Ist die James-Harden-Ära in Los Angeles vorbei, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat? Für eine solche Prognose ist es wohl noch zu früh, aber der Start der L.A. Clippers mit Harden hätte definitiv besser ausfallen können. Erst das sechste Spiel nach der Ankunft des vermeintlichen Retters wurde gewonnen.
Letzte Chance für diesen Superstar
Trotz des ersten Erfolgs gibt es aber weiterhin zahlreiche Fragezeichen rund um die Franchise und Harden, die noch zu lösen sind.
Denn noch mehr Sorgen als die vielen Niederlagen bereitet aktuell die Spielidee der Clippers. Bisher ist nur bedingt ein Plan von Coach Tyronn Lue erkennbar, wie Harden und der Rest des Starensembles dauerhaft am besten funktionieren können.
Erster Lichtblick für Harden und Clippers
Harden kommt in der bisherigen Saison auf durchschnittlich 16,5 Punkte, 4,7 Assists und 5,2 Rebounds pro Partie. Gar nicht so übel, möge man meinen - doch der zehnmalige All-Star kommt in seiner Karriere auf ganz andere Durchschnittswerte: 24,6 Punkte, sieben Assists und 5,6 Rebounds - Harden hinkt also in allen Kategorien hinterher.
Das kommt nicht völlig unerwartet, schließlich haben die Clippers vor allem mit Kawhi Leonard und Paul George, aber auch Russell Westbrook noch andere Superstars in ihre Reihen. Ein wenig mehr hat sich die Franchise sicher dennoch versprochen.
Zu schnell in Panik sollten die Clippers dennoch nicht verfallen, schließlich sind auch erst sechs Spiele mit Harden im Lineup absolviert und es war zu erwarten, dass die Integration ein Prozess sein würde.
Einen Lichtblick gab es zuletzt auch. Beim knappen 106:100-Sieg gegen die überraschend stark gestarteten Houston Rockets drehte Harden erstmals auf. „The Beard“ steuerte nicht nur 24 Punkte, sieben Assists und neun Rebounds bei, sondern sorgte mit seinem 4-Punkt-Spiel sechs Sekunden vor Schluss auch für die Entscheidung.
Dennoch ist Harden noch nicht das selbsternannte „System“, wie er es auf der Antritts-Pressekonferenz ankündigte, sondern an vielen Stellen eher noch ein Fremdkörper für die Clippers-Offensive.
L.A. Clippers müssen einige Probleme lösen
Das große Problem in der Offensive bleibt: Leonard, Westbrook, George sowie Harden alle sinnvoll in der Offensive einzusetzen und nicht nur abwechselnd einen machen zu lassen, während der Rest in der Ecke zuschaut. Gegen eine gute Verteidigung führt dies häufig zu langen und ideenlosen Sequenzen.
Erste Lösungsansätze gab es bereits. So versuchte sich George bei der 126:144-Niederlage gegen die Dallas Mavericks offensiv zurückzunehmen und auf Rebounds sowie andere Defensiv-Aktionen zu fokussieren. Das Ergebnis waren lediglich acht Punkte für den so treffsicheren Star.
Coach Lue erklärt laut ESPN dem Team aber deutlich, dass ein passiver George auf keinen Fall die richtige Lösung sein könnte. Auch Harden müsse unbedingt seinen Basketball-Stil beibehalten dürfen. Doch ob das alles zusammenpassen kann?
Defensiv ist das Problem sogar noch größer. Zwar ist Leonard ein hervorragender Verteidiger, doch gerade Harden und Westbrook haben hier große Schwächen. Und mit allen vier Spielern auf dem Court sind die Clippers auch oft zu klein aufgestellt.
Westbrook setzt sich freiwillig auf die Bank
Doch was nun? Liegt die Lösung darin, die Mannschaft anders aufzustellen und nicht alle vier Stars gemeinsam auf den Court zu schicken? Wahrscheinlich, denn speziell Lineups mit Westbrook und Harden wirken sehr anfällig und oft statisch.
Offenbar erkannten das auch die Spieler, denn Westbrook bot laut Berichten von sich aus an, von der Bank zu kommen. Während das für Westbrook zwar eine deutlich kleinere Rolle mit nur acht Punkten in 17 Einsatzminuten zur Folge hatte, stand am Ende der erste Clippers-Sieg in der Harden-Ära.
Leonard lobte seinen Teamkollegen für den freiwilligen Verzicht auf seinen Platz in der Starting Five: „Es ist ein sehr bemerkenswertes Opfer, das er bringt. Wenn er einen solchen Zug macht, zeigt das uns und den anderen Teamkollegen, die auf der Bank sitzen, dass wir uns alle aufopfern müssen.“
Der Superstar ist überzeugt, dass Westbrook von der Bank noch stärker wird: „Ich denke, er wird gut sein. Wir werden alle Zeit brauchen, um es herauszufinden, aber ich denke, er hat sich gut geschlagen. Er ist reingekommen und hat einen großen Dreier für uns getroffen und ein paar Stopps gemacht, tolle Verteidigung.“
Lue: Darauf wird es bei den Clippers ankommen
Auch Clippers-Coach Lue ist sich sicher, dass er das Problem gelöst gekriegt, weiß aber auch, dass dies nicht einfach wird: „Die wichtigste Sache wird sein, alle bei der Stange zu halten, alle bei Laune zu halten - das wird das Schwierigste sein. Aber das ist in Ordnung.“
Mit drei Stars in der Starting Five, die den Ball brauchen, könnte dies zumindest ein wenig besser funktionieren als mit vier. Immerhin hat Lue bereits Erfahrung mit drei Superstars in einem Team zu Cleveland-Zeiten gesammelt, als LeBron James, Kryie Irving und Kevin Love unter ihm spielten.
Allerdings sind die Spielertypen nur bedingt miteinander zu vergleichen. So bleibt die Frage, wie sehr sich Westbrook wirklich mit seiner kleineren Rolle von der Bank dauerhaft anfreunden kann.
Lue verriet bei ESPN, was Warriors-Starcoach Steve Kerr zu ihm nach dem Harden-Trade sagte: „Oh mein Gott, das wird verrückt. Aber wenn irgendein Trainer damit umgehen kann, dann bist du es.“
Wird Theis zur wichtigen Hilfe für Harden?
Spannend zu sehen wird auch, welche Rolle Neuzugang Daniel Theis einnimmt. Der deutsche Weltmeister wechselte nach seinem Buyout bei den Indiana Pacers zu den Clippers, da diese nach der Verletzung von Mason Plumlee Bedarf hatten.
In seinem ersten Spiel durfte er lediglich zehn Minuten ran, doch auch Theis muss sich erst noch hineinfinden. Dann könnte er zu einer wichtigen Hilfe von Harden werden. Schließlich benötigte der Guard in seiner Karriere meist gute Big Men, um sein Spiel durchzuziehen.
Jetzt oder nie - letzte Chance für Harden
Am Ende werden bei der Bewertung der Clippers jedoch sowieso alle vor allem auf Harden schauen, der mittlerweile 34 Jahre alt ist. In diesem Alter ist ein Leistungsverlust durchaus üblich, wenn man nicht gerade LeBron James heißt.
So war Harden zweifelsohne einer der besten Offensivspieler überhaupt in der NBA: Fabelhaftes Ballhandling, ein gnadenlos zuverlässiger Dreier- und Freiwurfschütze und womöglich der beste Passspieler der Liga.
In der vergangenen Saison half er mit seinen Spielmacher-Fähigkeiten entscheidend dabei mit, dass sein damaliger Sixers-Teamkollege Joel Embiid zum MVP gewählt wurde - bevor Harden in den Playoffs wieder sehr schwankende Leistungen zeigte.
Nach seiner x-ten Trade-Forderung im Sommer ist Harden nun mehr gefordert denn je. Wenn er noch länger eine wichtige Rolle in der NBA spielen will, muss er die Clippers zumindest zu einem erweiterten Titelkandidaten machen. Andernfalls wird dies das letzte traurige Kapitel einer bemerkenswerten NBA-Karriere.