Novak Djokovic hat sicher mit negativen Reaktionen gerechnet - doch dieser starke Gegenwind dürfte auch ihn überrascht haben.
„Kranke Heuchelei“: Zorn auf Djokovic
Nachdem der Serbe am Dienstag auf Instagram mitteilte, dass er mit einer medizinischen Ausnahmegenehmigung bei den Australian Open antreten darf, wuchs die Wut auf ihn und die Entscheidungsträger.
Denn alle Teilnehmer an den Australian Open müssen geimpft sein, was eine Teilnahme von Djokovic unwahrscheinlich erscheinen ließ, da er als Impfgegner gilt. Doch mit der Ausnahmegenehmigung ist keine Impfung nötig.
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„Djokovic beantragte eine medizinische Ausnahmegenehmigung, die nach einem strengen Prüfverfahren unter Beteiligung zweier unabhängiger medizinischer Expertengremien erteilt wurde“, hatten die Australian Open in einer Pressemitteilung erklärt.
„Zorn und Konfusion“: Australien sauer
Viele Australier zweifeln das an und wüten in den sozialen Netzwerken. Australische Medien wie der Sender ABC sprechen von „Zorn und Konfusion“ im Land und für viele ist die Entscheidung einfach nur ein riesiger „(D)joke“.
„Regeln sind Regeln - es sei denn, man ist reich und berühmt wie Djokovic“, schrieb die Zeitung The Age.
„Leider gelten andere Regeln, wenn man ein globaler Sport-Superstar ist, selbst, wenn man keinerlei Respekt vor einem Virus gezeigt hat, mit dem in den letzten zwei Jahren fast 300 Millionen Menschen auf der ganzen Welt infiziert wurden“, kommentierte die Canberra Times und beschrieb die Gefühlslage der Australier: „Entsetzt, vielleicht. Wütend, ja. Frustriert, enttäuscht, angewidert, mit dem Gefühl, dass wir alle gerade eine schallende Ohrfeige bekommen haben.“
Der ehemalige australische Tennisprofi Sam Groth schrieb in einer Kolumne für Herald Sun von „kranker Heuchelei“. Djokovics Teilnahme an den Australian Open sei „eine Beleidigung für jeden Australier, der wegen COVID durch die Hölle gegangen ist“.
Groth bezeichnete die Ausnahmegenehmigung als „eine Entscheidung, die jedem Bürger Victorias und Australiens ins Gesicht spuckt“.
Die Journalistin Samantha Lewis twitterte zudem, es sei „die patriotische Pflicht“ aller Zuschauer, Djokovic während seines gesamten Aufenthalts auszubuhen“.
Rekord-Lockdown in Melbourne
Die Reaktionen sind nachvollziehbar: Die Bewohner Melbournes, wo die Australian Open stattfinden, mussten den längsten Lockdown der Welt über sich ergehen lassen, der erst nach 262 Tagen beendet wurde.
Doch nun hat die nächste Corona-Welle den Bundesstaat Victoria, dessen Hauptstadt Melbourne ist, erneut fest im Griff. Täglich gibt es neue Rekordzahlen, am Mittwochmorgen wurden 17.636 neue Fälle und elf weitere verstorbene Menschen vermeldet.
Dass einer der fittesten Sportler der Welt aufgrund von medizinischen Gründen sich nicht impfen lassen können soll, ist den Australiern da natürlich schwer zu vermitteln.
Auch Spieler rätseln über Djokovic-Entscheidung
Der in Australien populäre Arzt Stephen Parnis aus Victoria sagte dazu: „Wenn er sich weigert, sich impfen zu lassen, sollte er nicht reingelassen werden.“
Auch erste Spieler ließen bereits durchblicken, dass der Eindruck schnell von einer Sonderbehandlung entsteht, wenn man von dieser Entscheidung hört.
„Ich denke, wenn ich nicht geimpft wäre, würde ich keine Ausnahmegenehmigung erhalten“, sagte der britische Profi Jamie Murray am Rande des ATP Cups in Sydney. Und der Australier Alex de Minaur meinte: „Ich finde es einfach sehr interessant. Das ist alles, was ich dazu sage.“
Djokovic ist allerdings nicht der einzige Spieler, der sich um eine Ausnahmegenehmigung bemühte, wenngleich die große Mehrheit der Anträge abgelehnt wurde.
Spieler wie Sandgren verzichten auf Antrag
Viele ungeimpfte Spieler wie der US-Tennisspieler Tennys Sandgren haben dagegen auf einen Antrag verzichtet, da sie sich ein Startrecht nicht erschleichen wollten. Sandgren erklärte NYT-Journalist Ben Rothenberg, keines der nötigen Kriterien hätte auf ihn zugetroffen.
Dass Djokovic nun eine offenbar auf ihn zutreffende Ausnahmegenehmigung - die zum Schutz der Menschen gedacht ist, die sich nicht impfen lassen können - gefunden hat, nehmen ihm viele Australier übel.
Der Serbe hatte sich in der Vergangenheit impfskeptisch geäußert und war generell als Anhänger alternativer Heilmethoden aufgefallen. Eine Aussage zu seinem Corona-Impfstatus hatte er stets konsequent verweigert - dies sei Privatsache und gehe die Öffentlichkeit nichts an.
Die aktuelle Meldung legt nun aber stark nahe, dass der 34-Jährige nicht geimpft ist, wenn er sich über Wochen bemühte, die Ausnahmegenehmigung zu erhalten.
„Lex Djokovic“? Genaue Begründung fehlt
Der stellvertretende Ministerpräsident des Bundesstaates Victoria, James Merlino, hatte im Dezember noch betont, medizinische Ausnahmen seien „kein Schlupfloch für privilegierte Tennisspieler“.
Gegen den Eindruck einer „Lex Djokovic“ verwahren sich die Melbourne-Organisatoren zwar, doch genaue Details fehlen. Turnierdirektor Craig Tiley forderte Djokovic deshalb zu einer Erklärung auf, auf welcher Grundlage er die Ausnahmegenehmigung beantragt und erhalten hat.
Fakt ist: Eine Absage von Djokovic wäre natürlich ein großer Verlust an Werbewert für das Turnier gewesen, da der Serbe nach seinen neun Erfolgen gerade auch in Australien viele Fans besitzt.
Das letzte Wort in dieser Angelegenheit dürfte jedenfalls noch nicht gesprochen sein.