Viele Jahre kämpfte Novak Djokovic darum, dass er eines Tages so viel Anerkennung erfahren würde wie Roger Federer und Rafael Nadal.
Folgen des Djokovic-Bebens
Dass dieser Kampf vergeblich war, hatte viele Gründe, und für einige konnte der Serbe wenig. Viele Fans waren bereits in die Lager Federer und Nadal verteilt und sahen Djokovic als Bedrohung - aber auch Aussagen von Personen seines Umfelds schädigten seinem Ansehen.
Das gilt vor allem für seinen Vater Srdjan Djokovic, der nur allzu gerne über Federer, Nadal oder andere Kollegen seines Sohnes lästerte. Die jüngste Kostprobe gab sein Vater nun, indem er Grigor Dimitrov als Schuldigen für den Corona-Eklat bei der Adria-Tour ausmachte.
Doch den aktuellen Ärger hat allein Novak Djokovic zu verantworten. Der daraus resultierende Image-Schaden ist so gewaltig, dass er den Vergleich mit Federer und Nadal und damit auch seinen großen Traum, mit ihnen auf einer Stufe zu stehen, für alle Zeiten klar verloren hat - selbst wenn es ihm gelingen sollte, sich noch zum Grand-Slam-Rekordhalter aufzuschwingen.
Kühnen fassungslos über Djokovics Verhalten
"Die ATP und WTA bemühen sich intensiv, mit Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen zurückzukehren. Das Konzept mit Maskenpflicht und Abstandsregeln wurde über Wochen erstellt. Diese Bilder von der Adria Tour konterkarieren die komplette Tennis-Szene", schimpfte der frühere Davis-Cup-Kapitän Patrik Kühnen bei SPORT1.
Mehr noch: Djokovic habe alle Bemühungen im Kampf gegen Corona "mit Füßen getreten".
Im Gegensatz zu seinem Vater lieferte Djokovic zumindest im zweiten Versuch eine aufrichtiger klingende Entschuldigung. Dennoch stellt sich die Frage, welche Folgen das Ganze für den Weltranglistenersten, den Tennis-Sport im Allgemeinen und sogar andere Sportarten hat.
SPORT1 gibt einen Überblick.
Wird Djokovic als ATP-Spielerpräsident abgesetzt?
Laut dem in der Tennis-Szene gut vernetzten Jon Wertheim von Sports Illustrated ist die Diskussion unter den Spielern bereits im Gange, wie demnach auch ein Profi bestätigt haben soll.
Einige Spieler äußerten zudem öffentlich Zweifel an Djokovics Führungsqualitäten, insbesondere niedriger platzierte Spieler wie der US-Amerikaner Mitchell Krüger, die bereits über die Nicht-Teilnahme des Serben an einem Call über die Fortsetzung der Saison und die Grand Slams wüteten.
Topspieler wie Nick Kyrgios verbreiteten entsprechende Tweets und kommentierten Djokovics Führungsstil ebenfalls sarkastisch. Für Kyrgios war es sowieso eine "idiotische Entscheidung, diese 'Schaukämpfe' durchzuführen."
Der deutsche Tennisprofi Maximilian Marterer sagte bei Sky: "Als ich ihm meine Stimme (als Spielerpräsident, Anm.d.Red) gegeben habe, hatte ich nicht gedacht, dass so etwas dabei rauskommt. Das ist nicht das, was man sich von der Nummer eins der Welt vorstellt."
Noch schlimmer für Djokovic ist es, dass sogar Mitglieder des Spielerrats Zweifel an ihm äußerten. So fasste Doppel-Spezalist Bruno Soares das Adria-Fiasko als eine "Horror-Show" zusammen. "Enorm unverantwortlich und höchst unreif. Sie waren total gedankenlos und es ist schwer für mich Worte zu finden", sagte er bei GloboEsporte.
Auch der Österreicher Jürgen Melzer, der ebenfalls ein Mitglied im ATP-Spielerrat ist, zeigte sich enttäuscht.
"Bei allem Respekt vor Novak und den Spielern, die da mitgespielt haben. Ich weiß nicht, ob sie da über den Tellerrand hinaus mitgedacht haben", sagte Melzer im tennisnet-Podcast: "Ich war und bin nicht happy. Da werden jetzt wieder einige Diskussionen vom Zaun gebrochen, warum überhaupt Tennis gespielt wird."
Bisher hatte Djokovic durchaus starke Unterstützer im Spielerrat. Der Kanadier Vasek Pospisil lobte mehrmals, weil der Serbe "für alle Spieler kämpft, auch diejenigen, die ein niedrigeres Ranking haben". Bei den Diskussionen um die US Open fühlten sich allerdings viele im Stich gelassen.
Droht Djokovic eine Sperre von der ATP?
ATP-Präsident Andrea Gaudenzi wurde kürzlich via New York Times deutlich: "Es ist ein bisschen so, als würde man seinen Kindern beibringen, immer mit Helm Fahrrad zu fahren. Zuerst sagen sie nein, nein, nein. Erst wenn sie vom Fahrrad fallen, tragen sie den Helm."
Djokovic droht als Mitinitiator der Adria Tour weiterer Ärger in Form von Klagen, falls festgestellt wird, dass Menschen zu Schaden kamen, weil offenkundig Hygiene-Regeln missachtet wurden, dem sein Bruder Djordje Djokovic weiterhin widerspricht.
Doch eine von der ATP oder dem Tennis-Weltverband ITF verhängte Sperre, die Djokovic an der Teilnahme bei Grand Slams hindert, ist so gut wie ausgeschlossen. Grund: Die Adria Tour war kein von der ATP oder ITF organisierten Turnier.
Ein größeres Nachspiel wäre einzig denkbar, falls die umstrittene Adria Tour einen Abbruch der Saison zu Folge hätte, weil dann Turniere und Spieler infolge ausbleibender Einnahmen Djokovic in Haftung nähmen.
Droht die Absage der Saison?
"Was nun, US Open? Roland Garros?", fragte die 18-malige Grand-Slam-Siegerin Martina Navratilova via Twitter.
Der renommierte Trainer Paul Annacone, früher Coach von Legende Pete Sampras, äußerte bereits Zweifel an der planmäßigen Durchführung der nächsten Turniere: "Dieses Desaster hat uns auf dem Weg zurück zur Normalität 15 Schritte zurückgeworfen."
Unbestritten stellen die Vorfälle bei der Adria-Tour jegliche anstehenden Events auf eine harte Probe.
Das betrifft aktuell vor allem die Schaukämpfe in Charleston, bei denen einige Grand-Slam-Siegerinnen wie Sofia Kenin, Victoria Azarenka und Sloane Stephens sowie frühere Grand-Slam-Finalistinnen wie Madison Keys und Eugenie Bouchard teilnehmen.
Bisher achten sie sowohl bei Gruppenbilder als auch beim Spielen darauf, dass stets der Abstand gewahrt wird, sei es auf dem Court oder daneben. Auch die wenigen Ballkinder tragen Handschuhe und Masken.
Ein ähnlich strenges Sicherheitskonzept planen die US Open. "Wir werden unser Sicherheitskonzept und die Hygieneregeln noch einmal überarbeiten und verschärfen, damit wir garantieren können, dass bei uns jeder sicher ist", so Patrick Galbraith, Präsident des US-Verbandes Usta.
Noch haben die Turniere der ATP, WTA und ITF Zeit für Vorkehrungen. Doch es darf nicht mehr viel schief gehen, bevor die Tennis-Saison endgültig abgeblasen wird.
Welche Folgen gibt es für andere Sportarten?
Weil Tennis ein global ist und Djokovic überall Anhänger hat, war die Nachricht von seiner positiven Corona-Erkrankung weltweit Thema.
Alle Sportarten beäugen sich dieser Tage genau, was dazu führte, dass selbst NBA-Verantwortliche bei Spielen der Fußball-Bundesliga Anschauungsunterricht nehmen, wie trotz Corona sicher Profi-Sport betrieben werden kann.
Die Adria Tour hat gezeigt, wie es nicht geht. In Sachen Publikum werden einige Sportarten daher wohl weiterhin vorsichtig agieren.
Aktuell wird sogar spekuliert, ob Djokovic seinen Landsmann und NBA-Superstar Nikola Jokic angesteckt hat, nachdem dieser positiv getestet wurde. Von beiden gibt es Bildern, wie sich bei einem Event vor kurzem engen Kontakt hatten.
Dabei handelte es sich allerdings um ein Basketball-Event, das nicht im Rahmen der Adria Tour stieg, und bei dem der bereits vor Djokovic positiv getestete Basketball-Profi Nikola Jankovic ebenfalls teilnahm.
Auf die NBA-Saison sollte das aber keine weiteren Auswirkungen haben, weil Jokic nicht in Kontakt mit anderen NBA-Spielern kam.