Wenn die Dallas Mavericks in den NBA Finals auf die Boston Celtics treffen, stehen viele Geschichten im Raum. Welcher der beiden Superstars gewinnt seine erste Championship, Luka Doncic oder Jayson Tatum? Wie performt Celtics-Star Kristaps Porzingis gegen sein Ex-Team? Oder wird Mavs-Rookie Dereck Lively zum X-Faktor für die Mavericks?
Die Hölle wartet auf ihn
Unumstritten Thema Nummer eins in den USA jedoch: die Rückkehr von Kyrie Irving in den TD Garden, die Heimspielstätte der Boston Celtics. Irving und die Kelten haben eine Vergangenheit - keine erfolgreiche und schöne, die nun im Kampf um die NBA-Krone ihren vorläufigen brisanten Höhepunkt finden wird.
Irvings leeres Versprechen als Ursprung
Von 2017 bis 2019 stand der 32-Jährige für das Team aus Massachusetts auf dem Parkett, ohne dabei in die Finals eingezogen zu sein. In seiner ersten Celtics-Saison verpasste er die Playoffs verletzungsbedingt, das junge Team um die heutigen Superstars Jayson Tatum und Jaylen Brown zog dennoch in die Conference Finals ein und scheiterte dort denkbar knapp in Spiel 7 an LeBron James und den Cleveland Cavaliers.
Im zweiten Jahr endete Bostons Run bereits in Runde zwei, wo die Milwaukee Bucks zu stark waren. Irving tauchte in dieser Serie komplett unter, interne Diskussionen kamen ans Tageslicht. Was die Fans des Rekord-Champions jedoch noch viel mehr störte: Irving versprach in der Free Agency 2019, seinen Vertrag in Beantown zu verlängern - was er letztendlich nicht tat, um sich wenig später Division-Konkurrent Brooklyn Nets anzuschließen.
Dort bildete er mit Kevin Durant und wenig später auch James Harden das nächste Superteam in der NBA, das jedoch nie über die zweite Runde im Osten hinauskommen sollte. In zwei seiner insgesamt vier Jahre in New York trafen Irving und die Nets auf Boston, bei jeder Rückkehr in den TD Garden musste der Point Guard ein gellendes Pfeifkonzert über sich ergehen lassen.
2021 schickte Brooklyns Superteam um Irving, Durant und Harden ein ersatzgeschwächtes Team der Celtics mit 4:1 in den Sommerurlaub, Irvings Aktivitäten nach dem Sieg in Spiel 4 der Serie gossen zusätzliches Öl ins Feuer.
Der Point Guard lief in die Mitte des Parketts und trat bewusst auf das Logo der Celtics, streifte seinen Schuh regelrecht ab und erntete dafür Pfiffe aus dem Publikum. Auf dem Weg zurück in die Katakomben warf ein Anhänger Bostons sogar eine Flasche auf Irving, der US-Amerikaner klagte später, er habe sich „wie im Zoo“ gefühlt.
Ein Jahr später begegneten sich Irving und die Celtics wieder in den Playoffs, erneut kam es zu verbalen Auseinandersetzungen der Fans und ihrem ehemaligen Star-Spielmacher. In Spiel eins der Erstrundenserie 2022 zeigte Irving dem Publikum sogar mehrfach den Mittelfinger und warf den Zuschauern mit provokanten Bewegungen vor, doch bitte nicht rumzuheulen. Dafür bekam der heute 32-Jährige eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 US-Dollar aufgebrummt.
Irving hatte „eine harte Zeit in Boston“
„Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich nicht mehr an diese vergangenen Momente denke“, sagte Irving erst kürzlich bei ESPN. „Ich war in der Lage, sie auf eine gesunde Art und Weise auszupacken und mich als Mensch weiterzuentwickeln. Ich hatte eine harte Zeit, als ich in Boston war, mit einem Todesfall in meiner Familie und einer Menge Dinge außerhalb des Spielfelds, mit denen ich nicht umgehen konnte.“
Es habe deshalb zwar „faire Kritik“ an ihm gegeben, aber es hätte auch „ein bisschen mehr Wohlwollen in meine Richtung geben können, vor allem wenn man bedenkt, was ich damals als Mensch durchgemacht habe. Aber am Ende des Tages sind wir trotzdem menschlich. Das war nicht mein bestes Ich zu dieser Zeit.“
Die Serie verloren die Nets indes glatt mit 0:4, es war das Ende einer kurzen Superteam-Ära in Brooklyn. Durant verließ die Franchise gen Phoenix und Irving selbst schloss sich ein halbes Jahr später den Dallas Mavericks an.
Kidd führt Irving zu alter Stärke zurück
Dort läuft es für den 32-Jährigen wieder besser, weil es auch abseits des sportlichen Geschehens ruhiger als in Boston oder Brooklyn zugeht. Irving genießt in Dallas von der gesamten Organisation großen Respekt, auf dem Parkett gilt er als verlängerter Arm von Headcoach Jason Kidd. Kritikern, ob Irving nach seinen schwierigen Zeiten in der Eastern Conference denn überhaupt nach Dallas passe, stopfte Kidd früh das Maul. „Es ist in Ordnung, sich zu irren.“
Mit dem 32-Jährigen hat der ehemalige Mitspieler von Dirk Nowitzki ein gutes und gesundes Verhältnis, in dem sich beide auch mal die Meinung geigen dürfen. „Er wird immer noch seine eigene Meinung haben. Und hier bei den Mavs unterstützen wir das. Wir sind einfach in der Lage, uns gegenseitig die Wahrheit zu sagen“, so Kidd. „Ich beglückwünsche ihn, dass er mir vertraut. Ich bin nur hier, um ihm die Wahrheit zu sagen und zu versuchen, ihm zu helfen, seine Ziele zu erreichen.“
Unter Kidd blühte „Uncle Drew“ wieder auf, legte in der laufenden Saison bislang 25,6 Punkte, fünf Rebounds und 5,2 Assists im Schnitt auf. Auf sein Wiedersehen in Boston freue er sich: „Jetzt, wo ich in der Lage bin, meine Gefühle zu äußern, bin ich bereit, nach Boston zurückzukehren und mit meinen Teamkollegen Spaß zu haben.“
Viel Spaß in Beantown hatte Irving zuletzt nicht, verlor er dort nach seinem besagten Tritt aufs Celtics-Logo jeden seiner zehn Gastauftritte. In der Regular Season trafen die Celtics und Dallas zweimal aufeinander, beide Spiele gingen an Boston. Die Rollenverteilung in den Finals ist klar - und dennoch haben Irving und Co. berechtigte Hoffnungen, den ersten Meistertitel seit 2011 zu gewinnen. Eines ist klar: Irving wird es in Boston nicht leicht haben, ein Pfeifkonzert wartet.