Geht man nach den Follower-Zahlen, sind die Chicago Bulls immer noch eine der populärsten Franchises der NBA.
Der gefährliche Neustart der Bulls
Stolze 17,5 Millionen Fans haben die Bulls auf Facebook, nur die Los Angeles Lakers haben mehr. Rekordchampion Boston Celtics kommt zum Vergleich lediglich auf 8,9 Millionen, kleinere Teams haben nicht einmal zwei Millionen.
Zu verdanken ist dies aber fast ausschließlich einem Mann, der bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr für die die Bulls aufläuft: Michael Jordan. Der Basketball-GOAT löste einen riesigen Hype rund um das Team aus und führte sie in den 90er-Jahren zu sechs Titeln.
Chicago verpasst häufig Playoffs
Doch seitdem wartet ganz Chicago vergeblich auf Titel Nummer 7. In den vergangenen 20 Spielzeiten wurden die Playoffs neun Mal verpasst und falls die aktuelle Saison trotz der Corona-Pandemie noch fortgesetzt wird, voraussichtlich zehn Mal.
Dabei konnte nicht ein einziges Mal die Finals erreicht werden und lediglich in der Saison 2010/2011 besaß das Team echte Titelchancen. In den Ost-Finals war allerdings Endstation, da sich zum Pech der Bulls bei den Miami Heat die Superstars LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh zusammengeschlossen hatten.
Angeführt vom jungen Spielmacher und MVP Derrick Rose hatten Millionen Bulls-Fans weltweit danach endlich wieder Hoffnung, dass ihr Team an die alten Zeiten mit Jordan anknüpfen könnte. Doch Chicago-Lokalheld Rose warfen ab 2012 mehrere schwere Knieverletzungen aus der Bahn, was alle Titelambitionen der Bulls platzen ließ.
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Rebuild der Bulls stockt
Was folgte, waren einige Jahre gehobenen Mittelmaßes, ehe sich die Bulls zum Rebuild entschieden. Dieser läuft nun schon seit einigen Jahren. In dieser Saison sollte mit dem jungen Team um Zach LaVine und Lauri Markkanen der Angriff auf die Playoffs erfolgen.
Doch der erhoffte deutliche Sprung nach vorne blieb aus. Schnell machte sich Unzufriedenheit bei den Bulls-Fans breit und viele forderten den Rauswurf von Vize-Präsident John Paxson und General Manager Gar Forman.
Dies wird nun Realität. Forman wurde am Montag entlassen und der seit Jahren erfolglos agierende Paxson, der seinen Bonus als Meisterspieler neben Jordan längst verspielt hat, wird durch den derzeitigen Denver-GM Arturas Karnisovas ersetzt.
Auf Karnisovas warten Stolperfallen
Karnisovas hat bei den Nuggets erstklassige Arbeit geleistet und soll in der "Windy City" nun eine neue Ära einleiten. "Unser Endziel ist ganz klar, einen Meistertitel in die Stadt Chicago zu bringen", gab Karnisovas als Ziel aus.
Als Mann von außen könnte er es aber anfangs schwer haben. Denn in den vergangenen 35 Jahren hatten die Bulls mit Jerry Krause und Paxson nur zwei Leute, die letztlich das Sagen hatten. Beide wurden intern befördert.
Auch viele Trainer der Bulls waren zuvor bereits in der Franchise tätig. Erfolgstrainer Phil Jackson und der aktuelle Trainer Jim Boylen arbeiteten zuvor als Assistenztrainer, Fred Hoiberg und Bill Cartwright waren zuvor Spieler.
Eigentümer führt Bulls wie Familienbetrieb
Eigentürmer Jerry Reinsdorf führte die Bulls immer noch wie ein Familienbetrieb und löste Personalentscheidungen gerne intern. So verwundert es nicht, dass Paxson künftig als Berater für Reinsdorf an Bord bleiben soll.
Und auch wenn Reinsdorf und sein Sohn Michael, der Chief Operating Officer der Bulls, endlich zum Entschluss kamen, dass frischer Wind von außen nötig ist - die Stimmen der Vergangenheit bleiben in Reindsdorfs Nähe. Er kann sich einfach nicht von den goldenen Zeiten lösen, obwohl dies längst nicht mehr zeitgemäß ist.
Für Karnisovas macht dies die Aufgabe noch schwerer, weshalb er versucht, der Franchise rasch seinen Stempel aufzudrücken. Als seine erste Entscheidung holte der Litauer laut The Athletic J.J. Polk von den New Orleans Pelicans als Assistant GM zu den Bulls. Trotzdem darf er den Eigner mit zu vielen Alleingängen weg von der alten Zeit nicht verärgern - ein gefährlicher Drahtseilakt, der ihn schlimmstenfalls auch seine Reputation kosten kann.
Was passiert mit Coach Boylen?
Doch die nächsten Entscheidungen warten bereits - wer wird neuer GM und wie geht es mit Coach Boylen weiter? Eine Entlassung erscheint alternativlos. Boylen soll die Unterstützung vieler Spieler verloren haben, einige böse Zungen behaupten sogar bereits nach der ersten Trainingseinheit.
Besonders die Stars des Teams haben auf Boylen demnach wenig Lust. Markkanen hat öffentlich seine Unzufriedenheit über seine Rolle geäußert, mit LaVine soll es häufiger zum Streit gekommen sein und seine extrem langen Trainingseinheiten nach Spielen kamen ebenfalls nicht gut an.
Eine der Bedingungen von Reinsdorf bei der Einstellung eines neuen GM soll laut US-Medienberichten allerdings gelautet haben, dass derjenige einer Weiterbeschäftigung Boylens offen gegenübersteht.
Chicago fehlt ein echter Star
Ein weiteres Problem für Karnisovas: Dem Team fehlt ein großer Star, der die Ticket-Verkäufe ankurbelt und weitere Stars nach Chicago locken kann. In Zeiten der NBA-Superteams ist das zwingend nötig, um Titelchancen zu haben.
Im Idealfall könnten die Brooklyn Nets als Vorbild für die Bulls dienen. Nach einigen Rebuild-Jahren haben sie sich nach einer guten Saison die Superstars Kevin Durant und Kyrie Irving angeln können. Mit einem fitten Durant zählen die Nets 2021 zu den Geheimfavoriten.
Davon ist Chicago aktuell noch meilenweit entfernt. Doch mit einer starken Saison 2020/2021 könnten die Bulls in den Überlegungen von großen Stars, deren Verträge nach der Saison 2021 auslaufen, wieder eine Rolle spielen. Denn mit LaVine, Markkanen, Rookie Coby White, Wendell Carter oder auch Otto Porter stehen durchaus talentierte Spieler im Kader, die für einen Superstar als Mitspieler interessant sein könnten.
Zudem zählen die Bulls dank ihrer Vergangenheit immer noch zu den populärsten Franchises weltweit - und welcher Star würde nicht gern in die Geschichte als derjenige eingehen, der den Erfolg nach der Jordan-Ära zurück nach Chicago brachte?