„Ich bin traurig und schockiert.“ Alle Augen waren für fast zwölf Minuten auf Shohei Ohtani gerichtet, als dieser am Montag im überfüllten Presseraum der Los Angeles Dodgers zu den Medienvertretern sprach. „Jemand, dem ich vertraut habe, hat das getan – Geld gestohlen und Lügen verbreitet“.
Irrwitziger Skandal um einen Giganten
Als Übersetzer für den Japaner fungierte Will Ireton, ein Angestellter der Dodgers. In all den Jahren, seit Ohtani 2018 in die Major League Baseball (MLB) gekommen war, hatte diese Aufgabe eigentlich Ippei Mizuhara übernommen. Mizuhara war mehr als ein Übersetzer. Er war ein enger Freund Ohtanis, begleitete und beriet ihn in allen Lebenslagen. Und ist nun derjenige, der im Fokus des Skandals steht.
Die Chronologie der Ereignisse liest sich wie ein Hollywood-Film und hält einige Episoden bereit, die teilweise mehr Fragen aufwerfen als beantworten: Die Los Angeles Times sorgte in der Vorwoche mit einem Bericht für Aufsehen, wonach die Anwaltskanzlei Berk Brettler LLP Vorgänge rund um Mizuhara untersuche. Grund hierfür sei, dass bei einer Bundesuntersuchung gegen einen mutmaßlich illegalen Buchmacher auch der Name Ohtanis fiel.
Ohtani „Opfer eines massiven Diebstahls“?
„Im Zuge der Beantwortung der jüngsten Medienanfragen haben wir herausgefunden, dass Shohei Opfer eines beträchtlichen Diebstahls geworden ist. Wir werden die Angelegenheit den Behörden übergeben“, erklärte Brettler. Es geht um 4,5 Millionen Dollar, die auf Ohtanis Bankkonto fehlen und offenbar dazu verwendet wurden, um die Schulden von Dolmetscher Mizuhara bei einem Sportwetten-Ring in Kalifornien zu begleichen.
Doch was wusste Ohtani von alledem? Kurz nachdem Ohtanis Anwälte verkündet hatten, dass dieser dem Diebstahl zum Opfer gefallen sei, gaben die Dodgers die Kündigung von Mizuhara bekannt. ESPN liegen jedoch weitere Stellungnahmen aus dem Umfeld Ohtanis vor, die widersprüchlich sind.
Zuerst habe dem ESPN-Bericht zufolge ein Sprecher Ohtanis mitgeteilt, dass dieser die Wettschulden seines Freundes persönlich beglichen habe. Der Sprecher vermittelte zudem den Kontakt zu Mizuhara, der in einem 90-minütigen Interview den Sachverhalt aus seiner Sicht darlegte. Als ESPN die Geschichte jedoch einen Tag später veröffentlichen wollte, dementierte der Sprecher Mizuharas Darstellung und sagte, Ohtanis Anwälte würden eine Erklärung abgeben. Die über den „beträchtlichen Diebstahl“.
ESPN überprüfte mehrere Quellen und kam zu dem Schluss, dass die Überweisungen von Ohtanis Konto an einen Mitarbeiter von Buchmacher Mathew Bowyer gesandt wurden. Bowyers Anwältin Diane Boss beteuerte, diese habe nie direkt mit Ohtani gesprochen. Auch alle weiteren Indizien darauf hin, dass Ohtani nicht selbst gespielt hat.
Sportwetten in Kalifornien weiterhin verboten
Die Glücksspielrichtlinien der MLB verbieten es allen Beteiligten, auf Baseballspiele zu wetten. Zudem sind Onlinewetten und Sportwetten im Einzelhandel in Kalifornien – im Gegensatz zu vielen anderen Bundesstaaten – immer noch generell illegal.
„Er war natürlich nicht glücklich über die Sache und sagte, er würde mir dabei helfenw, dass das nie wieder vorkommt. Er hat entschieden, die Schulden für mich abzuzahlen.“ Dies war die Darstellung von Mizuhara im ESPN-Interview. Ohtani habe sich an seinem eigenen Computer eingeloggt und die Überweisungen unter Mizuharas Aufsicht in Raten über mehrere Monate geschickt.
Doch einen Tag später habe Mizuhata, so ESPN, seine Darstellung geändert und erklärt, Ohtani habe nichts von den Schulden gewusst und die Transaktionen nicht getätigt: „Natürlich ist das alles meine Schuld, alles was ich getan habe. Ich bin bereit, alle Konsequenzen zu tragen.“ Hatte Mizuhara also zuvor gelogen oder seine Darstellung unter Druck geändert?
Ohtani-Dolmetscher ändert Aussage: „Bin spielsüchtig“
Bei ihrer Saisoneröffnungsserie in Südkorea in der Vorwoche gegen die San Diego Padres war auch Mizuhara vor Ort. Ein Sprecher der Dodgers sagte, Mizuhara habe sich nach dem Spiel an das Clubhaus gewandt und über die große ESPN-Geschichte gesprochen, die bald in den Medien zu lesen sein werde. Er sei spielsüchtig und für alles verantwortlich.
Wie eng das Verhältnis der beiden war, zeigt auch die Tatsache, dass Mizuhara stets Verträge bei Ohtanis Teams erhielt – erst bei den Los Angeles Angels 2018 und nun bei den Dodgers, wo der herausragende Pitcher und Hitter im Dezember für die Rekordsumme von 700 Millionen Dollar für zehn Jahre unterschrieben hatte.
„Ich habe nie auf Baseball oder andere Sportarten gewettet oder jemanden gebeten, das für mich zu tun“, richtete sich Ohtani nun über seinen neuen Dolmetscher an die Presse. „Es ist wirklich schwer zu verbalisieren, wie ich mich im Moment fühle.“ Alles Weitere wolle er seinen Anwälten überlassen.
Schließlich gelte es nun, den vollen Fokus auf die Saison zu richten. Der MVP der Saisons 2021 und 2023 erholt sich gerade noch von einer Ellbogenoperation, weshalb er nicht als Pitcher eingesetzt wird. Es wird erwartet, dass Ohtani trotz der laufenden Untersuchungen weiterhin spielen darf.
Bei seinem Heimdebüt für die Dodgers wurde er mit Standing Ovations gefeiert – und durfte sich bei den lockeren 7:1- und 6:3-Erfolgen gegen die St. Louis Cardinals von den Querelen abseits des Feldes ablenken.