Die „historische Chance“ ist vertan, Alexander Zverev rennt seinem Lebenstraum weiter hinterher: Der Tennis-Olympiasieger hat das emotionale Finale der French Open gegen den Spanier Carlos Alcaraz mit 3:6, 6:2, 7:5, 1:6, 2:6 verloren. Deutschland wartet damit weiter auf den ersten Grand-Slam-Triumph im Männer-Einzel seit Boris Becker vor 28 Jahren - während Alcaraz das Erbe seines großen Landsmanns Rafael Nadal in Paris antritt.
Zverev verliert heroischen Kampf
„Es war eng heute, aber nicht eng genug. Aber vielleicht werde ich diese Trophäe eines Tages in die Höhe halten“, sagte Zverev bei der Siegerehrung. Der tosende Applaus der 15.000 Zuschauer konnte ihn nicht trösten. Dafür verneigte er sich tief vor Ausnahmeerscheinung Alcaraz: „Du bist ein unglaublicher Spieler. Drei Grand Slams mit 21 Jahren, und das wird nicht der letzte Titel für dich gewesen sein.“
In einem von Nervosität und bemerkenswert vielen Fehlern auf beiden Seiten geprägten Finale ließ Zverev nach dem US-Open-Endspiel 2020 auch seine zweite riesige Chance auf den großen Wurf ungenutzt. Er verpasste es damit, der erste deutsche French-Open-Sieger seit Henner Henkel 1937 zu werden.
Becker, der in seiner Rolle als Eurosport-Experte von einer „historischen Chance“ für Zverev gesprochen hatte, und Michael Stich bleiben zudem die einzigen Deutschen, die in der Open Era seit 1968 eines der vier großen Turniere für sich entscheiden konnten.
Alcaraz schreibt Geschichte
Zverev, der seine vorherigen zwölf Matches gewonnen hatte und bereit schien für den Gewinn der Coupe des Mousquetaires, erhält als unterlegener Finalist 1,2 Millionen Euro Preisgeld. Alcaraz bekommt das Doppelte und sicherte sich zudem einen bemerkenswerten Rekord: Als jüngster Spieler der Geschichte gewann der 21-Jährige Grand-Slam-Turniere auf allen drei Belägen.
Zverev hatte alles gegeben für seinen Traum, auf dem Weg ins Endspiel bereits 19 Stunden und 27 Minuten auf dem Platz gestanden – mehr als jeder andere French-Open-Finalist seit genauer Erfassung der Matchdauer 1991. Am Sonntag kamen nochmal gut vier Stunden dazu.
Beide hatten auf dem mit 15.000 Zuschauern besetzten Court Philippe Chatrier zunächst massiv mit sich selbst zu kämpfen. Besonders aber der Deutsche brauchte Anlaufzeit. „Fehlstart für Zverev“, urteilte Becker: „Sascha muss aufpassen, dass der Zug nicht Fahrt aufnimmt.“
Guter Start von Zverev
Zumindest im ersten Durchgang konnte Zverev diesen Zug nicht stoppen. Wie schon im Halbfinale gegen den Norweger Casper Ruud schüttelte er sich aber in der Satzpause und spielte danach wie verwandelt. Die Aufschläge kamen verlässlich, auch bei langen Ballwechseln hatte er nun Vorteile.
Nach einem spektakulären Punkt im zweiten Durchgang beim Stand von 3:2 und eigenem Aufschlag jubelte Zverev erstmals ausgelassen und mitreißend. Die Faust kam nun immer wieder, auch sein Vater und Trainer Alexander senior auf der Tribüne wurde entspannter.
Im dritten Durchgang drehte Zverev ein 2:4 noch zum Satzgewinn, im vierten Satz war er dann wieder chancenlos, obwohl Alcaraz sich am linken Oberschenkel behandeln lassen musste. Es kam, was bei diesem Match kommen musste: Ein finaler Durchgang - alles oder nichts.
Falsche Entscheidung
Dabei hatte Zverev auch Pech mit einer Entscheidung des Schiedsrichters, der einen mutmaßlichen Doppelfehler von Alcaraz beim Stand von 1:2, 40:15 für Zverev nicht wertete und so ein Break für Zverev zum 2:2 verhinderte.
Zverevs nun schon vierjährige „Reise“, wie er es nennt, geht weiter, nachdem er auch seinen 36. Anlauf bei einem Major nicht krönen konnte. 2020 hatte er sein erstes Grand-Slam-Endspiel in New York gegen den Österreicher Dominic Thiem nach 2:0-Satzführung verloren. 2022 wähnte er sich reif für den Grand-Slam-Triumph in Paris – ehe ihm im Halbfinale von Roland Garros gegen Sandplatzkönig Nadal die Außenbänder im rechten Sprunggelenk rissen.
Den nun 37 Jahre alten Spanier bezwang er in diesem Jahr gleich in der ersten Runde – dessen Landsmann und Thronfolger aber nicht.