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Die Hetzjagd der Hyänen: Warum bei Sinner Zweifel bleiben

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Die Hetzjagd der Hyänen: Warum bei Sinner Zweifel bleiben

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Die Hetzjagd der Hyänen

In einem TV-Experiment wird der Dopingfall Jannik Sinner nachgestellt. Das Ergebnis spricht für die Version des Tennisstars. Doping-Experte Professor Fritz Sörgel hat jedoch Zweifel - und kritisiert das aktuelle Anti-Doping-System harsch.
Der Dopingskandal um den aktuellen ATP-Weltranglistenersten Jannik Sinner geht in den nächsten Satz. Der Italiener bestreitet weiterhin, gedopt zu haben.
Johannes Fischer
Johannes Fischer
In einem TV-Experiment wird der Dopingfall Jannik Sinner nachgestellt. Das Ergebnis spricht für die Version des Tennisstars. Doping-Experte Professor Fritz Sörgel hat jedoch Zweifel - und kritisiert das aktuelle Anti-Doping-System harsch.

Hyänen haben in der Tierwelt einen äußerst schlechten Ruf. Sie jagen aggressiv und gnadenlos und gelten gemeinhin als hinterlistig.

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Inwieweit die Journalisten der italienischen Investigativ-Sendung „Le Iene“ (Die Hyänen), die immer am Sonntagabend auf Italia1 ausgestrahlt wird, diese Attribute vereinen, sei dahingestellt - ihre Opfer fürchten sie aber ähnlich, wie die Beute die Wildtiere.

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Dabei machte der Journalist Alessandro De Giuseppe zuletzt auch nicht vor Tennisstar Jannik Sinner halt, der sich längst den Ruf eines Nationalhelden erarbeitet hat. Während die italienische Medienlandschaft in Aufruhr geriet, als die WADA Einspruch gegen den Freispruch der Tennisagentur Itia einlegte und eine ein- bis zweijährige Sperre forderte, blieben die „Hyänen“ unbeeindruckt von patriotischen Gefühlen - und wollten es genau wissen.

Sinner hatte behauptet, er sei durch seinen Masseur kontaminiert worden, der wegen einer Schnittwunde ein Spray mit dem verbotenen Stoff Clostebol zur Heilung benutzt hatte. Bei der Massage sei dann der verbotene Wirkstoff über die Haut in Sinners Körper eingedrungen.

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Spricht das Experiment wirklich für Sinners Unschuld?

Diese Version der Geschichte ließ De Giuseppe nachspielen: Eine Masseurin fügte sich eine kleine Schnittwunde zu, sprühte das Clostebol-haltige Medikament auf die Wunde und massierte den Journalisten eine Woche lang jeden Tag. Die anschließenden Urinproben wurden zum renommierten Pharmakologen Pascal Kintz nach Straßburg gebracht.

Am vergangenen Sonntag wurde das Ergebnis veröffentlicht: Im Urin des Journalisten wurde Clostebol nachgewiesen, in einer etwa sechsmal höheren Dosis als bei Sinner - was auf den ersten Blick für die Version Sinners spricht. Den deutlich höheren Wert erklärt sich der renommierte Doping-Experte Professor Fritz Sörgel bei SPORT1 allerdings mit dem laienhaften Vorgehen bei dem Experiment.

„Ich habe gesehen, dass das Spray nicht nur auf den verletzten Finger, sondern versehentlich auch im Raum versprüht wurde. Das war natürlich nicht professionell gemacht. Sie hatten vor Ort offensichtlich keine wissenschaftlichen Berater“, stellte Sörgel fest.

Die hohe Konzentration des Clostebol im Urin des Journalisten spreche dafür, „dass sie der Masseurin eine relativ hohe Dosis zur Verfügung gestellt haben oder der Urin sehr früh gesammelt wurde. Dann sind die Konzentrationen natürlich höher.“ Dennoch müsse man konstatieren, dass De Giuseppe „gut gearbeitet und auch die richtigen Fragen gestellt hat“.

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„Es spricht einiges dafür, dass Sinner das Clostebol länger genommen hat“

Eine Frage, die sich Sörgel zudem stellt, betrifft die Ähnlichkeit der beiden Werte (76 Pikogramm pro Milliliter und 86 Pikogramm pro Milliliter), die bei Sinner in einem Abstand von einer Woche gemessen wurden. Laut des Pharmakologen spreche sie dafür, dass der 23-Jährige das Clostebol länger im Körper hatte als angegeben.

„Was mich ein bisschen stutzig macht: Die zwei Werte, die Sinner innerhalb einer Woche hatte, waren sehr ähnlich. Wenn dies bei einer Substanz wie Clostebol so geschieht, dann muss man davon ausgehen, dass es schon länger verabreicht wurde“, erklärt Sörgel. „Wir Pharmakologen nennen das „Steady State“, der Körper befindet sich, was diese Substanz betrifft, in einem Gleichgewicht.“

Auch bei einem Patienten mit Bluthochdruck sei dies so: „Er muss sein Leben lang eine bestimmte Substanz einnehmen, die sich dann in einem Gleichgewicht befindet. Es wird jeden Tag also so viel ausgeschieden, wie eingenommen wird, ansonsten würde das immer weiter steigen. Wenn man das eine gewisse Zeit eingenommen hat, dann werden die Konzentrationen immer ähnlicher.“

Wenn er diese Theorie auf Sinner anwende und bedenke, welche Eigenschaften Clostebol habe, dann, so die Theorie des Professors, „spricht einiges dafür, dass er es länger genommen hat. Das Spray ist im Februar bestellt worden, die Dopingproben stammen aus dem März. Wann hat die Anwendung begonnen? Zu Dopingzwecken oder durch den Masseur, der die WADA-Regeln nicht kannte?“, fragt Sörgel.

Dabei sei auch denkbar, dass der Masseur dem Athleten ohne dessen Wissen verbotene Hilfe geleistet habe. „Es kann auch sein, dass der Masseur - und das sind ja verschworene Teams zusammen mit dem Sportler und dem Physio - sich gedacht hat, dass es Sinner hilft, wenn er ihm dieses Spray verabreicht. Denn Sinners Erfolg ist auch seiner und man weiß, wie ehrgeizig Masseure und Physiotherapeuten als erfolgreiche, unabkömmliche Helfer sind. Das kann man zumindest nicht ganz ausschließen und Sinner muss das möglicherweise nicht gewusst haben.“

Zweierlei Maß bei den Urteilen

Im Beitrag der „Hyänen“ wurden neben dem nachgestellten Experiment noch zwei andere Ungereimtheiten beleuchtet: Wie kann es sein, dass beim Südtiroler das Testergebnis erst drei Monate nach der positiven Dopingprobe veröffentlicht wurde? Und vor allem: Wie kann jemand freigesprochen werden, der nahezu identische Umstände angibt, wie andere Sportler, die dann aber jahrelang gesperrt wurden?

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So wurde auch der Basketballer Riccardo Moraschini interviewt, der ein Jahr lang aus dem Verkehr gezogen wurde, nachdem bei ihm ebenfalls Clostebol im Urin nachgewiesen wurde. Bei Moraschini, der Teil des italienischen Nationalteams war, das sich für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 qualifizierte, war es die Freundin, die sich nichtsahnend das Medikament auf die verletzte Stelle sprühte - und ihren Partner damit in die Bredouille brachte.

Obwohl ihm die Geschichte geglaubt wurde, sei er nicht um die Sperre herumgekommen - ganz im Gegensatz zu Sinner, bei dem nun aber die WADA Einspruch erhob. In etwa drei Monaten soll der Sportgerichtshof CAS nun entscheiden, was dem Tennisstar widerfahren wird.

Eine Ungereimtheit sahen die „Hyänen“ auch bei der Anwältin Kendrah Potts, die Sinner nach der positiven Probe engagierte. Sie ist eine Spezialistin für Sportrecht, in deren Vita steht, dass sie Mitglied der Schieds- und Schlichtungsgremien von Sports Resolution ist - also vom gleichen unabhängigen Gericht, das Sinner freigesprochen hat. Ein klarer Interessenskonflikt.

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Für Sörgel deutet sich trotz der Faktenlage an, dass Sinner mit einer milden Strafe davonkommt, obwohl der Doping-Experte dessen Verantwortung in den Vordergrund rückt - wie es auch bei Moraschini der Fall war.

„... dann hat man irgendwann die absurdesten Fälle“

„Es bleibt dabei - und das wird auch in dem Beitrag der ‚Hyänen‘ deutlich: verantwortlich bleibt Sinner“, bemerkt Sörgel. „Und dann kommt der CAS mit seinen nicht konsistenten Urteilen ins Spiel. Wenn man das ein Mal zulässt, dass jemand sagt, er könne nichts dafür, weil sein Masseur ihm das verabreicht habe, dann hat man irgendwann die absurdesten Fälle.“

Zu diesen gehöre auch der Fall des französischen Fußballstars Paul Pogba, bei dem der CAS vor kurzem die vierjährige Dopingsperre mal eben um zweieinhalb Jahre verkürzte: „Pogba hat, das muss man sich mal vorstellen, DHEA aus den USA importiert. Dort ist es zwar ein von der Gesundheitsbehörde freigegebenes Nahrungsergänzungsmittel, steht aber auf der Dopingliste und es interessiert überhaupt nicht, dass es für Hobbysportler erlaubt oder auch von Patienten mit Stoffwechselerkrankung verwendet werden kann - und deshalb war Pogba zurecht für vier Jahre gesperrt.“

In der Tat mutete es zuletzt immer willkürlicher an, was die Richter im schweizerischen Lausanne entschieden. „Das sind keine Urteile, bei denen man sagt, dass da eine Linie drin ist“, sagt Sörgel. „Und wenn das noch ein paar Mal passiert - plus die Dopingaffäre in China und vorher in Russland - dann sind wir wirklich auf einem Weg, dass das ganze Anti-Doping-System am Ende ist.“

Sörgel hat den Eindruck, dass der CAS mittlerweile empfänglich für Ausreden sei - und wenn ein Sportler diese nicht präsentieren könne, dann habe er schlechten Karten. „Im Urteil bei Vuskovic (HSV-Verteidiger Mario Vuskovic, Anm. d. Red.) stand, salopp gesagt: ‚Wenn Sie keine gute Ausrede haben, dann müssen wir Sie für vier Jahre sperren‘. Beim CAS, so zumindest mein Eindruck, ist man derzeit sehr empfänglich für Ausreden - und dann werden die Urteile irgendwann beliebig.“

Man müsse sich dann nicht mehr wundern, „wenn nächstes Jahr diese Enhanced Games stattfinden, die es Athleten erlaubt, sich medizinisch geordnet zu dopen“, findet der Pharmakologe.

„Sinner wird aufrüsten müssen“

Wie die Sache bei Jannik Sinner ausgehen wird, steht zwar noch in den Sternen - doch Sörgel glaubt, ähnlich wie der frühere Tennisstar Andy Roddick, nicht an eine harte Strafe.

„Jetzt sind sie natürlich sensibilisiert, auch durch die Sendung der „Hyänen“, befindet der Pharmakologe. „Trotzdem glaube ich, dass das Urteil sehr milde ausfallen wird. Man hat bei der WADA ein bis zwei Jahre angesetzt - ich nehme stark an, dass das Urteil des CAS niedriger sein wird.“

Wie man gesehen habe, komme es auch auf einen guten Anwalt an, sagt Sörgel: „Sinner wird sich die Besten und Teuersten leisten können und wird aufrüsten müssen.“

Und am Ende dürften sogar die Hyänen kapitulieren.