Ganz versteckt liegt er, wird gerne auch mal übersehen. Dabei ist Platz 15 im Melbourne Park gerade einmal fünf Gehminuten vom Haupteingang entfernt.
Deutschlands neue Tennis-Hoffnung
Während auf den großen Plätzen wie der Rod Laver Arena oder auch dem neu erbauten Stadion, das einen Autohersteller als Namenssponsor trägt, die ganz großen Namen der Tenniswelt um den ersten Grand-Slam-Titel des Jahres spielen werden, ist hier am Ende der Anlage alles ein paar Nummern kleiner.
Auch an diesem Freitag, es ist der letzte Tag der Qualifikation. Diese bietet 16 Spielerinnen und Spielern, die bisher noch nicht für das Hauptfeld qualifiziert waren, die Chance, doch noch dabei zu sein, wenn die Australian Open 2024 am Sonntag so richtig beginnen. Nur drei Siege braucht es.
Eine, die ihr Glück versucht ist Ella Seidel. Die 18-Jährige aus Hamburg ist auf dem Weg nach oben, auch wenn hier auf der weitläufigen Anlage noch nicht viele Notiz von ihr nehmen.
Eine kleine überdachte Tribüne rahmt Platz 15 auf einer Seite ein. Auf der anderen Seite gibt es nur zwei Sitzreihen. Wer zu spät kommt, der muss stehen. Doch das ist jetzt während der Qualifikation noch kein Problem. Die Massen werden erst ab Sonntag erwartet.
Seidels Gegnerin bei ihrem finalen Qualifikationsmatch ist die US-Amerikanerin Hailey Baptiste, vier Jahre älter und, was Grand Slams angeht, deutlich erfahrener. Mit präzisen Schlägen, auch in den kritischen Situationen immer entschlossen, geht das Match jedoch trotz des Routinevorsprungs an Seidel.
Seidel: „Übertrifft meine Erwartungen“
Vor einem Jahr hatte Seidel an gleicher Stelle noch bei den Juniorinnen gespielt, die dritte Runde erreicht. Nun gibt sie ihr Debüt bei den Erwachsenen.
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Seidel ist kein Shooting-Star, keine die nach oben geschossen ist. Ihre Entwicklung verlief geradliniger. Stand sie Anfang 2023 in der Weltrangliste noch außerhalb der Top 500, hatte Seidel sich bis Ende des Jahres unter die Top 200 gespielt. Eine Platzierung, die berechtigt, in der Qualifikation bei Grand Slams anzutreten.
„Mein Zwischenziel war die Teilnahme an der Qualifikation für die Australian Open. Ich wollte einfach erst mal dabei sein,“ berichtete Seidel nun nach ihrem entscheidenden Sieg. Dass es jetzt nach drei Siegen im Hauptfeld weitergeht, „übertrifft meine Erwartungen“.
Seidel wird von denen, die sie auf der Tour begleiten, als zielstrebig und extrem ehrgeizig beschrieben. Juniorinnen-Bundestrainerin Jasmin Wöhr sieht in Seidel jemanden, die besonders willensstark ist. Barbara Rittner, als Chef-Bundestrainerin selbst vor Ort, weist jedoch auch darauf hin, dass Seidel „sehr hart sich selbst gegenüber ist, manchmal zu hart.“
Dieser Ehrgeiz zeigte sich schon in der Schule, als Seidel zwei Klassen übersprang und deutlich früher ihr Abitur als ihre Altersgenossen machte. Auch ihr Talent auf dem Tennisplatz war früh zu sehen: Deutsche Meisterin der U14 im Jahr 2019, zwei Jahre später auch in der U16-Altersklasse. Seidel wurde in das Junior-Team des DTB berufen, um eine noch gezieltere Förderung zu erhalten.
Das scheint nun Früchte zu tragen.
Glück für Seidel - Gegnerin mit Krämpfen
Verglichen mit ihren Teamkolleginnen Eva Lys oder auch Noma Noha Akugue hat sie in den letzten zwölf Monaten den wohl größten Entwicklungsschritt gemacht. Ella Seidel verweist beim Gespräch mit SPORT1 auf ihre Vorhand und ihren Aufschlag als die größten Stärken im Spiel.
Besonders die Vorhand sticht dabei ins Auge. Mit einer bemerkenswerten Power und Genauigkeit ausgestattet war es auch gegen die US-Amerikanerin Baptiste dieser Schlag, der für die entscheidenden Punkte sorgte.
Dabei hatte es tags zuvor noch so ausgesehen, als würde der Weg Seidels in der Qualifikation enden. Sie lag gegen die Britin Francesca Jones im 3. Satz schon mit 0:4 zurück. Doch ihrer Gegnerin fuhren Krämpfe in die Beine und sie musste beim Stand von 4:4 aufgeben.
Seidel bei Australian Open direkt auf die große Bühne
Für Seidel eröffnete sich so nicht nur die Chance zum entscheidenden Qualifikationsmatch. Im Hauptfeld wird sie nun auch gleich auf die ganz große Bühne katapultiert.
Da das Tableau schon vor der letzten Qualifikationsrunde ausgelost wurde, Seidel gesehen hatte, dass sie auf einen großen Namen treffen könnte, hatte sie mit ihrem Team gescherzt, dass es nun gegen eine der Topspielerinnen gehen könnte. Vor allem da die Stelle neben der Titelverteidigerin Aryna Sabalenka leer geblieben war. Als am Freitagnachmittag die Qualifikantinnen zugelost wurden, erschien der Name von Seidel genau dort.
Beim Ausblick auf das Match gegen die 25 Jahre alte Belarussin war Seidel dann trotz aller Vorfreude realistisch: „Es wäre cool gewesen, wenn das Match in der 2. oder 3. Runde gewesen wäre. Aber ich freue mich sehr auf die Night Session in einer so großen Arena.“
Denn schon jetzt steht fest, dass Seidel am Sonntagabend in der Rod Laver Arena spielen wird. Nur wenige hundert Meter von Platz 15 entfernt und doch in einer ganz anderen Welt.
Eine Welt, in der Ella Seidel Dauerbesucherin werden will.