Victor Wembanyama - schon seit mindestens einem Jahr elektrisiert dieser Name NBA-Bosse und Fans gleichermaßen.
Größtes Talent, das die Welt je sah?
Kein Wunder, schließlich gilt der 19-jährige Franzose als das vielversprechendste Talent seit LeBron James (2003) in die Liga kam - und mancher, wie NBA-Insider Adrian Wojnarowski von ESPN, sieht in ihm das womöglich sogar größte Talent in der Geschichte von Mannschaftssportarten.
Kein Wunder, dass bei seiner Ankunft vor dem NBA-Draft heute Nacht (23. Juni, ab 2 Uhr) in den USA die Fans bereits den Personenkult offenbarten, der im Basketballland USA um „Wemby“ herrscht. Autogramme, Fotos und große Erwartungen brachten sie ihm entgegen. Kann Wembanyama das schultern?
Auch Bill Simmons von The Ringer legte sich bereits früh in seinem Bill Simmons Podcast fest, dass Wembanyama eines der größten Talente ist, das jemals ein NBA-Parkett betreten wird.
Und, dass er gar noch höher als seinerseits LeBron James anzusiedeln ist - dieser wurde bereits als „The Chosen One“ („Der Auserwählte“) bezeichnet. „Ich denke, Wembanyama ist noch vor LeBron der beste Kandidat, den ich je gesehen habe.“
Wenig verwunderlich schickten sich einige NBA-Teams daher quasi von Saisonbeginn an, möglichst viele Spiele zu verlieren, um die Chancen auf den Nummer-1-Pick im NBA-Draft zu erhöhen. „Tank for Wemby“ hieß das Motto für fast alle Teams, die keinen Playoff-Kader hatten.
San Antonio Spurs ziehen das große Los
Den Hauptgewinn in der NBA-Draft-Lottery und damit das erste Wahlrecht haben nun die San Antonio Spurs gezogen. Diese hatten vor der vergangenen Saison mit Dejounte Murray sogar ihren besten Spieler abgegeben - der Masterplan hat sich ausgezahlt.
Zum dritten Mal in der Franchise-History dürften die Spurs als Erstes wählen - und bisher schlugen ihre Picks stets unglaublich gut ein. Genauer gesagt waren dies die heutigen NBA-Ikonen David Robinson im Draft 1987 and Tim Duncan im Jahr 1997.
Es gilt nur als Formsache, dass die Spurs eines der größten Phänomene der jüngeren Draft-Geschichte auch tatsächlich picken. Was aber macht Wembanyama nun so besonders? Welche Probleme könnten in der NBA auftauchen? Und kann der junge Franzose die Erwartungen überhaupt erfüllen?
SPORT1 blickt auf das Phänomen Wembanyama und seine Zukunft.
Das macht Wembanyama zum „Alien“
Wembanyama ist ein Spieler, den es in der Geschichte des Basketballs so noch nie gegeben hat - und weshalb er womöglich auch die Sportart verändern wird, sofern er tatsächlich zu dominieren beginnt.
Mit seiner Körpergröße von mindestens 2,19 m (teilweise wird er schon mit 2,21 m angegeben) und seiner Spannweite von 2,36 m zählt er auf Anhieb zu den größten und längsten Spielern der NBA, was zunächst einmal nichts heißen muss.
So gab es in der NBA-Geschichte mit Manute Bol (2,31 m) oder Gheorghe Muresan (2,31 m) auch schon deutlich größere Spieler - doch Wembanyama ist anders. Er vereint in sich nie dagewesene physische Fähigkeiten mit Skills, die man sonst eher von deutlich kleineren Guards kennt.
Im Gegensatz zu Riesen wie Bol und Muresan, die durch ihre Länge in der Beweglichkeit stark eingeschränkt waren, bewegt sich „Wemby“ geschmeidig wie ein Flügelspieler und kann dadurch den Korb auf eine Weise attackieren, die man für Spieler in seiner Größe bisher kaum kannte.
Aktuell scheint der Franzose mit Kevin Durant (2,08 m) oder Giannis Antetokounmpo (2,11) vergleichbar - ist aber noch einmal rund zehn Zentimeter größer als die beiden Superstars!
Kein Wunder, dass sich sogar LeBron James der Magie des jungen Franzosen nicht entziehen kann. Zwar seien in den vergangenen Jahren viele potenzielle Top-Talente als „Einhorn“ (u.a. Kristaps Porzingis) bezeichnet worden, „aber er (Wembanyama, Anm. d. Red.) ist mehr wie ein Alien.“
Wurf kaum zu blocken, verbessertes Dribbling
Auch seine Wurf-Bewegung sieht gut aus, er trifft recht konstant den Dreier. Außerdem ist er nicht abhängig von seinen Mitspielern, sondern kann sich zu jedem Zeitpunkt seinen eigenen Wurf kreieren.
Durch seine Maße haben die Gegenspieler Probleme, ihm den Wurf zu erschweren, geschweige denn zu blocken - weil Wembanyama schlichtweg über (fast) alle Spieler hinweg werfen kann.
In der modernen NBA ist es für einen absoluten Superstar aber auch entscheidend, dass er mit dem Ball in der Hand für sich und seine Mitspieler gute Würfe herausspielen kann. Eine Fähigkeit, die beispielsweise LeBron James, Luka Doncic oder Nikola Jokic perfekt beherrschen.
Dieser Teil des Spiels bereitete dem Franzose anfangs noch Schwierigkeiten, hat sich in den letzten Jahren jedoch immens weiterentwickelt.
Früher haben ihn die Trainer ausschließlich abseits des Balles agieren lassen, weil sie Fehler minimieren wollten. Durch seine außergewöhnlichen Körpermaße hat Wembanyama lange gebraucht, um seinen Körper kennenzulernen und oft den Ball im Dribbling verloren, weil seine Koordination und Technik (noch) nicht harmoniert haben.
Wembanyama auch als Spielgestalter gefährlich
Je älter der Franzose aber wurde, umso besser wurde sein Dribbling und sein Verhalten am Ball. Bei seinem Team, den Metropolitans 92 in der ersten Liga Frankreichs, fungierte „Wemby“ sogar als Spieler, der primär am Ball ist.
Sein Passspiel und Spielverständnis müssen ebenfalls zu seinen Besonderheiten gezählt werden. So schafft er es mit seiner Entscheidungsfindung und Spielübersicht, die Verteidigungen der Gegner so zu manipulieren, dass er für seine Mitspieler gute Würfe kreieren kann.
Allgemein ist Wembanyama schlichtweg ein „Cheatcode“, wie ihn Superstar Stephen Curry bezeichnete - vor allem auch defensiv. Auf dem Basketball-Court wirkt es oft so, als dürften die Gegenspieler nicht direkt am Korb abschließen, weil Türsteher Wembanyama sie nicht reinlässt.
Durch seine physischen Voraussetzungen ist auch der Spielraum für Fehler deutlich größer als bei jedem anderen Spieler: Sollte ein Gegenspieler entwischen, kann „Wemby“ durch seine Länge und Beweglichkeit häufig selbst noch den Wurf erschweren oder gar blocken.
Das französische „Einhorn“ hat somit das Potenzial, zum Albtraum für gegnerische Offensiv-Stars zu werden. Selten gab es ein Draft-Talent, das gleichzeitig so wenige Schwächen mit einem schier endlos wirkenden Potenzial verband.
Welche Probleme könnten in der NBA auftauchen?
Das sorgt allerdings schon für eine absurde Erwartungshaltung, bevor Wembanyama eine einzige Sekunde in der NBA absolviert hat.
Ein NBA-General-Manager sagte The Athletic: „Du hast LeBron, Tim Duncan und all diese Jungs. Aber er ist der Einzigartigste, den ich je gesehen habe. Und er ist im Gespräch für den besten Spieler, den man je gescoutet hat.“
Die Last, einer der besten Spieler in der NBA werden zu müssen, am besten einer der besten aller Zeiten, müssen seine schmalen Schultern erst einmal tragen.
Das führt direkt zu einem weiteren Fragezeichen - der Verletzungsanfälligkeit. So manchem Supertalent machte der Körper einen Strich durch die Rechnung. Das beste Beispiel ist Zion Williamson.
Dieser galt in seinem Draft 2019 ebenfalls als das größte Talent seit LeBron James. Vier Spielzeiten später lässt sich festhalten, dass Williamson kaum auf dem Court enttäuschte, er diesen aufgrund seiner Verletzungen jedoch auch nur selten betrat.
In 328 möglichen Spielen in der regulären Saison stand der 22 Jahre alte Amerikaner nur 114-mal auf dem Platz. Jahr für Jahr werfen ihn Verletzungen zurück und nehmen ihm die Chance, sein volles Potenzial zu entfalten.
Wembanyamas großer Vorteil im Vergleich zu Williamson: das Gewicht. Während der Big Man der Pelicans gut 130 Kilo auf die Waage bringen soll, wird Wembanyamas Gewicht gerade einmal mit etwas über 100 Kilo angegeben.
Die absurde Länge bringt allerdings auch automatisch hohe Belastungen für die Gelenke mit sich. Nicht selten kämpfen Spieler seiner Größe mit Gelenkproblemen.
Auch defensiv gibt es noch ein paar Baustellen, die in der NBA schnell auffallen können. Zum einen wird Wembanyama Muskeln und damit Gewicht draufpacken müssen, um nicht herumgeschubst zu werden. Zudem sind seine Explosivität und sein Rebounding definitiv noch ausbaufähig.
Spurs und Popovich perfekt für Wembanyama
Für die Entwicklung des jungen Franzosen hätte man sich als neutraler Fan aber keine bessere Kombination erträumen können als die Spurs und Trainer-Legende Gregg Popovich. Der kauzige Coach versteht es wie kaum ein anderer, das Maximum aus seinen Spielern herauszuholen und junge Talente zu entwickeln.
Der 74-Jährige hat das bereits mit Duncan bewiesen, der im NBA Draft 1997 von den Texanern ebenfalls an der erster Stelle ausgewählt wurde. Im Umfeld der Spurs entwickelte sich Duncan zu einem der besten Spieler in der NBA-Geschichte.
„Pop“ sollte auch dabei helfen, dass Wembanyama am Boden bleibt. In Frankreich ist der erst 19-Jährige bereits eine Berühmtheit, seine Spiele bei den Metropolitans 92 zogen prominente Besucher wie Fußball-Star Kylian Mbappé an, mit dem „Wemby“ ein freundschaftliches Verhältnis pflegt.
Als jüngster Spieler jemals wurde er zudem als MVP in der französischen Liga ausgezeichnet. Auch gewann er die Awards für den besten Scorer, den besten Blocker, den besten Verteidiger und den besten jungen Spieler.
Spannend wird sein, ob die Spurs es langsam angehen lassen oder alleine wegen Wembanyama bereits sofort aus dem oft jahrelang dauernden Rebuild-Modus wechseln und aggressiv nach guten Ergänzungsspielern für ihren neuen Superstar Ausschau halten.
Wembanyama selbst will jedenfalls nicht lange warten und so bald wie möglich den Titel holen: „Ich werde alles tun, um so viele Spiele wie möglich zu gewinnen und ich werde versuchen, so schnell wie möglich einen Ring (des Champions, Anm. d. Red.) zu gewinnen. Seid bereit!“
Aus dem Mund des vielleicht besten Draft-Picks aller Zeiten klingt das schon fast wie eine Drohung.