Angelique Kerber hat gute Laune. Seit Anfang des Jahres ist die ehemalige Nummer eins der Tennis-Weltrangliste wieder auf der WTA-Tour unterwegs.
Kerber: „Es wäre gelogen, wenn ...“
In den ersten sieben Spielen nach der Baby-Pause gab es nur einen Sieg, zum Start ins Masters von Indian Wells aber gewinnt die 36-Jährige 6:3, 6:4 gegen die Kroatin Petra Martic. Und das kurz nach dem ersten Geburtstag von Tochter Liana.
Im SPORT1-Interview spricht die Wimbledon-Siegerin von 2018 über ihr neues Sportlerinnen-Leben als Mutter, wie sich ihre Herangehensweise verändert hat - und die Olympischen Spiele im Sommer.
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SPORT1: Frau Kerber - 6:3, 6:4 gegen Petra Martic, der zweite Sieg seit dem Comeback. Wie zufrieden sind sie?
Angelique Kerber: Natürlich bin ich zufrieden, dass ich heute die erste Runde hier gewonnen habe und dass ich auch wieder gut gespielt habe. Aber natürlich, ich brauche immer noch Matches, das merke ich. Und klar, je mehr Matches ich kriege, desto besser wird es. Und deshalb freue ich mich, dass ich hier die erste Runde jetzt erst mal geschafft habe.
SPORT1: Erstrundensiege haben gerade eine noch größere Bedeutung, als ohnehin schon, oder?
Kerber: Jedes einzelne Match, das du gewinnst, ist natürlich etwas Besonderes. Besonders jetzt hier in Indian Wells, eines meiner Lieblingsturniere, wo ich auch immer gut gespielt habe, schöne Erinnerungen hatte. Und da ist es natürlich umso schöner, wenn man direkt auch die erste Runde gewinnt.
„Besonderes Jahr, das man nie vergessen wird“
SPORT1: Beim Siegerinterview auf dem Platz war auch Tochter Liana direkt Thema. Ihr erster Geburtstag war vor kurzem. Wie wurde der gefeiert?
Kerber: Wir haben zu Hause gefeiert. Das ist schon verrückt, wie schnell ein Jahr vergeht. Und jetzt ist es für mich auch wichtig, wirklich auch wieder meinen Rhythmus zu finden. Natürlich ist der Tagesrhythmus ein bisschen anders als noch vorher, aber es macht Spaß und ich versuche, jeden Tag zu genießen. Sie ist kurz vorm Laufen, deshalb ist es auch nochmal, glaube ich, ganz besonders jetzt die nächsten Tage auch hier in Indian Wells.
SPORT1: Das eine Jahr seit der Geburt, wie kann man das zusammenfassen?
Kerber: Es waren viele Emotionen, es ist viel passiert in diesem Jahr. Also das war schon ein sehr, sehr besonderes Jahr, das man nie vergessen wird.
Kerber und Wozniacki „sehr gut befreundet“
SPORT1: Wie kann man sich das vorstellen in der Kabine, es gibt ja noch mehr Mütter auf der Tour. Inwiefern ist Mutter sein ein Thema in der Umkleide?
Kerber: Es ist ein ganz anderes Gefühl, jetzt in die Umkleidekabine zu kommen. Es gibt viele Mütter auf der Tour und gefühlt werden es immer mehr. Auch Caro Wozniacki, mit der verstehe ich mich gut, wir sind sehr gut befreundet. Es kommen auf jeden Fall verschiedene andere Themen zur Sprache als noch vor einigen Jahren, ich sag es mal so.
SPORT1: Also auch ganz klassisch: Ich bin Mutter, du bist Mutter, wie machst du es?
Kerber: Auf jeden Fall gibt es auch solche Diskussionen.
SPORT1: Wer ist Ihr Vorbild dahingehend, bei wem finden Sie: Die macht es richtig gut und das ist etwas, woran man sich orientieren kann?
Kerber: Vorbild in der Hinsicht kann man gar nicht sagen, jede macht es anders. Egal mit wem ich spreche, jede macht es auf ihre Art und Weise anders. Man muss für sich selbst den richtigen Weg finden. Und auch den richtigen Ablauf, dass man sich auf der einen Seite wohlfühlt, aber auf der anderen Seite trotzdem konzentriert und professionell seinen Job auf dem Platz macht.
„Wäre gelogen, wenn ich sagen würde, es ist einfach“
SPORT1: Wie machen Sie das, wer kümmert sich um Liana, wenn Sie auf dem Platz sind beim Trainieren oder einem Spiel?
Kerber: Ich habe Hilfe von meiner Familie und das ist für mich ganz wichtig, weil ich weiß, ich habe da ein gutes Gefühl, ich kann allen drum herum vertrauen und kann mit einem guten Gefühl auf dem Platz mein bestes Tennis spielen.
SPORT1: Ist es schwieriger oder einfacher als gedacht, das ganze Drumherum organisiert zu bekommen? Ex-Biathletin Miriam Neureuther hat soeben im SPORT1-Interview von Negativerfahrungen berichtet, die sie von einem möglichen Comeback als Mama abhalten ...
Kerber: Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, es ist einfach. Man muss viel organisieren, aber es ist möglich und das kriegen wir auch ganz gut hin. Trotzdem verlangt es natürlich nach viel Organisation - und auch viel Spontanität.
SPORT1: Was ist bei Ihrer Herangehensweise an die Tennis-Tour anders geworden?
Kerber: Ich bin tatsächlich lockerer geworden und versuche auch diesen Perfektionismus ein bisschen abzustellen, dass man auch mal den einen oder anderen Fehler machen kann, auch mal ein bisschen entspannter ist.
SPORT1: Gilt das nur für neben dem Platz oder auch im Spiel?
Kerber: Im Spiel und nebenher. Es ist eine komplett andere Wahrnehmung, eine komplett andere Auffassung. Sieg und Niederlage, das ist jetzt auch nicht mehr so dramatisch wie früher.
WTA-Comeback mit Stolpersteinen
SPORT1: Das Spiel gegen Martic war das achte seit dem Comeback und der zweite Sieg. Wie gut kommen Sie mit dieser Ausbeute klar?
Kerber: Wir haben Anfang März und ich habe mir gesagt: Ich brauche ein bisschen Zeit, ich muss geduldig sein, um wieder an mein Top-Level zu kommen und das bin ich auch. Ich habe gesagt, das erste Fazit werde ich nach drei, vier Monaten ziehen und im Moment denke ich noch gar nicht drüber nach, sondern versuche einfach weiterhin im Hier und Jetzt zu leben. Ich versuche so viele Matches zu bekommen, wie ich kann, hier in Indian Wells und in Miami, und dann mache ich mal ein Fazit.
SPORT1: Wissen Sie, wo Sie in der Weltrangliste stehen?
Kerber: Keine Ahnung.
SPORT1: Das ist also derzeit nicht relevant?
Kerber: Nein. Punkte, Rangliste, das ist momentan nicht das Relevante für mich und auch nicht die Motivation. Was mich jetzt motiviert, ist: wieder auf dem Platz zu stehen, Matches zu gewinnen und dieses gewisse Gefühl zu haben, auch mit den Fans. (Anm. d. Red: Kerbers steht in der Weltrangliste aktuell auf Platz 497)
SPORT1: Gibt es denn ein Szenario X, das Sie dazu bringen würde zu sagen: Ich habe es probiert, aber es geht nicht und ich höre auf?
Kerber: So weit bin ich noch nicht, ganz ehrlich, da denke ich auch momentan gar nicht drüber nach. Ich bin jetzt hier, es ist schön wieder zurück zu sein und das ist erst der Anfang. Wir schauen, wie lange die Reise geht.
Olympia-Teilnahme realistisch?
SPORT1: Letzte Frage: Inwiefern beschäftigen Sie sich schon mit den Olympischen Spielen in Paris?
Kerber: Olympia ist noch so weit weg, deshalb denke ich noch nicht so weit. Wir haben noch nicht mal mit der Sandplatz-Saison angefangen und dann kommt noch Rasen dazwischen. Ich fokussiere mich jetzt erst einmal auf die ersten Monate und dass ich wieder meinen Rhythmus finde, mein Level wieder habe und dann gucken wir weiter. Aber klar, Olympia ist dieses Jahr und ist natürlich ein großes Highlight.