Er war als Teil des Trainerteams beteiligt an vier Super-Bowl-Triumphen der New England Patriots um Tom Brady.
Ein Mann, der nun mächtige Feinde hat
Als Chefcoach dirigierte er in den vergangenen beiden Jahren die Miami Dolphins um Jungstar Tua Tagovailoa.
Wird er nun zum Mann, der die NFL in ihren Grundfesten erschüttert? (NEWS: Alle aktuellen Infos zur NFL)
Brian Flores‘ hochbrisante Klage gegen das Football-Imperium, die Dolphins, die New York Giants und die Denver Broncos bewegt Sport-Amerika derzeit in ähnlichem, wenn nicht größerem Maße als der Rücktritt von Ikone Brady, auf der Website von ESPN ist das Thema am Mittwochmorgen höher platziert. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der NFL)
Von einem „watershed moment“, einem Wendepunkt der Liga-Geschichte, spricht jemand, der es am besten wissen muss – und würdigt Flores als „enorm“ mutigen Vorreiter, der für seine Überzeugungen „ein großes Karriere-Risiko eingeht“.
Brian Flores macht sich zum Chefankläger des Systems NFL
Der Kernvorwurf, den der kürzlich von den Dolphins gefeuerte Flores erhebt, kreist um Diskriminierung, strukturellen Rassismus bei den Einstellungsprozessen der NFL-Coaches und anderer Entscheidungsträger.
Es ist ein Thema, das die Liga seit Jahrzehnten verfolgt und in den vergangenen Jahren durch den Kontext von „Black Lives Matter“, den Fall Colin Kaepernick und den Kulturkampf mit Ex-Präsident Donald Trump zusätzlich Brisanz gewonnen hat.
Eigentlich gelten in der NFL Regeln, die unterbinden sollen, was Flores anprangert. Umso heikler ist nun sein Vorwurf, dass diese Regeln unterlaufen werden - und dass die Liga zu wenig dafür tut, das systemische Problem zu beheben.
Durch Flores‘ Klage stößt die Debatte in eine neue Dimension vor. Zum einen wegen der konkreten Belege, die der 40-Jährige ins Feld führt. Zum anderen durch die Art und Weise, wie sich ein profilierter Coach zum Ankläger macht und damit den Druck auf das Milliarden-Business erhöht - auf die Gefahr hin, sich dort selbst unmöglich zu machen.
Wird die „Rooney Rule“ umgangen?
„Das ist eine sehr starke Klageschrift und ich glaube, es ist ein Wendepunkt“, bewertet der Sportrechtsprofessor N. Jeremi Duru das 58-seitige Dokument in einem Artikel für das US-Sportkulturportal The Undefeated.
Duru gilt als eine der treibenden Kräfte hinter der 2003 eingeführten „Rooney Rule“, die die NFL verpflichtet, bei der Besetzung von Trainerposten Vorstellungsgespräche mit Angehörigen von Minderheiten zu führen.
Seit langem kursiert der Vorwurf, dass die „Rooney Rule“ immer wieder unterlaufen wird durch „sham interviews“ - wertlose Gespräche mit Kandidaten, bei denen von vornherein feststeht, dass sie nicht engagiert werden sollen.
Flores präsentiert nun eine potenzielle „Smoking Gun“, die das in seinem Fall belegen soll: Teil der Klageschrift sind Screenshots von Textbotschaften von Bill Belichick, in denen er Flores anvertraut haben soll, dass die sich für den weißen Coach Brian Daboll entschieden hätten – bevor Flores sein Gespräch mit dem Giants-Management hatte. Daboll war wie der frühere Defensivcoach Flores Teil von Belichicks Trainerstab bei den Patriots. (SERVICE: NFL-Wissen - die Positionen im Football)
Flores riskiert seine Karriere
„Man hat hier jetzt zwei Dinge, die es vorher nicht gab“, sagt Experte Duru: „Das eine sind die angeblich unumstößlichen Beweise, dass die Gleichberechtigungsregeln der Liga umgangen werden, der konkrete Vorwurf gegen die Giants. Das andere ist: Dass jemand den Willen hat aufzustehen und ein riesiges Karriere-Risiko damit eingeht, zum Kläger zu werden. Es erfordert enormen Mut, das zu tun, was Brian Flores da getan hat.“
Flores ist sich wohlbewusst, dass er sich in die Rolle des Nestbeschmutzers begibt, sich mächtige Feinde macht und die Folgen spüren könnte, wie Kaepernick oder einst Muhammad Ali oder die Sprinter Tommie Smith und John Carlos.
„Ich riskiere vielleicht das Privileg, Trainer zu sein in dem Spiel, das ich liebe, das viel für mich und meine Familie getan hat“, heißt es in dem Statement, das zusammen mit der Klage veröffentlicht wurde: „Aber ich habe die ehrliche Hoffnung, dass das Aufstehen gegen systemischen Rassismus zur Folge hat, dass andere mitmachen und eine Veränderung zum Besseren für die kommenden Generationen eingeleitet wird.“
Unabhängig davon, was an Flores‘ konkreten Vorwürfen dran ist: Das systemische Problem, das er anspricht, ist unbestreitbar.
Massives Ungleichgewicht ist unbestreitbar
Nach den Entlassungen von Flores und David Culley bei den Houston Texans hat die NFL aktuell nur noch einen afroamerikanischen Head Coach (Mike Tomlin von den Pittsburgh Steelers), bei 32 Teams - und in einer Sportart, in der fast 70 Prozent der Spieler schwarz sind.
Die Situation ist nicht viel anders als vor der Einführung der Rooney Rule 2003, als die NFL auch durch andere Zahlen in Bedrängnis geraten war: In einer unter anderem von Star-Anwalt Johnnie Cochran verfassten Studie - berühmt geworden als Verteidiger von O.J. Simpson - , wurde den NFL-Franchises auch nachgewiesen, dass sie schwarze Coaches schneller feuerten und seltener einstellten, auch wenn sie bessere Bilanzen als weiße Trainer hatten. (SERVICE: NFL-Wissen - die wichtigsten Begriffe im Football)
Auch Flores wurde gefeuert, obwohl er die Dolphins zu zwei „winning seasons“ in Folge geführt hatte, erstmals seit 2003.
Flores vergleicht System NFL mit Sklaverei-Ära
Der kürzlich veröffentlichte „NFL Inclusion and Diversity Report“ verdeutlichte, wie viel noch zu tun ist: 82 Prozent der offenen Headcoach-Stellen wurden seit 2012 mit Weißen besetzt, 76 Prozent bei den Offensivkoordinatoren. Frappierend außerdem: Weiße Trainer, die bei einem Team gefeuert worden sind, bekommen viel häufiger zweite und dritte Chancen als schwarze – bis heute hatte kein Afroamerikaner drei Chef-Jobs in der NFL (weiße Coaches: 15).
Die Gründe für die Diskriminierung? Machtstrukturen und ihre Folgen. In der NFL-Historie gab es rund 110 Teambesitzer, bis auf zwei alle weiß.
Nicht zufällig wählt Flores vor diesem Hintergrund den Vergleich mit einer „Plantage“ - und stellt damit den historischen Bezug zur Zeit der Sklaverei her, als schwarze Baumwollpflücker Leibeigene weißer Gutsbesitzer waren.
„Weiße wohlhabende Männer helfen sich aus“
Von einem „Alte-Jungs-Netzwerk“ sprach zuletzt auch der auf den Sport spezialisierte Sozialwissenschaftler John Singer bei der Veröffentlichung des Diversity-Reports: „Es gibt ein informelles System, in dem sich wohlhabende Männer – größtenteils weiße wohlhabende Männer - gegenseitig aushelfen.“
Das Ungleichgewicht in den oft als innerfamiliäre Erbhöfen geführten Franchises verstärke sich auch durch andere, unbewusste Faktoren, die auch im Rest der Gesellschaft wirkten.
Anthony Weems, der in Florida zum Thema forscht nannte etwa auch Überlegungen wie „Wen halten die Teams für vermarktbar, am besten den Wünschen der Fanbase entsprechend?“ Gedanken, die auch begünstigten, dass es dann im Zweifel halt wieder ein weißer Coach werde. (SERVICE: NFL-Wissen - die wichtigsten Regeln im Football)
Handlungsdruck auf NFL wird wachsen
Es spricht vieles dafür, dass die „Rooney Rule“ trotz diverser Anpassungen nicht funktioniert, dass die NFL weiter reichendere und schmerzhaftere Schritte einleiten muss, um die Machtverhältnisse zu verändern und echte Fairness herzustellen.
Der Fall Brian Flores könnte - wie immer er ausgeht - nun den Druck erhöhen, das auch zu tun.