Viele deutsche Jugendspieler im American Football träumen vom Sprung in die USA, um dann im besten Fall in der NFL zu spielen.
Deutsches Rekord-Talent will mehr
Diesem großen Traum ist Hero Kanu bereits einen Schritt näher gekommen. Der gebürtige Münchner geht in sein zweites Jahr für die Ohio State Buckeyes, einem der derzeit besten Teams im College Football.
Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der 18-Jährige im Rahmen eines Camps bei den Fursty Razorbacks über seinen Weg an eines der Top-Colleges in den USA.
Zudem erklärt der Defensive Tackle seine schwierige Entscheidung und seine Ziele für die neue Saison. Lobende Worte findet er zudem für seinen ehemaligen Teamkollegen C.J. Stroud, der jüngst von den Houston Texans gedraftet wurde.
Kanu schreibt Football-Geschichte
SPORT1: Herr Kanu, Sie haben damals hier bei den Fursty Razorbacks mit dem Football spielen begonnen. Wann war für Sie absehbar, dass Sie in die USA gehen und Ihren Traum als Football-Profi verfolgen können?
Hero Kanu: Es hat angefangen hier mit Fürstenfeldbruck. Ich habe nicht ein einziges Spiel verloren, und ich würde auch sagen, dass ich ziemlich viele Spiele dominiert habe. Ich war dann bei der bayerischen Auswahl, wurde zur Nationalmannschaft eingeladen und während das Ganze passiert ist, habe ich Brandon Collier von der Rekrutierungsagentur PPI Recruits kennengelernt. Er hat mir klar gemacht, dass ich den Sprung schaffen kann. Ich hatte nämlich schon immer den Traum, in die USA zu gehen, um dann viel Geld zu verdienen. Sei es als Profi-Footballer oder Fußballer, als kleines Kind möchte man immer Sportler werden. Oder Polizist oder Astronaut. Für mich war es Sportler. Ich habe gesehen, dass es mit Fußball nicht geklappt hat. Dann habe ich mir einen neuen Sport gesucht und Football war dann eben die Auswahl.
SPORT1: Wie sind Sie zum Football gekommen?
Kanu: Ich habe einen Kumpel namens Philip Okonkwo. Er spielte auch für Fürstenfeldbruck und wohnte zufälligerweise in meinem Dorf. Wir kennen uns schon seitdem wir jung sind, seit der Grundschule quasi. Einmal war ich am Sportplatz, ich habe Fußball gespielt und er hat mir einem Football zugeworfen. Dann habe ich gesagt: Lass mich das auch mal ausprobieren. Ab dann war ich immer im Training dabei.
SPORT1: Sie haben als 15-jähriger ihr erstes Angebot für ein College bekommen, was bis dato noch nie ein europäisches Talent bekommen hat. War das für Sie der erste Moment, indem Sie von einem großen College geträumt haben?
Kanu: Ja, ich war stoked (zu Deutsch: aufgeregt), als ich den Anruf am 19. Mai 2020 bekommen habe. Brandon Collier hat mir gesagt, dass es real ist, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich ist es ein großes Angebot, aber Brandon sagte mir immer: Stay humble, keep working. Das heißt, dass ich immer weiter trainieren muss und nicht abheben soll. Dann ist mir auch der Gedanke gekommen, dass ich für zwei Jahre in die High School in die USA gehe, was sehr gut funktioniert hat. Ich habe 26 weitere Stipendien von D1-Colleges angeboten bekommen, was natürlich eine Ehre war.
Kanu begründet Entscheidung für Ohio State
SPORT1: Sie haben es angesprochen, sie haben 27 Angebote bekommen. Wie entscheidet man da, für welches College man spielen möchte?
Kanu: Ja, das war eine sehr, sehr, sehr, sehr, sehr schwere Entscheidung. Ich habe mir manchmal gewünscht, dass ich nur eine Angebot habe (lacht). Ich habe mit Brandon und der ganzen Familie geredet. Was ist der beste Fit für mich? Das heißt nicht, dass ich beim besten Team spielen muss, sondern wo für mich die beste Teamchemie herrscht. Da ging es um Fragen, wie sind die Leute, mit denen du dich umgibst, und was für einen Einfluss haben sie auf dich? Dann ging es mir auch ums Development, also wie viele Leute haben sie auf meiner Position schon auf das nächsten Level gebracht? Und was bringen sie dir bei? Wichtig war auch, ob das Team eine 4-3-Defense, in der ich mich wohlfühle, spielt. Zudem war die Stabilität eine große Sache für mich. Ohio State zum Beispiel war immer ein konstantes Programm, hat viel gewonnen und konstant Leute in die NFL gebracht. Deswegen habe ich mich für sie entschieden.
SPORT1: Das erste Jahr bei Ohio State liegt bereits hinter Ihnen. Nehmen Sie uns mal mit in Ihre Saison, denn vor 100.000 Fans zu spielen, ist bestimmt etwas Besonderes.
Kanu: Das erste Spiel war gegen Notre Dame, auch ein absolutes Powerhouse. In der Preseason waren sie als Nummer fünf geranked, wir waren Nummer drei. Das war ein großes Ding. Das Spiel war ausverkauft, es war ein Abendspiel um 19 Uhr, das war eine ganz besondere Atmosphäre. Das Stadion war immer voll, das Kleinste, was wir hatten, waren glaube ich 90.000 Zuschauer. Wenn du beim ersten Snap hoch auf die Tribüne schaust, dann bist du richtig nervös, aber danach geht‘s schon.
SPORT1: Konnten Sie es die ganze Zeit ausblenden oder haben Sie immer mal wieder ehrfürchtig hochgeschaut?
Kanu: Im Spring Game vor ein paar Wochen habe ich die längste Spielzeit bekommen und vor 75.122 Zuschauern gespielt. Es war 25 Grad, schönes Wetter, die Leute wollten zuschauen. Es war laut, aber man musste es ausblenden. Nach den ersten paar Spielzügen hat es aber angefangen, richtig Spaß zu machen.
Kanu lobt Stroud: „Er ist ein toller Mensch“
SPORT1: In der Saison habt Ihr das Playoff-Halbfinale ganz knapp mit 41:42 gegen Georgia verloren. Sind Sie trotzdem zufrieden mit Ihrer Leistung und der des Teams, auch wenn es nicht zum Titel gereicht hat?
Kanu: Ja, leider sind wir im Halbfinale ausgeschieden, aber eigentlich war es das vorgezogene Finale. Schließlich hat Georgia TCU mit 65:7 bezwungen, wir haben gegen sie nur knapp verloren. Mit auslaufender Uhr ist unser Kick daneben gegangen, sodass wir das Spiel verloren haben. Es war dennoch ein riesiges Game, die Atmosphäre war verrückt. Wir brauchten 1.000 eingebaute Stehplätze für dieses Spiel. Die Vorbereitung war immens und wir haben sehr viel Spaß gehabt, auch wenn es am Ende leider nicht gereicht hat. Wir wollen aber in der nächsten Saison wieder zurückkommen.
SPORT1: Ihr hattet mit C.J. Stroud einen Quarterback, der an Nummer 2 von den Houston Texans gedraftet wurde. Wie haben Sie Ihn als Spieler wahrgenommen? Und was wünschen Sie Ihm?
Kanu: Ich wünsche ihm nur das Allerbeste. Ich haben mir mit ein paar Teamkollegen einen Tisch reserviert und den Draft geschaut. Wir haben uns natürlich für ihn gefreut, aber auch für die anderen First-Round-Picks Paris Johnson Jr. oder Jackson Smith-Njigba. Zudem kann ich mir jetzt vorstellen, dass ich selbst bald in dieser Position sein könnte. Deshalb habe ich mich auch für Ohio State entschieden, weil es etwas ganz Besonderes ist, wie in Fürstenfeldbruck. Alle Leute sind immer noch in Kontakt, ich war auch erst vor Kurzem bei C.J. zu Hause. Er ist ein toller Mensch und viele Leute kennen seine Geschichte nicht. Er hatte in seiner Kindheit sehr wenig und hat es jetzt so weit gebracht. Deswegen kann man sich auch vorstellen: Es gibt keine zu großen Träume. Er ist wirklich das perfekt Beispiel dafür. Er hat verstanden, dass Football wie ein Business ist und du immer weitermachen musst, auch wenn du Momente hast, wo du sagst: Okay, jetzt möchte ich aufhören, ich hab keine Lust mehr. Ich bin sehr, sehr stolz auf ihn.
Football-Talent mit wichtigen Tipps für den Sport
SPORT1: So langsam beginnt die Vorbereitung auf die zweite Saison. Was haben Sie sich vorgenommen?
Kanu: Jedes Jahr gibt es eine Competition auf den einzelnen Positionen. Aber es ist Tough Love, wie man sagt. Wir wollen uns gegenseitig besser machen, lernen dabei aber auch, hart zueinander zu bleiben. Mein Ziel für diese Saison ist es, das Team besser zu machen. Mir ist egal, wie viele Spiele ich spiele, ich will einfach nur das Team besser machen. Ich habe im Spring Game ein sehr gutes Spiel gehabt. Wenn es so weitergeht, dann werde ich einen festen Platz haben.
SPORT1: Viele junge deutsche Football-Talente träumen von dem Sprung in die USA. Was würden Sie jungen Spielern empfehlen?
Kanu: Es geht nicht immer ums Talent. Es geht darum, tough zu sein, diesen Fight in sich zu haben, wie wir bei Ohio State sagen. Wenn dir jetzt der kleine Finger ein bisschen weh tut, dann sagen viele Leute, sie können nicht mehr spielen. Man muss aber durchspielen, denn ansonsten bekommt jemand anderes deinen Job. So muss man sich das denken und niemanden ranlassen. Zudem muss man, wenn man zurückliegt, einfach weiter kämpfen und sein Bestes geben. Ich schätze Leute, die ihr Bestes geben, die Spaß daran haben, zuhören und einfach die Sachen auch umsetzen. Ich hatte am Anfang damit meine Probleme, aber nach einer Zeit mit Brandon habe ich verstanden: Okay, du willst nur das Beste für mich.
Hero Kanu vermisst das deutsche Essen
SPORT1: Sie haben bereits mehrfach Brandon Collier erwähnt. Er wurde vor kurzem von Sports Illustrated auf Platz fünf der einflussreichsten schwarzen Persönlichkeiten im College-Football gewählt. Was macht Ihn so besonders?
Kanu: Er hat in der NFL, CFL und in der deutschen Liga gespielt. Auf dem Weg hat er einfach viele Beziehungen aufbauen können. Diese Beziehungen nutzt er aus, um die Spieler zu vermitteln. Das ist natürlich das Tolle bei ihm. Diese Tough Love, was ich vorhin angesprochen habe, ist sehr stark in ihm drin. Er will den Leuten beibringen, wie man Football spielt, damit sie diese Chance haben, sich den Traum von der USA zu verwirklichen. Er hat mir mal erzählt, dass er am Anfang noch etwas unsicher war, ob er das wirklich machen soll. Aber irgendwann hat es klickt gemacht und er hat angefangen, seine Talente rüberzubringen und zu vermitteln. Er hat diese Leidenschaft gefunden, dass er Leuten helfen will. Für mich ist er mittlerweile wie eine Familie. Er hat mich sehr viel gepusht, auch mit diesem ganzen Erfolg, den ich hatte. Ich will meiner Schwester, meiner Mutter, meinem Bruder und meinem Vater, die mich immer unterstützt haben, etwas zurückgeben.
SPORT1: Sie sind jetzt zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder zurück. Was vermissen Sie am meisten an Deutschland?
Kanu: Ich freue mich auf meine Familie und meine Freunde. Ich komme auch jedes Mal wieder zurück nach Fürstenfeldbruck, weil ich weiß, wie sie mir geholfen haben. Mir fehlt aber auch das Essen: Brezen, Leberkäse, Weißwurst. Es sind so Sachen, die ich natürlich auch vermisse. Die gibt es da drüben nicht. Die Hauptsache ist aber natürlich meine Familie. Bei diesen Camps kann ich Leuten beibringen, was ich gelernt habe, ihnen eine Option geben, damit sie mehr Spaß haben und mal von Zuhause rauskommen.