Zwei Milliarden US-Dollar. So lautet der britischen Zeitung Telegraph zufolge das Angebot des saudischen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF), das den Spielervereinigungen ATP (Herren) und WTA (Damen) unterbreitet wurde und beide Touren sogar vereinen soll.
Machtkampf droht Tennis zu zerreißen
Als größte Gegenleistung - abseits von der erhofften Imagepflege, auch als Sportswashing bekannt -, würde Saudi-Arabien demnach ein Masters-1000-Turnier in der ersten Woche der Saison erhalten, was bereits seit längerer Zeit das saudische Ziel sein soll.
Das mag harmlos klingen - doch für einen wichtigen Mann im Tennis-Zirkus wäre dies ein großes Ärgernis: Craig Tiley. Der CEO von Tennis Australia und Turnierdirektor der Australian Open will den Tennissport vor einem größeren Einfluss Saudi-Arabiens „bewahren“ - aber nicht aus moralischen Gründen.
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„Premium Tour“ als Gegenangebot zu Saudi-Plänen
Ihn stört, dass das Masters in Saudi-Arabien mit dem sogenannten „Australian Summer“ kollidieren würde. Dies sind Tennis-Turniere in Down Under als Vorgeschmack und Vorbereitung auf die Australian Open. Sein erst 2023 geschaffener Teamwettbewerb namens „United Cup“ wäre mit einem 1000er-Masters Anfang Januar so gut wie am Ende.
Hinzu kommt, dass die vier Grand Slams (Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open) nicht von dem Angebot Saudi-Arabiens betroffen sind, also selbst keinen Nutzen daraus ziehen - und langfristig womöglich sogar ein wenig an Wertigkeit bei Spielern verlieren, falls zum Beispiel das Preisgeld bei ATP-/WTA-Turnieren so sehr erhöht wird, dass es jenes bei den Grand Slams übersteigt.
Und genau deshalb schwelt nun hinter den Kulissen ein Machtkampf, der weitreichende Folgen für den Tennissport haben könnte. Denn Tiley und die anderen drei Grand Slams haben ein Gegenangebot im Gepäck - eine „Premium Tour“, die von den vier Majors und den Masters-1000-Turnieren gebildet wird. Also 14 Turniere in einer Tour, eine Art Tennis-Version der Formel-1-Weltmeisterschaft.
So wollen die Grand Slams die Tennis-Stars locken
„Die Idee für diese Tour liegt jetzt schon seit ein paar Jahren auf dem Tisch“, bestätigte Tiley Anfang Dezember bei Fox Australia. Er sehe es jedoch positiv, dass man jetzt an der Umsetzung arbeite.
Diese Umsetzung soll laut dem gut vernetzten Journalisten Jon Wertheim ungefähr so aussehen: Neben den Majors gibt es zehn gemeinsame Masters-Turniere mit je 96 Spielern sowie gleiche Bezahlung für Herren und Damen. Dazu sind ein Team-Wettkampf, gemeinsame ATP-/WTA-Finals, acht garantierte Wochen Saisonpause und ein „Race“ statt eines 52-Wochen-Rankings geplant.
Vor allem letztgenannte Idee sorgt bei Tennis-Fans für Kritik. Denn dies hätte zur Folge, dass anders als bisher das Ranking nach jeder Saison wieder bei null beginnt.
„Premium Tour“ wohl nur für Topstars attraktiv
Vermutlich zur Freude von Tiley, da seine Januar-Turniere damit noch attraktiver wären, da dort jeder Spieler sofort Nummer 1 werden kann. Das hätte allerdings auch etwas von Beliebigkeit und Vergleiche mit früheren Generationen oder Rekordjagden wären somit hinfällig.
Ein weiteres Problem der „Premium Tour“: Was wäre mit den Spielern, die es nicht in den Kreis derer schaffen, die bei den Turnieren spielberechtigt sind? Laut Wertheim gebe es wohl einige Chancen für einen Aufstieg dieser. Zudem könnten sich Stars bei ausgewählten Turnieren auf der „Nicht-Premium-Tour“ ein wenig Geld dazuverdienen.
Wirklich attraktiv klingt dies für alle Turniere, die nicht zur „Premium Tour“ zählen würden, aber wohl kaum. Und auch jene Spieler, die weiter unten im Ranking stehen, werden von der Idee, sich eine Art Zugangskarte wie auf der PGA Tour im Golf erspielen zu müssen, wenig begeistert sein.
ATP und WTA wollen Golf-Szenario zu verhindern
Apropos Golf: Ein ähnliches Szenario versuchen ATP und WTA unbedingt zu verhindern. Dort gründete der Staatsfonds Saudi-Arabiens (PIF) mit LIV Golf eine eigene Tour und warb dank deutlich höherer Preisgelder Spieler ab, was sogar zum Ausschluss jener Sportler von der PGA Tour und DP World Tour führte. Zwar gab es inzwischen eine Art Fusion, doch ob diese lange hält, bleibt abzuwarten.
Vor allem ATP-Chef Andrea Gaudenzi gilt als großer Befürworter des Angebots aus Saudi-Arabien. Der Italiener war dem Telegraph zufolge nicht einmal zu den Australian Open gereist, sondern stattdessen in die saudi-arabische Hauptstadt Riad, um dort mit PIF zu verhandeln.
Die Ende Februar verkündete „mehrjährige strategische Partnerschaft“ zwischen ATP und PIF, der nun offizieller Partner der ATP-Rangliste sowie der ATP-Turniere in Indian Wells, Miami, Madrid, Peking, der ATP-Finals zum Saisonende in Turin und der Next Gen ATP Finals in Jeddah ist, soll dabei nur der Anfang gewesen sein.
„So ein Angebot ist erst einmal eine Chance“, sagte DTB-Präsident Dietloff von Arnim der dpa, machte aber auch deutlich: „Was immer auch kommt, es kommt etwas Neues - und da können nicht nur Gewinner dabei sein.“
WTA: „Equal Pay“-Angebot für Frauen-Tour verlockend
Sehr verlockend muss sich das Angebot aber für die WTA anfühlen. Zwar ist unklar, wie groß die finanzielle Notlage wirklich ist - die Vereinigung wehrte sich zumindest gegen Behauptungen des Vizepräsidenten des kasachischen Tennisverbandes, dass die WTA „2026 oder 2027 bankrott“ sein könnte und sieht sich laut WTA-Boss Steve Simon „in einer gesunden finanziellen Lage“.
Doch ein Blick auf die Preisgelder reicht, um zu sehen, dass die WTA finanziell nicht mit der Herren-Tour mithalten kann. So berichtete die Financial Times, dass die ATP-Tour 2022 sogar 75 Prozent mehr Preisgeld auszahlte als die WTA. Ein Angebot, welches „Equal Pay“ bei allen Turnieren garantiert, muss für die Spielerinnen daher erst einmal traumhaft klingen.
Inwieweit die Menschenrechtslage und insbesondere die Rolle der Frau in Saudi-Arabien jedoch mit den Werten, für die die WTA steht - oder nach der Gründung 1973 durch die „Original 9″ um Billie Jean King einst stand -, vereinbar sind, steht auf einem anderen Blatt.
Wegen Saudi-Arabien: Tennis-Ikonen werden deutlich
Die Tennis-Ikonen Chris Evert und Martina Navratilova übten jedenfalls bereits scharfe Kritik an einer möglichen Vergabe der WTA Finals an Saudi-Arabien. In einem gemeinsamen Brief an WTA-Boss Simon betonten sie, dass dies „unvereinbar mit dem Spirit und dem Auftrag des Damen-Tennis und der WTA“ sei.
Dennoch scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die WTA verkündet, dass ihr großes Saisonabschlussturnier ab sofort in Saudi-Arabien stattfindet. Was das jüngste Mega-Angebot aus dem Mittleren Osten betrifft, teilte die WTA auf dpa-Anfrage mit, dass es eine Welle des Interesses von Partnern am Frauensport gebe und auch Angebote aus Saudi-Arabien geprüft würden.
Aktuell könnte man daher „Advantage Saudi-Arabien“ vermuten. Doch Tiley und die Grand Slams werden zweifelsohne nicht kampflos aufgeben - selbst wenn der Machtkampf dann völlig eskalieren sollte.