Dem Weltranglisten-Ersten Jannik Sinner droht nun doch eine Doping-Sperre von ein bis zwei Jahren - und nicht nur Sinner selbst ist „überrascht und enttäuscht“. Auch Teile der italienischen Medienlandschaft sehen ihren Star als Opfer einer Verschwörung.
„Übelriechend“: Empörung in Italien
„Die WADA will Sinner stoppen“, schrieb der Corriere dello Sport und klagte die Dopingjäger der WADA mit einem Verweis auf eine andere Affäre an: „Warum wurde nichts unternommen, als die Positivität der 23 chinesischen Schwimmer festgestellt worden ist?“
Auch Tuttosport sieht Sinner als Leidtragenden eines miesen Spiels: Der Gewinner der Australian und US Open sei „in die übelriechenden Rädchen“ der Sportpolitik geraten.
Dass politischen Erwägungen eine Rolle spielen, befindet im SPORT1-Interview auch Doping-Experte Professor Fritz Sörgel - der die WADA anders als Sinners Verteidiger allerdings prinzipiell im Recht sieht, den von ihm scharf kritisierten Freispruch durch die im Tennis zuständige Organisation ITIA einkassiert zu haben.
Fall Sinner: Auch Experte Sörgel sieht politische Erwägungen
„Ja, ich habe das Gefühl, dass die WADA anders reagiert hätte, wenn die China-Geschichte nicht wäre. Die Organisation steht stark unter Druck - völlig zu Recht, übrigens - und kann jetzt Handlungsfähigkeit und Härte demonstrieren“, sagt Sörgel - und prophezeit: „Mit dem milden Urteil, das am Ende wahrscheinlich rauskommen wird, wird die WADA gut leben können, die italienische NADA, Nado Italia, auch. Und natürlich Sinner. Ob es ein faires Urteil im Vergleich zu anderen Fällen sein wird, ist die andere Frage.“
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hatte am Samstag verkündet, gegen den Freispruch für den zweimal positiv getesteten Südtiroler vor den Sportgerichtshof CAS zu ziehen. Die Begründung: Unter den geltenden Anti-Doping-Regeln sei Sinner nicht unschuldig und habe zumindest fahrlässig gehandelt, als das verbotene Steroid Clostebol in seinen Körper gelangt war. Die Konsequenz: „Eine Sperre zwischen einem und zwei Jahren“.
Sörgel - wenngleich er sich über den konkreten Vorgriff auf die Dauer der Sperre - wundert, der Einschätzung der WADA zu: „Es gibt das Strict-Liability-Prinzip, dass prinzipiell jeder Athlet für die in seinem Körper gefunden Substanzen verantwortlich ist und das war bei Sinners Freispruch durch die ITIA zu einfach ausgehebelt worden.“
Seine Prognose: „Am Ende (...) wird die Strafe kürzer ausfallen - das kann man anhand der oft milden und sportlerfreundlichen Rechtsprechung des CAS schon absehen. Machen wir uns nichts vor: Bei so einem Fall wird immer eine Ausrede präsentiert und dann geht es darum, wie gut die Ausrede ist und wie die gut bezahlten Anwälte damit durchkommen.“
Sinner wird US-Open-Sieg behalten
Die International Tennis Integrity Agency (ITIA) hatte den Fall zuvor an ein privatwirtschaftliches Tribunal in London weitergereicht, das zwar die positiven Proben vom Turnier in Indian Wells im März mit dem Abzug von Preisgeld und Punkten bestrafte, aber bei Sinner „keine Schuld oder Fahrlässigkeit“ erkennen wollte. Aussetzen musste er daher nie.
Die WADA bewertet den Fall anders: Die Verantwortung für die positiven Proben liege beim Spieler und nicht bei dessen Physiotherapeuten, der Monate nach den Tests seinen Job im Team Sinner verlor. Aussortiert, weil er seine Hand selbst mit einem rezeptfreien Steroid-Spray behandelt habe und damit trotz einer angeblich expliziten Mahnung Sinners diesem die missliche Lage erst eingebrockt haben soll - so zumindest Sinners Darstellung.
Sörgel bekräftigt bei SPORT1 seine Zweifel an Sinners Version der Geschichte, die von der WADA nicht grundsätzlich infrage gestellt wird - weswegen ihm auch keine Aberkennung des US-Open-Siegs und der anderen Erfolge seit dem Test droht.
„Gut für Sinner ist, dass wissenschaftlich erwiesen ist, dass der Wirkstoff über eine Massage tatsächlich gut in den Körper gelangen kann“, meint Sörgel: Es sei jedoch „fraglich“, ob „das, was man auf eine so kleine Fingerwunde wie die des Masseurs so viel Clostebol draufsprühen würde, für zwei positive Dopingtests in der gemessenen Menge reicht“.
Sinner versteht Sicht der WADA nicht
Auch in diesen Tagen, während sein Fall wieder Wellen schlägt, steht Sinner auf dem Platz, am Samstag spielte er in Peking gegen den Russen Roman Safiullin, als die WADA den Einspruch veröffentlichte, den sie bereits am Donnerstag beim CAS eingereicht hatte.
Sinner reagierte mit demonstrativer Zuversicht auf die Wende: Er habe nichts zu verbergen, werde wie im Sommer vollumfänglich kooperieren und „alles, was nötig ist, zur Verfügung stellen, um meine Unschuld noch einmal zu beweisen“. Es sei für ihn jedoch „schwierig zu erkennen, was es nutzen soll, wenn drei andere Richter die gleichen Fakten und Unterlagen noch einmal prüfen“. Weiter wolle er sich im laufenden Verfahren nicht äußern.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)