Der positive Dopingtest von Simona Halep hat im Tennis hohe Wellen geschlagen. Im Zuge eines Tests bei den US Open im August wurde der Rumänin die verbotene Substanz Roxadustat nachgewiesen.
„Tennis hat ein Doping-Problem“
Einer, der sich seit vielen Jahren mit Doping im Tennis beschäftigt und regelmäßig Investigativtexte über das Thema schreibt, ist der freie Journalist Jannik Schneider.
Mit SPORT1 sprach Schneider, der selbst den Podcast „Advantage“ betreibt, ausgiebig über den Fall Halep und warum seiner Meinung nach Tennis wie fast jede Sportart ein Doping-Problem hat.
- Der Tennis-Podcast „Cross Court“ bei SPORT1, auf meinsportpodcast.de, bei Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt
Hier ein Ausschnitt daraus - das komplette Gespräch mit den ausführlichen Antworten dazu sowie vielen weiteren Themen wie zum Beispiel Einblicke hinter den Kulissen des Abschieds von Roger Federer gibt es in der jüngsten Folge des Tennis-Podcasts „Cross Court“ auf podcast.sport1.de und auf allen gängigen Plattformen zu hören.
Schneider: Fall Halep „schon krass“
SPORT1: Herr Schneider, viele haben sich beim Fall Halep sehr überrascht gezeigt - schockt Sie so etwas auch noch?
Jannik Schneider: „Es schockt mich auf keinen Fall. Tennis hat meiner Meinung nach ein Doping-Problem. Fast jede Sportart hat ein Doping-Problem. Dass es jetzt mit Simona Halep einen prominenten Namen getroffen hat, ist schon krass. Es ist der erste entdeckte Blutdoping-Fall im Tennis. Der ehemalige Grand-Slam-Champion Jim Courier hat bereits 1999 am Rande der Australian Open in einer Pressekonferenz angesprochen, dass er nicht weiß, wie einige Spieler so viele Matches und Turniere ohne Leistungsverlust spielen können, und gesagt, dass Tennis offensichtlich ein Blutdoping-Problem habe. 1999! Ein Jahr nach dem Festina-Skandal im Radsport.
Wir hatten zwischen 2000 und 2010 viele Fälle, keine Blutdoping-Fälle, aber viele Doping-Fälle von südamerikanischen Spielern. Juan Ignacio Chela, der eine verkürzte Strafe erhielt und seit Jahren Diego Schwartzman trainiert. Wir haben den ersten Gegner von Rafael Nadal aus dem French-Open-Finale 2005, Mariano Puerta, zweimal positiv getestet - acht Jahre gesperrt. Da könnte man mutmaßen, dass sie nicht so gute Ärzte wie der ein oder andere Star hatten und heute noch haben. Sonst wüssten sie, wie man bei Urintests nicht auffällt. Das ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man gute Ärzte hat. Wir hatten früher kaum Bluttests und haben den biologischen Blutpass, der mutmaßliche Doper anhand von Blutwerten ohne positiven Test überführen soll, erst seit 2013/2014 auf Druck von Roger Federer und Andy Murray.“
- Das komplette Gespräch mit Jannik Schneider sowie viele weitere Themen wie die Form von Carlos Alcaraz und die Rückkehr von Rafael Nadal gibt es ab sofort im Tennis-Podcast „Cross Court“ zu hören: bei SPORT1, auf Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt.
SPORT1: Wie bewerten Sie es, wenn Spieler bei Grand Slams drei harte Fünf-Satz-Matches in Folge spielen und im vierten oder fünften Satz frischer wirken als zu Beginn der Partie?
Schneider: „Ein ungutes Gefühl habe ich generell. Es ist so, dass Leistungssport auf der höchsten Ebene nicht gesund ist und die Sportler*innen an ihre Leistungsgrenze gehen müssen, wo sie irgendwann in einem Umfeld landen, in dem sie selbst entscheiden müssen, ob sie in Grauzonen tappen oder weiter gehen. Manchmal entscheiden das aber auch andere Leute für sie oder sie werden dazu gedrängt.
In der Grauzone sind wir dann, wenn jemand Dutzende Nahrungsergänzungsmittel einnimmt und zu seiner Dopingkontrolle eine Liste mit gefühlt 28 Mitteln hinlegt, die er oder sie nimmt. Das muss man machen, wenn man zum Beispiel medizinische Ausnahmengenehmigungen hat - sogenannte TUE. Das ist heutzutage modernes Doping. Man braucht verschiedene Ärzte, die einem Attests ausstellen, dass man beispielsweise Asthma hat. Mir hat mal ein Verbandsfunktionär gesagt, dass von den damaligen Top 100 im Tennis 50 Asthma hatten. Das ist nicht so lange her. Das ist dann eigentlich schon mehr als die Grauzone, wenn man mit 30 Medikamenten und einer Liste zur Dopingkontrolle kommt.“
Zu wenige Bluttests im Tennis?
SPORT1: Im Gespräch mit SPORT1 sagte Doping-Experte Fritz Sörgel, dass sich Halep beim Einnehmen des Präparats verschätzt habe. Deshalb war die Konzentration so niedrig. Sörgel sprach auch von einem „in der Tennis-Szene bekannten Abstand“ vor Wettkämpfen - ist es für Sportler so einfach, positive Tests zu umgehen?
Schneider: Wir kennen es ja von den Erklärungen positiv getesteter Spieler*innen, dass immer in den Social Media Posts steht: Es wurde nur eine geringe Menge gefunden. Und das legen sie zu ihrem Vorteil aus - Motto: Es kann gar nichts Schlimmes sein. Wir wissen aber aus der Vergangenheit von überführten Doping-Tätern, dass Verschleierungsmittel genommen werden, damit das Mittel schneller aus dem Körper raus ist, aber trotzdem leistungsfördernd ist. Gleiches gilt auch für mutmaßliche Verletzungspausen, in denen ein Arzt dir etwas Verbotenes gibt. Irgendwann bist du nicht mehr verletzt und das Mittel hilft dir immer noch. Wer kontrolliert, ob ein Spieler während dieser mutmaßlichen Pause nicht trainiert oder im Fitnessraum arbeitet?
Tests sind im Tennis ein großes Thema. Es gibt viel zu wenig Bluttests. Im kompletten Jahr 2021 bei Wettkämpfen auf der ATP- und WTA-Tour gab es nur zwei Bluttests. Bei allen Turnieren. Die fallen unter die sogenannten In-Competition-Tests, da wurde ansonsten nur auf Urin getestet und normalen Epomissbrauch und oder Blutdoping entdeckst du damit nicht. Haleps Test war eine Urinprobe - das gefundene Mittel Roxadustat kann aber als Tablette eingenommen werden. Dann gibt es noch die Trainingskontrollen - sogenannte Out-of-Competition-Tests. Es kann auch sein, dass 24 Stunden vor einem Turnierbeginn getestet wird - dann gilt das auch noch als Out-of-Competition, aber die Spielerinnen erwarten bei Turnieren natürlich Tests und sind vorbereitet. Deswegen ist diese Regel schwachsinnig.
Bei den Out-of-Competition-Tests gibt es zwar etwas mehr Bluttests, aber nicht genug. Und es gibt, wie erwähnt, den biologischen Blutpass, der potenzielle Blutdoper ohne positiven Test und nur anhand von Werten überführen soll. Da haben mein Kollege Edmund Willison und ich für die Mail of Sunday bereits herausgefunden, dass bei mindestens drei Turnieren - US Open, Miami und bei den French Open - den Spielern vier Tage vorher angekündigt wurde, dass es Bluttests gibt. Die Spielerinnen konnten es sogar planen in einer Liste - so nach dem Motto: ‚Ich möchte bitte meinen Dopingtest zwischen 17.30 und 18 Uhr in vier Tagen abgeben‘.
Wenn man ein Top-30-Spieler ist, Millionen verdient und potenziell dopen möchte, hätte man genug Geld und Einnahmen, einen Arzt zu verpflichten, der einem exakt sagt, wann man etwas nimmt, wann man aufhört oder was man nehmen sollte, um ein Mittel zu verschleiern. Wenn man sich exakt daran hält, geht die Chance heute gegen Null, positiv getestet zu werden, falls nicht bei Wettkämpfen unangekündigt auf Blut getestet wird. Diese Aussage ist im Übrigen auch auf andere Sportarten übertragbar.
Wusste Halep nichts?
SPORT1: Halep hat ein turbulentes Jahr hinter sich, in dem sie unter anderem ihr komplettes Team austauschte. Kann das Halep bei der Argumentation helfen, dass sie nichts davon wusste, weil viele neue Leute um sie herum waren?
Schneider: Im Profisport gilt die umgekehrte Beweispflicht im Anti-Doping-Kampf. Wenn du positiv getestet wirst, musst du beweisen, dass das Mittel nicht absichtlich in deinen Körper gelangt ist. Und diese Beweispflicht hat jetzt Simona Halep. Die A- und B-Probe war positiv - auf ein Mittel, das nicht in Nahrungsergänzungsmitteln vorkommt. Es wird benutzt im Kampf gegen Nierenkrankheiten und Anämien, um die roten Blutkörperchen zu erhöhen, und fördert dementsprechend die Ausdauer.
Ihr Ex-Trainer Darren Cahill hat in seinem Instagram-Statement geschrieben, dass Halep bei verschriebenen Mitteln oft gefragt habe: Bist du dir sicher? Was ist drin? Wenn nicht, nehmen wir es nicht. Prüfe das bitte für mich. Aber sie muss es auch prüfen. Sie ist Tennis-Profi. Ganz wichtig ist auch: Nicht jeder potenzielle Doper ist ein schlechter Mensch, sondern eventuell bist du in einem Spitzensport-Umfeld, wo du unter Druck gesetzt wirst oder siehst, du kommst nicht weiter und peu à peu überschreitest du Grenzen.
SPORT1: Wie geht es in dem Fall jetzt weiter und wie beurteilen Sie ihre Chancen, eine längere Sperre verhindern zu können?
Schneider: Sie ist vorläufig gesperrt und bekommt jetzt ein Verfahren vor einem unabhängigen Tribunal. Das war früher vom Weltverband selbst, jetzt ist es von der ITIA. Die betiteln sich als unabhängig, sind aber auch vom Weltverband eingesetzt worden. Haleps Chancen stehen nicht so schlecht, wenn man sich die Vergangenheit anschaut. Zwischen 2013 und 2019 sind 156 Tennis-Profis positiv getestet, aber nur 34 Prozent sanktioniert worden. Und sanktioniert war oft nicht einmal eine volle Zwei- oder Vierjahressperre.
Das liegt daran, dass man es als Spielerin mitunter beim Weltverband mit abstrusen Erklärungen schaffte, verkürzte Strafen zu erhalten. Wir erinnern uns an Sara Errani, die es geschafft hat, nach ihrem positiven Test zu beweisen, dass ein Krebsmittel ihrer Mutter beim Zubereiten einer Tortellini-Brühe auf die Arbeitsplatte gefallen ist und dann bei der Nahrungszunahme aufgenommen wurde. Und sie hat eine verkürzte Strafe von elf Monaten bekommen. Das ist die Errani, die 2012 nachweislich mit Luis Garcia del Moral zusammengearbeitet hatte, dem ehemaligen Arzt von Lance Armstrong.