Es ist der bitterste Moment eines Lebens, das an Höhen und Tiefen auch vorher nicht arm war.
„Massive Wesensänderung“ bei Becker
Tennis-Legende Boris Becker wurde in London wegen diverser Finanzdelikte zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der dreimalige Wimbledon-Sieger - schon 2002 in Deutschland wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt - muss mindestens 15 Monate absitzen, wenn Rechtsmittel keinen Erfolg haben.
Wie konnte es so weit kommen? SPORT1 hat nachgefragt bei jemanden, der Beckers Leben besser als die meisten anderen kennt: Christian Schommers, Autor der von Becker autorisierten und mit ihm gemeinsam verfassten Autobiografie „Das Leben ist kein Spiel“.
Schommers war einst TV-Redakteur bei Premiere (heute: Sky) und Champions-League-Reporter bei tm3, später unter anderem Reporter und Autor für Bild und Bunte.
Im Interview gibt der 51-Jährige, der heute als Kommunikationsberater arbeitet, Einblicke in Beckers Persönlichkeit - und wie sie zu der traurigen Entwicklung beitrug.
SPORT1: Herr Schommers, was glauben Sie: Wie konnte es passieren, dass einem Mann wie Boris Becker die Kontrolle über seine Finanzen so entglitten ist?
Christian Schommers: Die Fehlentwicklung läuft eigentlich schon seit dem Jahr 2000. Begonnen hat alles mit der Scheidung von Barbara Becker, die ihn die Hälfte seines Vermögens gekostet hat, das er damals noch hatte - plus der Unterhalt für die Kinder Noah und Elias. Dazu kam noch das uneheliche Kind Anna mit Angela Ermakova. Auch da war wieder Unterhalt fällig - und er musste ihr eine Wohnung in London kaufen.
Biograf Schommers: Boris Becker lebte über seine Verhältnisse
SPORT1: Auch geschäftlich hatte Becker oft kein gutes Händchen.
Schommers: Er tätigte verlustreiche Finanzgeschäfte, die Autohäuser liefen nicht mehr - und es gab ab einem gewissen Punkt auch immer weniger Werbeverträge. Dennoch führte er sein Leben weiter auf dem Niveau eines Wimbledon-Siegers. Die laufenden Kosten im Monat mit Miete, Flügen, Angestellten und luxuriösen Restaurantbesuchen blieben so hoch wie zu den Zeiten, als er noch wirklich Geld verdient hatte. Und dann kam auch noch die Ehe mit Lilly, wo es erneut eine Scheidung gab. Auch die war nicht gerade sonderlich günstig.
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In dieser Zeit hatte er sich dann auch noch Geld zu hohen Zinsen bei Bekannten und Banken geliehen. Man muss wissen: Boris Becker ist nicht nur pleite, sondern hat auch Verbindlichkeiten von mehreren Millionen. Da begann er dann, den Kopf in den Sand zu stecken und das Problem zu ignorieren. Dieses Verhalten führte dann zu auflaufenden Zinsen und der verschleppten Insolvenz. Und jetzt hat er das Ergebnis davon: Er ist im Gefängnis. Er hat sich immer gerne eigene Regeln gemacht, aber irgendwann geht das nicht mehr.
„Selbstständigkeit hat er nie gelernt“
SPORT1: Spielt da der Fluch des frühen Ruhmes eine Rolle, der ihm ein langsames Erwachsenwerden unmöglich gemacht hat?
Schommers: Definitiv! Selbstständigkeit hat er nie gelernt. In seiner aktiven Karriere hatte er immer Buchhalter, Manager und Trainer, die sich um alles gekümmert hatten. Er konnte sich ausschließlich auf sein Training und die Wettkämpfe konzentrieren. Er ist also nie zur Selbständigkeit erzogen worden, weswegen er in den letzten gut 20 Jahren keine Verantwortung übernommen hat für seine Verfehlungen. Für ihn galt immer das Credo: Ich bin Boris Becker, da wird schon nichts passieren. Im Endeffekt müssen das andere Leute regeln und ich kann nichts dafür. Er sagt ja auch selbst über sich, dass er ungern Verträge liest. Für ihn waren immer nur die großen Deals von Interesse. Kleinkram wie unbezahlte Rechnungen landete schon gern mal in irgendwelchen Schubladen.
SPORT1: Becker verlor seinen Vater Karl-Heinz, als er 31 Jahre alt war - im Jahr seines Karriere-Endes. War auch dieser Schicksalsschlag ein Faktor?
Schommers: Der Tod seines Vaters war ein Riesenproblem. Es war zwei Jahre nach dem Tod seines Beraters Axel Meyer-Wölden der Verlust einer weiteren Bezugsperson in seinem Leben. Vielleicht hätte ihm sein Vater wieder auf den rechten Weg zurückbringen können. Auch Meyer-Wölden und der frühere Manager Ion Tiriac wären solche Respektspersonen gewesen. Die waren aber auch alle weg. Irgendwann hat Boris Becker beschlossen, dass er ab sofort alle Entscheidungen trifft. Jetzt zahlt er die Quittung für diesen Schritt. (HINTERGRUND: So viel kassierte Ion Tiriac bei Boris Becker mit)
„Man konnte eine massive Wesensveränderung feststellen“
SPORT1: Die Richterin kritisierte in ihrem Urteilsspruch auch fehlende Reue und Demut - offenbar der entscheidende Grund, warum das Urteil nicht milder ausfiel.
Schommers: Da war er ganz schlecht beraten in seiner Verteidigung. Er hat bis zum Schluss darauf bestanden, dass er in allen Punkten unschuldig ist. Reue hat er zu keinem Zeitpunkt gezeigt. Hätte er das getan, wäre er vielleicht noch mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Daher wird er jetzt im Gefängnis lernen müssen, Fehler einzugestehen, Reue zu zeigen und sich zu entschuldigen, wenn er wieder rauskommt. Wenn er das lernt, kann er sich rehabilitieren wie ein Uli Hoeneß. Dann kann er zumindest als TV-Experte im Tennis wieder arbeiten. Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. Natürlich ist es bei Boris Becker nicht die zweite, sondern die vierte oder fünfte Chance. Aber nur so wird es gehen.
SPORT1: Ist Boris Becker für die Erfahrung Gefängnis bereit?
Schommers: Dass er jetzt ins Gefängnis muss, ist der Super-GAU in seinem Leben. Das wird die größte Aufgabe, mit der er jemals konfrontiert wurde. Das Problem ist: Er ist ein Kontroll- und Machtmensch. Aber im Gefängnis hat man keine Kontrolle. Man ist 23 Stunden am Tag in einer Zweier-Zelle mit einer Stunde Hofgang. Dazu gibt es nur zweimal im Monat Besuch. Prinzipiell ist er mental stark. Aber wenn man ihn die letzten Wochen beobachtet hat, konnte man eine massive Wesensveränderung feststellen. Es war nicht mehr viel Optimismus zu erkennen. Daher bin ich sehr gespannt, wie er diese Situation bewältigt. Für so einen freiheitsliebenden Weltenbürger wie Boris Becker ist das einfach erstmal ein Schock. Ich hoffe, dass er es übersteht; einigermaßen geläutert rauskommt und sich rehabilitieren kann. Aber wir werden auf jeden Fall einen andere Boris Becker erleben als den, den wir bis jetzt kannten.