walls.
„Seine schwächeren Jahre sind besser als die von vielen anderen“
Wenn es am Sonntag bei den Baltimore Ravens um die vierte Super-Bowl-Teilnahme innerhalb von sechs Jahren geht, werden die Augen trotzdem vor allem auf einen gerichtet sein: Patrick Mahomes. Mehr als sonst werden zu Spielbeginn auch fragende, ja sogar kritische Blicke dabei sein. In vielen Statistiken hat der 28-Jährige die schwächste Spielzeit seiner NFL-Karriere hinter sich.
„Er hat am Anfang der Saison einige Probleme gehabt - aber selbst, wenn er Probleme hat, gehört er immer noch zur oberen Hälfte der Liga“, meint Walls lachend: „In Sachen Statistik mag es ein schwaches Jahr für ihn gewesen sein, aber seine schwächeren Jahre sind immer noch besser als die von vielen anderen Quarterbacks.“
Die Chiefs-Receiver sind im Playoff-Modus
Für Nadine Nurasyid, die als TV-Expertin die NFL analysiert und kommentiert, lag das Problem über weite Strecken gar nicht bei Mahomes. „Es war natürlich schwierig für ihn. Wenn du deinen Ball nicht konstant anbringen kannst und deine Receiver viele Bälle droppen, dann verlierst du auch irgendwann das Vertrauen in die Spieler um dich herum“, analysiert die langjährige Football-Spielerin und -Trainerin im SPORT1-Interview.
Pünktlich zu den Playoffs aber scheint die Chemie zwischen dem Quarterback und seinen Passempfängern wieder zu stimmen. Nachdem beim 26:7 gegen die Miami Dolphins in der Wildcard Round einmal mehr die Defense einen Großteil der Last von Mahomes genommen hatte, drehte dieser in der Divisional Round auswärts bei den Buffalo Bills plötzlich auf.
215 Passing Yards, zwei Touchdowns, keine Interception, 9,3 Yards pro Passversuch und ein Quarterback-Rating von 131,6 - Saisonbestwert für Mahomes!
Mahomes? „Das ist alles, was man braucht“
„Sie nennen ihn nicht umsonst ‚Playoff Mahomes‘. Er kann in der Regular Season nur durchschnittlich spielen und dann ist es, als würden sie einen Schalter umlegen und seine Offense funktioniert auf einmal“, meint Walls zu SPORT1.
Der Host der „The W Show“ bei Radio 100.1FM in Kansas City hat nach eigener Aussage am vergangenen Wochenende im Stadion in Buffalo aus nächster Nähe ein komplett verändertes Chiefs-Team erlebt.
„Trotz dieser feindseligen Umgebung in Buffalo gab es plötzlich keine Turnover, die Offensive Line hat nicht mehr solche Fehler gemacht - und solange diese Offense fehlerfreien Football spielt, sind sie ziemlich gut“, meint Walls und fügt schulterzuckend hinzu: „Sie haben Patrick Mahomes - manche sagen, das ist alles, was man braucht.“
Mahomes braucht gegen Baltimore Unterstützung
Nurasyid erinnert beim Blick auf den Chiefs-Quarterback und dessen Playoff-Fähigkeiten noch einmal an den Titelgewinn gegen die Philadelphia Eagles im vergangenen Februar.
„Wir haben gesehen, was er im Super Bowl gemacht hat: Einer, der so hinkt wie jemand, der eigentlich nicht mehr laufen kann, und trotzdem im besten Spiel der besten Liga noch besser ist als jeder andere? Der kann das - und deswegen ist er auf jeden Fall im Playoff-Modus.“
Mahomes alleine wird es gegen die starken Baltimore Ravens um Lamar Jackson allerdings kaum richten können. Wer also könnte neben dem Quarterback zum X-Faktor für einen erneuten Super-Bowl-Run werden?
In der Offense kommen für Walls dafür vor allem die Wide Receiver Rashee Rice und Marquez Valdes-Scantling infrage. „Rashee Rice ist neu in die Lage gekommen - und wenn man Andy Reids Teams und Offenses kennt, dann schlagen Rookies normalerweise nicht so ein. Sie versuchen, sie langsam heranzuführen, aber Rice war von Anfang an bereit zu spielen“, schwärmt Walls.
Valdes-Scantling auf der anderen Seite habe zu Saisonbeginn einige Fehler gemacht, sich dann aber gesteigert. In Buffalo trumpfte er zuletzt mit zwei Big Plays für insgesamt 62 Yards Raumgewinn auf.
Die Chiefs-Defense trumpft auf
Und in der Defense steht für den Chiefs-Reporter Chris Jones ganz oben auf der Liste der potenziellen X-Faktoren. „Er spielt immer noch um sehr viel. Er ist noch auf der Suche nach einem neuen Vertrag, ob nun mit den Chiefs oder mit einem anderen Team“, erinnert Walls: „Ich habe das Gefühl, dass Chris Jones noch eine Menge zu beweisen hat.“ Eine größere Bühne als die entscheidende Phase der Playoffs könnte sich für den Defensive Tackle, der zum All-Pro gewählt wurde, dabei kaum bieten.
Das sechste Conference Championship Game in Folge (!) ist zugleich die große Chance für die Chiefs, mit dem vierten Super-Bowl-Einzug innerhalb von fünf Jahren (!) weiter an ihrem Vermächtnis zu arbeiten.
„Wenn sie es in den Super Bowl schaffen und den noch einmal gewinnen, dann wird man sie in einem Atemzug mit den größten Teams aller Zeiten nennen müssen“, findet Walls, zumal: „Zwei Meisterschaften in Folge, das hat schon lange niemand mehr geschafft.“
Gelingt den Chiefs etwas Historisches?
Genau 19 Jahre ist es kommende Woche her, seit sich die New England Patriots in Super Bowl XXXIX zum bislang letzten Back-to-Back-Champion krönten. Um es ihnen nachzumachen, müssen die Chiefs im Duell mit den Ravens aus Walls‘ Sicht vor allem eine Schwäche in den Griff bekommen: ihre Red-Zone-Offense, denn zu oft ist es ihnen in dieser Saison nicht gelungen, ihre Drives vor der Endzone auch in Touchdowns umzumünzen.
„Je weiter es in den Playoffs geht, gerade gegen Teams wie die Ravens, wirst du dir nicht erlauben können, in die Redzone zu kommen und nicht mindestens sieben Punkte mitzunehmen“, betont Walls, „aber so wie sie zuletzt gespielt haben, habe ich das Gefühl, dass sie verstanden haben, was für ein wichtiger Faktor das für sie sein wird.“
In den entscheidenden Momenten einen Gang hochzuschalten, das haben die Chiefs eben nicht verlernt. Denn auch wenn sich die aktuelle Mannschaft von den Super-Bowl-Teams der vergangenen Jahre erheblich unterscheidet: So lange Andy Reid an der Seitenlinie steht und Patrick Mahomes als Quarterback aufläuft, wird diese Mannschaft wohl immer das Sieger-Gen in sich tragen.