Scharapowa: Wirklich nur dumm gelaufen?
Meldonium ist ein Wirkstoff, der die Durchblutung fördern und zur Behandlung von Herzkrankheiten und Diabetes geeignet sein soll. In Deutschland und den USA ist er nicht als Arzneimittel zugelassen, eine lettische Medizinfirma vertreibt sie aber in Russland und diversen Nachbarländern unter dem Namen Mildronate.
Nach Erkenntnissen der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA wurde Meldonium von Athleten verschiedener Sportarten zur Leistungssteigerung missbraucht - es bewirke "eine höhere physische und mentale Belastbarkeit sowie eine schnellere Regeneration", berichtet der Kölner Dopingforscher Mario Thevis. Die WADA hat den Wirkstoff daher ab dem 1. Januar auf die Verbotsliste gesetzt.
Warum nahm Scharapowa den Wirkstoff trotzdem weiter?
Die Antwort scheint tatsächlich so banal zu sein, wie Scharapowa es darstellt: Ihr und ihrem Team entging die Änderung des Dopingcodes.
Wie Scharapowa selbst einräumte, erhielt sie am 22. Dezember 2015 eine E-Mail die WADA, in der sie - wie alle Athleten - detailliert über die neuen Bestimmungen informiert wurde. Den Anhang mit den für sie entscheidenden Informationen klickte sie nach eigenen Angaben jedoch nicht an, nahm das Medikament weiter ein und wurde am 26. Januar bei den Australian Open positiv getestet.
"Ich hätte mich informieren müssen", räumt Scharapowa ein.
Also alles nur ein dummes Versehen?
Nicht unbedingt. Obwohl Scharapowa geständig und reumütig ist, bleibt die Frage offen, warum sie ein in Verruf geratenes Medikament wirklich über zehn Jahre hinweg eingenommen hat.
Nach eigenen Angaben verschrieb ihr Arzt es ihr 2006 als Medizin wegen diverser Erkrankungen, eines unregelmäßigen EKGs und ersten Anzeichen von Diabetes, die in ihrer Familie verbreitet sei.
Musste Scharapowa deshalb wirklich zehn Jahre mit Meldonium behandelt werden? Der Chef-Kardiologe der Cleveland Clinic, Steven Nissen, sagte der New York Times: "Es gibt aus klinischer Sicht keinen Anlass, einem gesunden jungen Athleten Meldonium zu verordnen."
Skepsis ist auf alle Fälle erlaubt, die Überbetonung körperlicher Leiden ist bei Athleten ein beliebter Vorwand für medikamentöse Leistungssteigerung.
Die Grenze zwischen medizinischer Notwendigkeit und Betrug ist allerdings nicht leicht zu ziehen, Scharapowa bewegte sich rechtlich in jedem Fall im Rahmen des Erlaubten - bis zum 31. Dezember 2015.
Wie lange wird Scharapowa gesperrt?
Zunächst ist Scharapowa ab dem 12. März offiziell suspendiert. Was danach kommt? Vieles ist vorstellbar. Ihr Anwalt John Haggerty kann sich im Gespräch mit USA Today eine vier Jahre lange Zwangspause ebenso vorstellen wie den Verzicht auf eine Sperre.
Das zuständige, formell unabhängige Schiedsgericht des Tennisverbands ITF steht vor einer Richtungsentscheidung: Greift er hart durch oder zeigt er sich gnädig, weil Scharapowa geständig und reuig und alles ja irgendwie doch nur dumm gelaufen ist?
Vielsagend ist, dass die ITF es Scharapowa überlassen hat, ihre eigene Sperre zu verkünden und damit ihre Sicht der Dinge direkt öffentlichkeitswirksam zu inszenieren.
Doping-Experte Fritz Sörgel plädiert bei Sky allerdings vehement für ein strenges Urteil: "Ich könnte mir jetzt keine Konstellation vorstellen, dass sie nicht mindestens zwei Jahre gesperrt wird. Da gibt es nichts zu diskutieren. Es wäre schlimm, wenn man sich mit so einer Aussage, dass man es schon zehn Jahre genommen hat, freikauft."
Ein mit Scharapowa vergleichbarer Fall ist der von Marin Cilic: Er wurde 2013 positiv auf ein Stimulans getestet, das er ebenfalls nicht in böswilliger Absicht eingenommen haben wollte. Er wurde zunächst neun Monate gesperrt, der Sportgerichtshof CAS senkte die Auszeit später auf vier Monate.
Welche weiteren Folgen hat die Affäre für Scharapowa?
Einen Imageverlust und damit auch finanzielle Folgen für ihr Geschäft mit dem guten Image.
Nach Forbes-Schätzung ist Scharapowa aufgrund ihrer Werbe- und Sponsoreneinnahmen die weltweit bestverdienende Sportlerin, 22 der 29 Millionen Dollar Jahresverdienst seien so zustande gekommen.
Der Geldfluss wird ins Stocken geraten, auch wenn Scharapowa mit ihrem Büßer-Auftritt zu retten versuchte, was PR-technisch noch zu retten ist: Ausrüster Nike ("traurig und enttäuscht") lässt den Vertrag mit Scharapowa bis zum Ende der Ermittlungen ruhen, Luxusuhrenhersteller Tag Heuer hat die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung abgebrochen, Porsche setzt die millionenschweren Verträge mit der Russin vorerst aus.
Wird es überhaupt noch ein Comeback geben?
Aller Voraussicht nach: ja.
"Wenn ich einmal meine Karriere beende, dann nicht in einem solchen Hotel, in Downtown Los Angeles, mit so einem hässlichen Teppich", ließ Scharapowa noch bei ihrer Beichte verlauten.
Tatsächlich spricht aus ihrer Sicht alles dagegen, als Dopingsünderin abzutreten. Egal wie lange die Sperre der 28-Jährigen ausfällt: Sie wird versuchen, die jüngsten Eindrücke auf dem Tennisplatz geradezurücken.