Carlos Alcaraz reißt die Arme nach oben, kurz darauf liegt er in den Armen seiner Teamkollegen und springt mit ihnen im Kreis. Gerade hatte der Spanier mit dem Sieg im alles entscheidenden Einzel gegen Taylor Fritz für das Team Europa zum ersten Mal seit drei Jahren wieder den Laver Cup gewonnen. So eine miteinander geteilte Freude sieht man im Individualsport Tennis selten – vor allem bei Spielern unterschiedlicher Nationen, die sich ansonsten als Rivalen gegenüberstehen.
Verflixtes siebtes Jahr? Von wegen!
Genau das macht den Laver Cup aus: „Hier werden Rivalen zu Teamkollegen!“, war die vielleicht meistgehörte Aussage in Berlin an diesem Wochenende. Das Showturnier, das von den Tennisstars auch ohne die Vergabe von Weltranglistenpunkten durchaus ernst genommen wird, findet inzwischen seit sieben Jahren statt und feierte in diesem Jahr seine Deutschland-Premiere.
Klassentreffen der Tennis-Elite in Berlin
Es war ein internationales Tennisfest, das die Bundesrepublik so seit vielen Jahren nicht erlebt hat. Die (fast vollzählig) Weltelite des Herrentennis um den zweifachen Grand-Slam-Champion Alcaraz, Deutschlands Nummer eins Alexander Zverev oder US-Open-Finalist Taylor Fritz versammelte sich in Berlin und machte an drei Tagen beste Werbung für den weißen Sport.
Das Teamgefühl untereinander ist ein wesentliches Merkmal der Veranstaltung. Sogar persönliche Differenzen waren für die Wettkampftage vergessen, wie auch Daniil Medvedev auf SPORT1-Nachfrage bestätigte. Der Russe teilte sich in Berlin eine Bank mit Stefanos Tsitsipas und Alexander Zverev, zu denen er bekanntermaßen keine besonders gute Beziehung pflegt.
Rivalen werden zu Freunden
„Wir sind nicht die besten Freunde, das ist Realität. Aber zumindest für mich ist es eine leichte Umstellung. Wir unterstützen uns so sehr wie nie zuvor, das ist ein lustiges Gefühl“, erläuterte der US-Open-Sieger von 2021. Und so waren es am Ende ausgerechnet Medvedev und Tsitsipas, die Zverev mit kleinen Tipps und großen Emotionen zu einem entscheidenden Matchgewinn gegen Frances Tiafoe trugen.
Regelmäßig werden beim Laver Cup die Teamkollegen zu den Coaches ihrer eigentlichen Rivalen. Während der Ballwechsel jubelten und litten sie zudem mit, als würden sie selbst auf dem Platz stehen. So hielt es Entertainer Tiafoe in wichtigen Situationen kaum auf der Bank und Laver-Cup-Debütant Alcaraz drohte zeitweise fast vom Sofa zu fallen.
Von Nowitzki bis Schweinsteiger: Starauflauf in Berlin
Alternativ konnte man sich auch auf die Suche nach prominenten Gesichtern im Publikum begeben – und wurde da schnell fündig. Basketball-Legende Dirk Nowitzki, Tennisikone Boris Becker, Fußball-Weltmeister Bastian Schweinsteiger waren nur einige Namen von der prall gefüllten Gästeliste im schmucken VIP-Bereich. Ein derartiger Starauflauf ist im Tennis ansonsten nur bei den Grand Slams wie bei den US Open oder Wimbledon zu beobachten.
Berlin feierte drei Tage lang eine ausgelassene Tennisparty – und das auch ohne den Spieler, der eigentlich als das größte Zugpferd der Veranstaltung galt. Rafael Nadal, der bereits drei Mal zuvor an am Laver Cup teilnahm, sagte wenige Tage vor Turnierbeginn ab. Nicht wenige munkelten, dass der Mallorquiner in Berlin seine Karriere beenden könnte – so wie sein langjähriger Wegbegleiter im Jahr 2022.
Showturnier nach Nadal-Absage erstmals ohne die „Big 3″
Aufgrund der Absage waren erstmals seit dem Debüt des Laver Cups im Jahr 2017 kein Spieler aus den „Big 3″ (Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic, Anm. der Red.) im Teilnehmerfeld vertreten. Ob es deshalb für die Veranstaltung, die immer noch von Federer, der auf dem Videowürfel der Arena quasi omnipräsent war und regelmäßig Jubelstürme auslöste, und seiner Agentur Team8 organisiert wird, ein verflixtes siebtes Jahr werden könnte!? Mitnichten!
Auch wenn die Sympathien für das Team Europa überwogen, ließen es sich die Fans des Team World nur selten nehmen, auf die Anfeuerungsrufe der europäischen Unterstützer zu reagieren. Sobald ein Fan „Let‘s go, Europa“ in die Halle rief, hallte ein „Come on, World!“ zurück. Keine Frage, dieses Wochenende war „Tennistainment“ in Perfektion!
Wer live in der Halle dabei sein wollte, musste allerdings tief in die Tasche greifen. Unter einem mittleren dreistelligen Betrag kam man beim Ticketkauf nicht weg. Wer sich am Freitag spontan noch ein Ticket hätte kaufen wollen, hätte für die Day Session, die wohlgemerkt nur zwei Einzel-Matches umfasste, knapp 400 Euro hinblättern müssen. Die teuersten Plätze an diesem Tag kosteten 4.000 Euro.
Integration der Frauen kein Thema
Weil die sportliche Wertigkeit stimmt, hat sich der Laver Cup im Kalender ATP etabliert. Im Rahmen der Veranstaltung verkündeten die Veranstalter und die ATP eine Verlängerung ihrer Zusammenarbeit um fünf weitere Jahre.
Die Idee, zukünftig auch Frauen zu integrieren, scheint aktuell nicht im Interesse von Federer & Co zu sein. „Wenn wir Frauen hinzufügen würden, wäre es so etwas wie der Hopman Cup, den es bereits gibt. Ich denke, dass wir diesen Weg weitergehen werden“, erklärte Federers langjähriger Manager Tony Godsick.
Dennoch bleibt bei der nächsten Ausgabe in San Francisco nicht alles beim Alten: Mit John McEnroe und Björn Borg treten zwei prägende Figuren des Events als Teamkapitäne ab. Stattdessen übernehmen Andre Agassi und Yannick Noah, die sich beide in Berlin bereits einen Eindruck von dem Event verschafften.
Alcaraz als Erfolgsfaktor der Zukunft?
Die Zukunft des Laver Cups scheint aktuell auch ohne die „Big 3″ nicht in Gefahr – auch, weil die nächste Generation an Starspielern längst angekommen ist. Das betonte auch Team-Europa-Spieler Casper Ruud, als er von SPORT1 auf die Zukunft des Events angesprochen wurde: „Du hast Novak aus der vorherigen Generation und dann viele junge Spieler, die richtig Lust haben, zu spielen. Es ist lustig, dass der Jüngste von uns allen (Alcaraz, Anm. d. Red.) der Erfolgreichste ist. Es ist eine Freude, ihm zuzusehen, weil er selbst die Freude auf den Platz bringt. Ich hoffe, dass er noch viele weitere Male spielen wird, denn er bringt die Arena zum Leuchten, sobald er den Court betritt.“
Vom Team Welt bekam der 21-Jährige am Wochenende den Spitznamen „Fed05″ verpasst – eine Anspielung darauf, dass er so gut spielte, wie Federer in der besten Saison seiner Karriere in 2005. Klingt nach einem legitimen Nachfolger des großen Meisters - auch für die nächsten Episoden des Laver Cups!