Über acht Minuten musste Laura Philipp im Ziel warten bis sie die Britin Katrina Matthews zu ihrem zweiten Platz bei den Ironman-Weltmeisterschaften beglückwünschen konnte. Genau 8:04 Minuten betrug der Vorsprung der 37-Jährigen auf ihre Konkurrentin, die drittplatzierte Amerikanerin Chelsea Sodaro hatte sogar einen Rückstand von 19:23 Minuten.
„Der Gedanke darf nicht kommen”
Mit einer überragenden Leistung krönte sich Philipp Ende September in Nizza zur Weltmeisterin bei einem der härtesten Wettkämpfe der Welt. Nach zwei vierten Plätzen in den Jahren 2019 und 2022 sowie dem dritten Platz im Vorjahr stand die Ausnahmesportlerin erstmals in ihrer Karriere ganz oben auf dem WM-Treppchen.
Philipp: „Habe schnell gemerkt, dass ich mich gut fühle“
Im Interview mit SPORT1 sprach Philipp nun über ihren ungewöhnlichen Karriereweg, welcher Gedanke beim Triathlon niemals aufkommen darf und warum sie jeden Tag ein Stück, oder manchmal auch zwei Stücke, Kuchen isst.
SPORT1: Frau Philipp, Sie haben jetzt einige Tage Abstand zu Ihrem WM-Erfolg. Können Sie schon begreifen, was Ihnen gelungen ist?
Laura Philipp: Ich habe schon ein paar Tage gebraucht, bis ich es realisiert habe. In den letzten Tagen habe ich mir nochmal die Fotos und Zusammenschnitte angeschaut, quasi als Videobeweis. Das hat geholfen, es zu realisieren.
SPORT1: Sie haben in Nizza einen perfekten Tag erwischt. Wie lief das Rennen aus Ihrer Sicht?
Philipp: Ich habe als Quereinsteigerin erst mit 24 Jahren das Kraulschwimmen gelernt, das sind natürlich nicht die besten Voraussetzungen für den Profisport. Von daher wusste ich, dass ich mit Rückstand aus dem Wasser kommen werde. Mit vier Minuten Rückstand nach dem Schwimmen war ich aber sehr glücklich und wusste, dass meine starken Teile noch kommen. Auf dem Rad habe ich schnell gemerkt, dass ich mich gut fühle und auch die langen Anstiege für mich nutzen kann. Nach dem zweiten Wechsel sind Kat Matthews und ich synchron losgelaufen. Irgendwann habe ich aber beschlossen, dass ich auf dieses Schulter-an-Schulter-Laufen keine Lust habe und habe meine Attacke gesetzt.
SPORT1: Titelverteidigerin Lucy Charles-Barclay ist nicht gestartet, Anne Haug kam aufgrund eines Defekts am Rad nicht ins Ziel. Glauben Sie, die beiden hätten Ihnen beim Kampf um den Titel gefährlich werden können, oder fühlten Sie sich an dem Tag sowieso unschlagbar?
Philipp: Ich glaube, dass es auch mein Tag geworden wäre, wenn die beiden dabei gewesen wären - aber wissen tut man es natürlich nicht. Lucy Charles-Barclay ist auf dieser Strecke in diesem Jahr schon mal gestartet. Da war sie 20 Minuten langsamer, obwohl die Radstrecke zwölf Minuten und die Laufstrecke einen Kilometer kürzer war. Mir wurde in den vergangenen Tagen von Trainern und Medienleuten gesagt, dass ich, auch wenn die beiden dabei gewesen wären, gewonnen hätte.
„Ich habe es früh genossen, mich der Challenge zu stellen“
SPORT1: Sie haben erst relativ spät mit dem Triathlon-Sport begonnen. Wie kamen Sie zum Triathlon und was fasziniert Sie daran?
Philipp: Zum Triathlon bin ich durch Zufall gekommen. Freunde von mir haben sich in meiner Heimat bei einem Triathlon angemeldet, bei dem auch Staffelwettbewerbe möglich sind. Die habe ich unterstützt und dann meinen ersten Triathlon gesehen. Ich fand das echt cool und habe es dann als persönliche Herausforderung gesehen, da mal teilzunehmen. Ich habe es früh genossen, mich der Challenge zu stellen. Und nachdem ich mein erstes Rennen ins Ziel gebracht hatte, hatte ich Blut geleckt und wollte mehr.
SPORT1: Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, Profi zu werden? Sie haben vorher als Physiotherapeutin gearbeitet und sind damit wohl schon ein gewisses Risiko eingegangen, oder?
Philipp: Ich wurde irgendwann in das „Erdinger-Alkoholfrei-Perspektivteam“ aufgenommen, wofür ich eine Profilizenz gebraucht habe. Zeitgleich ist man dann auch im Anti-Doping-Testpool. Ich bin dann also relativ schnell mit einer Profilizenz gestartet, obwohl ich nebenbei Vollzeit gearbeitet habe und mich damals nicht als Profi gefühlt habe. Dadurch kam ich schnell in die professionelleren Strukturen und auch in die Preisgeldränge. Dann merkt man, dass man mit seinem Hobby Geld verdienen und es auch irgendwann rechtfertigen kann, auf der Arbeit Stunden zu reduzieren.
SPORT1: Die Ironman-Distanz wirkt für „normale“ Menschen fast unwirklich. Macht es wirklich Spaß, Wettkämpfe über diese Distanzen zu bestreiten? Oder muss man dafür etwas verrückt sein?
Philipp: Ich glaube, man muss schon ein bisschen verrückt sein. Für mich ist ein Ironman sportlich die größte Herausforderung. Es macht Spaß, wenn man merkt, dass man es schafft. Ich weiß noch genau, dass ich mir vor meinem ersten Ironman gar nicht vorstellen konnte, den ins Ziel zu bringen. Aber in dem Wettkampf hatte ich so viele Momente, in denen ich mich selbst positiv überrascht habe, weil ich es so weit geschafft habe und mich immer noch gut gefühlt habe. Danach hatte ich wie so eine Art Persönlichkeitsveränderung und dachte: „Jetzt kann ich alles schaffen.“ Das ist auch das, was viele Hobbyathleten am Ironman fasziniert, diese Herausforderung anzunehmen und zu überwinden. Es ist also schon ein Stück weit Spaß dabei, aber es geht natürlich auch nicht ohne Leiden.
Aufgeben? „Der Gedanke darf nicht kommen“
SPORT1: Sie sprechen das Leiden an - möchte man nicht manchmal einfach im Rennen aufgeben?
Philipp: Der Gedanke darf nicht kommen. Das gehört auch zur Vorbereitung, dass man lernt, das wegzudrücken. Egal ob Profi- oder Hobbyathlet: Man muss sich während der Vorbereitung mental vergewissern, warum man das hier gerade macht. Man hat sich angemeldet, ewig lang trainiert, dann möchte man auch die Ziellinie erreichen.
SPORT1: Aber wie motiviert man sich auch ständig im Training, was treibt einen da an, täglich große Distanzen zu rennen, zu fahren oder zu schwimmen?
Philipp: Mein Glück ist, dass ich erst spät zum Leistungssport gekommen bin. Dadurch habe ich mental und physisch noch mehr Kapazitäten, die bei anderen vielleicht schon aufgebraucht sind. Mir bereitet es grundsätzlich viel Freude, mich zu bewegen. Das ist der Hauptmotor. Und dann die Arbeit an sich selbst: Es ist ein riesiges Privileg, dass man eine gewisse Zeit in seinem Leben versuchen darf, das Beste aus sich selbst herauszuholen. Dass ich morgens aufstehen darf, nicht ins Büro gehen muss, sondern mir meine Laufschuhe anziehen oder mich aufs Fahrrad setzen darf, das motiviert mich.
SPORT1: Sie essen jeden Tag ein Stück Kuchen. Was steckt dahinter?
Philipp: Manchmal auch zwei (lacht). Das ist das Schöne - wenn man viel trainiert, braucht man auch viel Energie. Für mich ist auch wichtig, dass ich mir nie etwas verbiete, weil ich denke, dass ich dann schneller wäre. Es gibt natürlich Konkurrentinnen, die keine einzige Süßigkeit essen oder einen super-strikten Ernährungsplan haben. Ich ernähre mich natürlich gesund, aber ich weiß auch, dass es für mich wichtig ist, mir was zu gönnen. Ich liebe Kuchen, der passt auch super zum Sport, finde ich. Als Belohnung, als kleine Pause zum Kaffee - und das ist schon eine kleine Leidenschaft von mir.
Triathlon-Training: „Mit einem gesunden Ansatz an die Spitze“
SPORT1: Ihr Trainer ist auch Ihr Ehemann und Manager - wie darf man sich das im Training vorstellen und spricht man danach auch noch über Triathlon?
Philipp: Im Triathlon wird häufig gesagt, dass es mehr ein Lifestyle als ein Sport ist. Man muss Triathlon leben wollen, weil es schon allumfassend ist. Deshalb dreht sich bei uns schon viel um den Triathlon. Dann sagt man auch manchmal im Bett kurz vor dem Schlafengehen, „Das reicht jetzt.“ Es ist aber ein Privileg, sich täglich zu sehen und somit sehr flexibel auf das Training und die Trainingssteuerung reagieren sowie hundertprozentig ehrlich miteinander sein zu können.
SPORT1: Und in Sachen Ziele und wie man diese am besten erreicht, ist die Einigkeit auch gegeben?
Philipp: Ja, ich weiß, dass er mit seinem Trainingsansatz nie den schnellen Erfolg erzwingen möchte, sondern mich so behandelt, dass er auch nach meiner sportlichen Karriere noch mit mir zusammen Sport treiben kann. Für Trainer ist nichts leichter, als die Intensitäts- und Volumenschraube so hochzudrehen, dass man jemanden kurzfristig extrem fit macht und dann die Erfolge abräumt. Wir wollen den Leistungssport gesund betreiben. Deshalb auch der Ansatz mit dem zyklusbasierten Training, oder auch mit dem Kuchen. Wir wollen zeigen, dass man es mit einem gesunden Ansatz auch in so einem extremen Leistungssport an die Spitze schaffen kann.
SPORT1: Welche Ziele haben Sie noch? Wären zum Beispiel die Olympischen Spiele 2028 eine Option?
Philipp: Olympische Spiele im Triathlon sind für mich leider nicht erreichbar, weil ich zu spät mit dem Schwimmen angefangen habe. Der olympische Triathlon hat kein Windschattenverbot beim Radfahren, deshalb muss man richtig gut schwimmen. Es ist wie eine andere Sportart. Die Frage nach den Zielen für das kommende Jahr werden wir uns im Winter stellen. Erst mal genieße ich noch den Erfolg, den mir keiner mehr nehmen kann.