Oberbürgermeister Konrad Adenauer schickte am 3. Juli 1931 höchstpersönlich ein Telegramm nach London: „Cilly, ganz Köln gratuliert zum großen Sieg. Ihre Heimatstadt ist stolz auf Sie!“
Tennis-Pionierin mit traurigem Ende
Als erste Deutsche hatte Cilly Aussem im Alter von nur 22 Jahren Wimbledon gewonnen, mit einem 7:5, 7:5 im bis heute einzigen deutschen Damenfinale der All England Championships gegen Hilde Krahwinkel-Sperling aus Essen.
Am 4. Januar 1909 als Tochter eines wohlhabenden Kölner Kaufmanns geboren, lernte Cilly Aussem, was sich für Mädchen aus höherem Hause in jenen Zeiten schickte: Sprachen, Musik, Kunstgeschichte, Tanzen und Tennis.
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Vorhand-Peitsche wie Steffi Graf
Im Spiel mit Schläger und Ball erkannte ihre Mutter, die zwar Ursula Franziska hieß, sich aber Helen nannte, das außergewöhnliche Talent ihrer Tochter und schickte die 14-Jährige 1923 zu Rot-Weiß Köln in die Obhut von Trainer Willy Hannemann.

Bei ihm lernte Cilly Aussem jene flache Vorhand, die fortan ebenso gefürchtet war wie mehr als ein halbes Jahrhundert später der Vorhand-Cross von Steffi Graf.
1925 sorgte Aussem mit dem Juniorinnen-Titel bei den deutschen Meisterschaften erstmals für Aufsehen.
Mutter „von Ehrgeiz zerfressene Figur“
Mutter Aussem spielte in der Karriere ihrer Tochter dabei eine durchaus problematische Rolle. So wurde sie von Zeitgenossen als „von Ehrgeiz zerfressene Figur“ geschildert, die die Sporthilfe in Cilly Aussems Porträt für die „Hall of Fame“ des deutschen Sports schreibt.
Ein Beispiel: Bei den Internationalen Tennismeisterschaften in Hamburg beschuldigte Mama Aussem die Siegerin Paula von Reznicek, diese habe Cilly mit ihren bösen Blicken hypnotisiert - über die folgende Schlägerei zwischen von Reznicek und Mutter Aussem wurde damals sogar in der New York Times berichtet.
Auch Cilly Aussem selbst machte der Druck offensichtlich zu schaffen. Ihre Tränen nach dem Duell mit von Reznicek erklärte sie beispielsweise so: „Es ist nicht wegen der Niederlage, sondern nur, weil ich Mutti enttäuschte.“
Ein „Zauberer“ rettet die „etwas verstörte Tennisseele“
Bei einer der Reisen, die Cilly und ihre Mutter alljährlich zu Turnieren an die Riviera führten, ergab es sich, dass das grazile Mädchen Anfang 1930 an der Seite des großen William Tilden im Mixed antrat. Helen Aussem fragte Tilden, ob er Cilly vielleicht zu internationalen Erfolgen verhelfen könnte.
„Ja“, antwortete dieser, „wenn Sie, gnädige Frau, noch heute den nächsten Zug nach Deutschland nehmen.“
Anders als viele Tennis-Eltern nach ihr folgte Helen Aussem dieser Aufforderung und machte damit den Weg für eine einzigartige, wenn auch viel zu kurze Karriere der Tochter frei.
Der Kölner Tennisinsider Dr. Friedrich Esser beschrieb Tilden später als „Zauberer“, der sich der „etwas verstörten Tennisseele“ Aussem angenommen habe.
Die durch ihre über-ehrgeizige Mutter („Sie war tennisfanatisch - Cillys Tennis war für die das Wichtigste der Welt“) eingeimpfte Angst vor dem Verlieren habe er Aussem zunächst nehmen müssen, beschrieb Tilden später.
„Ich ging ein großes Risiko ein, indem ich ihr erzählte, wie dumm ihr Benehmen und das ihrer Mutter war“, erklärte der dreimalige Wimbledon-Sieger. Er habe ihr vermitteln müssen, dass es keine Schande sei, ein Spiel zu verlieren, und ihr gesagt: „Sollte jemand glauben, dass das doch der Fall ist, dann lach‘ ihn aus. Keiner kann immer gewinnen.“
Der folgende Aufstieg von Cilly Aussem war unaufhaltsam und steil: Sie war wieselflink, mit einem präzisen Aufschlag und einer kaum returnierbaren Vorhand.
1931 gewann sie Hamburg, Paris und Wimbledon und erreichte als Nummer zwei der Welt hinter der Amerikanerin Helen Wills-Moody den Höhepunkt ihrer Laufbahn.
Karriereende mit nur 26 Jahren
Noch im selben Jahr kehrte sie von einer Turnierreise durch Südamerika mit einer verschleppten Blinddarmentzündung zurück, die sie zu einer langen Pause zwang. Zudem litt sie schon länger an einer Augenkrankheit.
Zwar gelang ihr zwei Jahre später ein Comeback (Viertelfinale in Wimbledon 1934), doch an ihre großen Erfolge konnte sie nicht mehr anknüpfen. Nach der Niederlage gegen Helen Jacobs (USA) 1935 in Wimbledon beendete Cilly Aussem ihre Karriere - mit gerade einmal 26 Jahren.
Am 12. März 1936 heiratete sie den italienischen Grafen Fermo Murari dalla Corte Brá, ihre sportliche Karriere war da schon beendet.
Mitgliedschaft in NSDAP kommt ans Licht
Ein dunkles Kapitel in Aussems Lebensgeschichte kam erst 2018 wirklich ans Licht, als Köln eine Straße nach der in berühmte Tochter der Stadt benennen wollte: Schon am 1. Mai 1933 war Cilly Aussem in die NSDAP eingetreten (Mitglieds-Nr. 3.526.491).
Die Angehörigkeit der Tennis-Pionierin zur Partei Adolf Hitlers steht im krassen Gegensatz zu den Schicksalen ihrer jüdischen Weggefährtinnen: Nelly Neppach (1925 Deutsche Meisterin) nahm sich in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1933 aus Verzweiflung über die Machtergreifung der Nationalisten das Leben, Ilse Friedleben emigrierte nach England.
Tragisches Ende in Krankheit
Cilly Aussem selbst zog 1936 mit ihrem Mann nach Ostafrika, weil dieser dort als Luftwaffenoffizier stationiert wurde.
Die letzten Jahre ihres kurzen Lebens verbrachte sie, geschwächt von den Folgen einer Malaria-Infektion und nahezu völlig erblindet, zurückgezogen am Gardasee.
Dort starb sie, gerade 54 Jahre alt, am 22. März 1963.