Wie tief kann und will er eigentlich noch sinken? Die Aufzählung an Eklats, Skandalen und Ausrastern von Daniil Medvedev ist ohnehin schon lang: Pöbeleien, Provokationen, Wutausbrüche und verbale Entgleisungen pflastern seit Jahren den Weg des russischen Tennis-Stars auf der Tour.
Medvedev: Wie tief geht‘s noch?
Nun hat die Nummer 5 der Weltrangliste auf dem Court nicht nur erneut die Kontrolle verloren, sondern angesichts einer obszönen Geste dabei auch ein neues Level erreicht. Beim ATP-Masters in Shanghai wütete Medvedev derart über die vermeintlich schlechte Qualität der Spielbälle, dass er sich mit einem davon schließlich symbolisch den Hintern abwischte.
Fußball-Fans dürften sich an den heutigen Bondscoach Ronald Koeman erinnert haben, der bei der EM 1988 als Nationalspieler der Niederlande nach dem Schlusspfiff das deutsche Trikot von Olaf Thon hernahm und es, für alle gut sichtbar, als imaginäres Klopapier missbrauchte.
Medvedev wischt sich mit Ball den Hintern ab
Impulsgesteuerte Handlungen aus dem Affekt sind das eine. Deren Reflexion und gar Bedauern das andere - und bei Medvedev trotz zu erwartender Reife und langjähriger Profi-Erfahrungen augenscheinlich dennoch charakterlich nach wie vor kaum ausgeprägt.
Auch mit etwas zeitlichem Abstand bei seinem mühevollen Zweitrunden-Sieg über den Italiener Matteo Arnaldi wirkte der 28-Jährige keineswegs einsichtig geschweige denn geläutert. „Die Bälle sind so schlecht. Mit denen kann man sich nur den Hintern abwischen“, legte Medvedev nach, unbeeindruckt auch davon, binnen einer Minute zwei Verwarnungen für sein Verhalten und schließlich sogar einen Punktverlust kassiert zu haben.
Unversöhnlich blieb der sechsmalige Masters-Sieger, der nach seinem Sieg noch in sarkastischer Anspielung zum Thema auf einer Kamera-Linse mit den Worten: „Nice Balls“ (zu Deutsch: „Nette Bälle“) unterschrieb, selbst beim offiziellen Interview: „Wenn ich einen guten Return schlage, gibt es immer wieder Bälle, die man einfach nicht besser treffen kann und in der Luft abbremsen. Ich kämpfe aber mit den Qualitäten, die ich habe.“
Im Gedächtnis bleiben momentan fast nur noch die Negativ-Qualitäten des 1,98 Meter großen Rechtshänders, der einen unorthodoxen und oftmals unberechenbaren Spielstil pflegt, mit verschiedenen Taktiken seine Konkurrenten kirre macht und dabei zudem sehr konstant spielt.
Hässliche Szenen auch beim Laver Cup
Zuletzt hatte Medvedev beim Laver Cup in Berlin für hässliche Szenen gesorgt, bei einem Match gegen den US-Amerikaner Ben Shelton seinen Schläger ins Publikum geworfen und dabei nur knapp eine Frau verfehlt.
Dabei schien der gebürtige Moskauer zwischenzeitlich durchaus auf dem Weg, das Image des Bösewichts ablegen zu können, auf das er nun für immer festgelegt wirkt. „Manchmal bin ich eben ziemlich temperamentvoll auf dem Platz“, erklärte Medvedev hinterher: „Ich finde aber, ich habe bei der Arbeit für meine mentale Stärke große Fortschritte gemacht“, sagte er vor drei Jahren.
Ruhig, fast schon unterkühlt, war Medvedev seinerzeit aufgetreten, auch in kritischen Spielsituationen hielt er sein Temperament im Zaum, ließ sein Rüpel-Image nicht die Oberhand gewinnen.
Doch das ist nur eine kurze Episode, rückblickend nicht mehr als ein Strohfeuer, der Rückfall in alte Muster holte Medvedev und dessen leidgeprüfte Kontrahenten schnell und stärker denn je wieder ein - wovon auch Alexander Zverev ein Lied singen kann und den US-Open-Sieger von 2021 unlängst als einen „der unfairsten Spieler der Welt“ bezeichnete.
Für Zverev „einer der unfairsten Spieler der Welt“
Zur Erinnerung: Im Zuge der Niederlage des Hamburgers in Monte Carlo Mitte April hatte der in zweiten Satz zurückliegende Medvedev beim Gang zu seiner Bank einfach den Netzpfosten entfernt und ihn auf den Platz gelegt, um seinen deutschen Kontrahenten aus der Konzentration zu reißen. „Es gibt tausend Situationen, wo er jedes Mal versucht, etwas zu machen“, so Zverev über die Niedertracht des Russen.
Bei den US Open 2019 hatte Medvedev die Zuschauer im Match gegen den Spanier Feliciano Lopez mit einer Stinkefinger-Geste gegen sich aufgebracht - ein provozierendes Interview danach machte es noch schlimmer.
Zwei Jahre zuvor warf Medvedev nach seinem Zweitrunden-Aus in Wimbledon Münzen vor den Stuhl der Hauptschiedsrichterin, unterstellte ihr damit indirekt Bestechlichkeit. 2016 wiederum wurde der damals 20-Jährige in der Partie gegen Donald Young (USA) wegen unsportlichen wie rassistischen Verhaltens gegenüber Schiedsrichterin Sandy French sogar disqualifiziert worden.
Mal riss Medvedev einem Ballkind das Handtuch aggressiv aus den Händen und schleuderte es zu Boden, ein anderes Mal bedankte er sich bei den Fans als deren Hassobjekt Nummer eins auch noch für die feindselige Stimmung.
Kyrgios fassungslos: „Der Junge ist verrückt!“
Medvedev genießt dem Vernehmen nach das Pfeifkonzert, nun auch die Entrüstung in Shanghai, stachelt das Publikum mit ausgebreiteten Armen und frechem Grinsen oftmals noch zusätzlich an. Sogar Nick Kyrgios, selbst als Bad Boy verschrien, beschrieb den Russen einmal mit den Worten: „Medvedev. Der Junge ist verrückt!“
Es dürfte wenig verwundern, sollte Medvedev schon bald für die nächste Verrücktheit sorgen. „Was kommt da noch?“, fragen nicht wenige User im Netz.