„The Answer“ Iverson ist eine der kontroversesten Legenden der jüngeren NBA-Geschichte.
Diese bizarre PK war eigentlich traurig
Der wuselige Spielmacher - zugleich Stilikone und Teilzeit-Rapper - war zu aktiven Zeiten bei den Fans ganz hoch im Kurs, da er sich mit unbändigem Kampfgeist gegen weitaus größere und schwerere Spieler durchsetzte. Und weil er nie ein Blatt vor den Mund nahm.
Der heute 48-Jährige stieß mit seiner unverblümten Art aber auch oft Vorgesetzte vor den Kopf, nicht zuletzt dem damaligen Commissioner David Stern, mit dem sich Iverson immer wieder anlegte.
Zu einem besonders legendären Vorfall, der bis heute als Meme im Netz präsent ist, kam es heute vor 22 Jahren.
Allen Iverson nach bester Saison in der Krise
Es war der 7. Mai 2002, das Jahr, nachdem der elfmalige All-Star in der Saison 2000/01 seine erfolgreichste Saison gespielt hatte: Iverson war zum wertvollsten Spieler der NBA gewählt worden und mit den Philadelphia 76ers bis in die NBA Finals vorgestoßen - wo Iverson, Legenden-Kollege Dikembe Mutombo und Kollegen erst von den Los Angeles Lakers um Kobe Bryant und Shaquille O‘Neal gestoppt werden konnten.
Doch in der folgenden Spielzeit stürzten die Sixers ab, schafften es nur mit Ach und Krach in die Playoffs, um da in der ersten Runde an den Boston Celtics zu scheitern.
Iversons Zukunft stand danach in Frage, ein Trade war im Gespräch. Hinzu kamen Vorwürfe von Trainer Larry Brown, dass A.I. mehrere Trainings versäumt hätte. Iversons Reaktion darauf - in einer vier Tage später einberufenen Pressekonferenz - ist so skurril wie unvergessen.
"Wir reden hier über Training! Training!"
Binnen rund zwei Minuten benutzte der verletzungsgeplagte Spielmacher 24 Mal das Wort Training, drückte wieder und wieder seinen Ärger aus, wie viel Aufmerksamkeit das Thema bekam - statt dass darüber geredet, wie sehr er sich in einer schwierigen Situation für das Spiel und die Mannschaft aufgeopfert hätte. „Wir reden hier über Training! Training!“ (“We talkin‘ about Practice! Practice!“)
Einige Journalisten staunten schweigend, andere konnten sich das Lachen nicht verkneifen. Manche glaubten, Iverson sei alkoholisiert. Das behauptet auch Kent Babb in der Biographie "Not a Game: The Incredible Rise and Unthinkable Fall of Allen Iverson".
Head Coach Brown deutete gestisch einen Schluck aus der Flasche an und sagte: "Ich nehme an, er ist ausgegangen und hat irgendwo herumgekaspert."
Mord an bestem Freund erschütterte Iverson
Iverson hat dem entschieden widersprochen. Und ESPN-Journalist Stephen A. Smith, ein enger Vertrauter Iversons, nennt diese Behauptung „ekelhaft“ - und spekulierte, dass Babb von böswilligen Ex-Kollegen Iversons bewusst falsch informiert worden sei.
Was im allgemeinen Amüsement um Iversons Auftritt unterging, war die tragische persönliche Situation, in der Iverson sich damals befunden hatte: Rund ein halbes Jahr zuvor war sein bester Freund, Rahsaan Langford, im Alter von nur 29 Jahren erschossen worden. Iverson tat sich schwer, den Verlust zu verkraften - und es wirkte sich auch auf seine Form aus. Wenige Tage vor der unvergesslichen Tirade hatte der Mordprozess begonnen.
Während die YouTube-Videos sich auf seine Wutrede beschränken, offenbarte er gleich danach, wie sehr ihn die persönliche Tragödie und die sportliche Enttäuschung erschütterten: „Ich bin aus einem Grund erregt: weil ich hier sitze. Verloren habe. Meinen besten Freund verloren habe. Ihn und dieses Jahr. Es geht alles den Bach runter für mich. Mein Leben. Ich muss das verarbeiten... Mein bester Freund ist tot. Tot. Und wir haben verloren.“
Iversons NBA-Karriere endete 2010 nach weiteren Karriere-Stationen bei den Denver Nuggets, den Detroit Pistons, den Memphis Grizzlies und einem Comeback in Philly. 2016 zog er in die Hall of Fame ein, seine Nummer 3 wird seit 2013 von den 76ers nicht mehr vergeben.
Anfang 2023 war der fünffache Familienvater in den Schlagzeilen, als er zusammen mit Ex-NBA-Kollege Al Harrington eine Firma für den Vertrieb von Cannabis-Produkten gründete. Aktuell wird für Amazon eine Dokumentation über Iverson gedreht, produziert vom ehemaligem NBA-Superstar Shaquille O‘Neal.