„Wir hätten wahrscheinlich schon 20 Punkte hinten gelegen, wenn er nicht gewesen wäre“, schwärmte Luka Doncic nach dem Sieg seiner Dallas Mavericks über die Minnesota Timberwolves (108:105) in Spiel eins der Western Conference Finals von seinem kongenialen Partner Kyrie Irving.
Von Skandalprofi zum Anführer
30 Punkte (12/23 erfolgreiche Würfe) standen bei dem inzwischen 32-Jährigen am Ende auf dem Konto, während Doncic sogar auf 33 Zähler (12/26) kam. Die beiden Ausnahmetalente haben sich als kongeniales Duo etabliert: Als sich Doncic in der ersten Hälfte schwertat, übernahm Irving quasi im Alleingang und lief auf Kommando heiß, erzielte so bereits 24 Punkte vor der Pause.
„Ich war hier schon einmal - also muss ich meine Jungs auch anführen“, hatte er bereits nach dem ersten Viertel in einem kurzen Interview bei TNT erklärt, nach der Partie wurde der NBA-Champion von 2016 und dreimalige Conference-Finals-Sieger (2015-2017) ausführlicher.
„Ich wusste natürlich, dass einige unserer Leute nie zuvor in einem Conference-Finale waren. Da bekommt man es eben mit den Nerven zu tun. Mal springt der Ball zu hoch oder man verpasst die rechtzeitige Rotation in der Defensive“, erklärte Irving, der sich in seiner Rolle als Anführer deswegen in der Pflicht sah. „Wenn ich in der Offensive gleich loslege, hilft das meinen Mitspielern - und öffnet Räume für sie.“
Irving geht voran - Motivation durch Wolves-Superstar
Eine Extra-Motivation waren allerdings auch die Worte vom gegnerischen Superstar Anthony Edwards, der unmittelbar nach dem Sieg der Timberwolves in Spiel 7 gegen die Denver Nuggets in der vorigen Playoff-Runde laut getönt hatte, dass er Irving verteidigen werde.
„Er hat es in diesem Moment gesagt, und ich glaube, die ganze Welt hat geschaut und gesagt: ‚Okay, ich hoffe, du weißt, wovon du sprichst‘“, sagte Irving. „Aber ich respektiere das. Diese angstfreie Mentalität, die er hat, ist der Grund, warum ich ihn als Wettkämpfer und als Mensch liebe. Aber wenn wir auf dem Platz stehen, weiß ich, dass er alles geben wird, und ich werde ihm mein Bestes geben.“
Insbesondere Doncic, der sich mit einer Knieverletzung durch die Playoffs schleppt, hob Irvings erste Halbzeit im Nachgang hervor, zumal er selbst erst spät im Spiel auftaute. „Ich weiß es zu schätzen, dass er uns im Spiel gehalten hat“, erklärte der Slowene, der 15 seiner 33 Punkte im letzten Viertel scorte.
Konzentration auf die kleinen Dinge bei Irving
Generell fällt Irving in diesen Playoffs in neuer Rolle auf - nämlich als Anführer. Angesprochen darauf erklärte Irving im Interview mit der Experten-Crew um die NBA-Legenden Shaquille O‘Neal und Charles Barkley, dass er nach dem Scheitern in der letzten Saison Motivation entwickelt habe, etwas zu ändern.
„Ich habe die Playoffs zu Hause verfolgt und mir Notizen über die größten Leader in unserer Liga gemacht. Sie tun alle die kleinen Dinge, die nicht auf dem Spielbericht auffallen“, erinnerte sich Irving. Nach seinem Trade zu den Mavericks hatte er schließlich im ersten Anlauf die Playoffs verpasst. Sein Plan: „Dieses Jahr habe ich mich auf die kleinen Dinge konzentriert. Wenn meine Punkte kamen, dann kamen sie. Wenn nicht, dann nicht.“
Ein Beleg dafür ist Spiel zwei der vorherigen Serie gegen die Oklahoma City Thunder, das die Mavs mit 119:110 gewannen. Irving nahm lediglich acht Würfe, hängte sich dafür aber am anderen Ende des Courts umso mehr rein. So überzeugte der eigentlich als unaufhaltsamer Scorer bekannte Guard mit überragender Defensivarbeit und als Ballverteiler, kam am Ende neben neun Punkten auf elf Assists und jeweils zwei Blocks und Steals.
Von Doncic gab es auch damals nur lobende Worte: „Seine Defense ist schon die gesamten Playoffs hindurch einfach großartig. Er ist unglaublich für uns, an beiden Enden des Parketts. Er hilft allen. Es ist fantastisch, ihn hier in unserem Team zu haben und so viel von ihm zu lernen.“ Seine Kernkompetenz hat Irving allerdings nicht verlernt: Mit durchschnittlich 22 Punkten pro Partie ermöglicht er Doncic die benötigte Entlastung, trifft dazu seinen Dreier mit über 42 Prozent äußert hochprozentig.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Dallas mit dem Trade für Irving im Februar 2023 ein enormes Risiko einging. Der Trade-Gegenwert war durchaus hoch. Im Mittelpunkt standen allerdings nicht in erster Linie Irvings Fähigkeiten als Basketballer, sondern die Skandalakte, die er in den letzten Jahren angesammelt hat.
Irvings Skandalakte: Flache Erde und Geheimbünde
Alles fing an, als er sich 2017 als „Flat-Earther“ outete - also als jemand, der daran glaube, dass die Erde eine Scheibe sei. Beim All-Star-Wochenende berief er sich damals auf „das verzerrte und verlogene Bildungssystem“ - einige Monate später ruderte er dann zurück. Nur ein Scherz sei alles gewesen, so Irving, der trotzdem behauptete, „nicht mit Sicherheit“ zu wissen, ob die Erde wirklich eine Kugel sei. Wieder ein Jahr später entschuldigte er sich auch für diese Formulierung. Der Schaden blieb jedoch.
Ähnlich verhält es sich mit seinem Verhalten während der Corona-Pandemie. Irving spielte damals in New York für die Brooklyn Nets und wollte sich nicht impfen lassen. Weil in New York die Impfpflicht bestand, konnte er somit nur an Auswärtsspielen der Nets teilnehmen. So verpasste er 2021 die halbe Saison, ehe die Bestimmungen gelockert wurden.
Im September 2022, also nur knapp ein halbes Jahr vor seinem Wechsel zu den Mavs, teilte er auf Instagram ein 20 Jahre altes Video eines rechtsradikalen Verschwörungstheoretikers, in dem es um Geheimbunde und korrupte Imperien ging. Außerdem würden demnach Viren zur Kontrolle der Menschheit freigesetzt werden.
Kurze Zeit später bewarb er einen antisemitischen Film über X. In diesem wurden Juden unter anderem als „teuflisch“ bezeichnet. Für Irving setzte es weitreichende Konsequenzen. Sein Schuh-Partner Nike kündigte ihm die Zusammenarbeit. Irving löschte den Beitrag drei Tage später wieder, wies aber weiter auf die Verfolgung und Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung in der Geschichte hin. Eine Woche später folgte - mal wieder - eine Entschuldigung, doch Irvings Zeit in Brooklyn war abgelaufen.
Irving wirkt geläutert und gereift
All diesen Zwischenfällen zum Trotz wirkt Irving in Dallas gereift und geläutert. „Als junger Mensch habe ich über all diese Dinge nicht viel nachgedacht, ich hatte nicht wirklich Ahnung, wer ich als Person überhaupt war. Das musste ich erst einmal herausfinden“, zeigte sich Irving zuletzt einsichtig. „Ich bin heute viel verantwortungsbewusster mit allem, was ich täglich sage und tue.“
Irving vermutet, dass ihn Leute bereits häufig „vorschnell verurteilten, ohne mich genau zu kennen“. Er sei schließlich als prominenter Mensch in der Öffentlichkeit erwachsen geworden. Sein großes Ziel: „Ich will der nächsten Generation zeigen, dass es möglich ist, durchs Feuer zu gehen und wie Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen.“
Gewinnt er mit den Dallas Mavericks unverhofft die Meisterschaft in der NBA, würde er diesem Ziel sicher einen Schritt näherkommen.