Florian Wellbrock ist derzeit Deutschlands erfolgreichster Schwimmer. Der 25-Jährige begeisterte die Fans bei den Olympischen Spielen von Tokio, als er über die 10 Kilometer Freiwasser Gold holte.
Wellbrock sorgt für Aufsehen
Zwei Jahre später steht der aktuelle Weltmeister vor der Rückkehr nach Japan, wo am Freitag in Fukuoka die Schwimm-WM beginnt.
Im SPORT1-Interview gewährt Wellbrock spannende Einblicke in sein Profi-Schwimmer-Leben und bezieht Stellung zu brisanten politischen Themen.
Deutliche Kritik übt Wellbrock dabei an Trans-Schwimmerin Lia Thomas, die zunächst an Männer-Wettbewerben teilnahm, sich dann einer hormonellen und operativen Gender-Behandlung unterzog, und ab 2020 bei den Frauen weiterschwamm.
SPORT1: Herr Wellbrock, bei den Olympischen Spielen in Tokio haben Sie 2021 zwei Medaillen geholt: Bronze über 1.500 Meter Freistil und Gold im Freiwasser über die 10 Kilometer. Wie fühlen Sie sich nun vor Ihrer Rückkehr nach Japan zur Schwimm-WM?
Florian Wellbrock: Es fühlt sich alles ein wenig an wie vor Olympia 2021. Ich bereite mich auf ein großes Event vor. Das ruft viele positive Emotionen in mir hervor, das ist sehr angenehm. Es sind diesmal aber deutlich schönere Umstände, denn es gibt keine Corona-Regeln mehr.
SPORT1: Unterscheidet sich das Training für die Freiwasser-Wettbewerbe von dem Training für die Becken-Disziplinen?
Wellbrock: Das Training ist eigentlich genau gleich. Das ganze Training läuft im Becken ab, denn dort kann man viel strukturierter trainieren als beispielsweise in der Elbe. Der Trainer hat ein Auge drauf, kann über Wasser gucken, unter Wasser gucken. Das wäre im offenen Gewässer gar nicht möglich. Jetzt in der Vorbereitung geht das Trainingspensum ein wenig runter, sodass der Körper sich erholt und leistungsfähiger wird. Das ist das Highlight der Leistungssportler, weil jeder weiß: Es wird jetzt weniger trainiert als vorher, das fühlt sich dann fast wie Urlaub an.
SPORT1: Faszination Freiwasser: Was kommen da für Elemente ins Spiel, die das Freiwasser vom klassischen Hallenbecken unterscheiden?
Wellbrock: Das ist für mich ein Kampf zwischen Mensch und Natur. Ein Kampf gegen die Natur. Man ist der Umwelt knallhart ausgeliefert. Temperatur, Sonne, Wind, Wellen. Bei den Wellen ist es eine technische Frage, die es zu lösen gilt. Auf die Temperaturbedingungen kann man sich aber vorbereiten. Wenn wir irgendwo hinfahren und wissen, dass es sehr kalt wird, dann fangen wir zuhause frühzeitig mit Kälte-Bädern an. Dafür gehen wir in Eisbecken, um dem Körper dem kalten Wasser auszusetzen. In Japan werden wir wohl Warmwasser haben, wir erwarten Temperaturen zwischen 24 und 28 Grad. Da fangen wir zuhause eben mit Wärme-Bädern an. Nach dem Training haue ich mich dann nochmal zehn bis 15 Minuten in den Whirlpool rein und lasse den Körper da einmal schön durchkochen.
Florian Wellbrock nimmt bis zu 5.000 Kalorien am Tag zu sich
SPORT1: Und wie schützen Sie sich gegen Sonne und Wasser?
Wellbrock: Wir cremen uns vorher ganz normal mit einer gut verträglichen Sonnencreme ein. Vorm Gang ins Salzwasser schmieren wir uns auch im Nackenbereich und unter den Armen Vaseline auf. Überall wo es Scheuern kann. Wenn du zehn Kilometer schwimmst und der Anzug mit dem Wasser auf der Haut reibt, kann das Wunden und auch Narben geben. Deshalb machen wir überall einen Klecksen Vaseline drauf. Dann ist das für den Körper verträglicher.
SPORT1: Michael Phelps‘ kalorienreiche Ernährung hat früher für viel Aufsehen gesorgt. Wie ernähren Sie sich?
Wellbrock: Das ist bei mir tatsächlich ähnlich! Im normalen Trainingsalltag ziehe ich so 4.500 bis 5.000 Kalorien durch. Das geht nur mit vielen Reisnudeln und Kartoffeln.
Wellbrock kritisiert IOC: „Die Kriegssituation in der Ukraine ist dieselbe“
SPORT1: Der Schwimm-Weltverband folgte im April der Empfehlung des Olympischen Komitees (IOC), Sportler aus Russland und Belarus wieder teilnehmen zu lassen. Eine Taskforce erarbeitet gerade Wege, wie russische und belarussische Schwimmer an internationalen Wettbewerben teilnehmen können, solange sie den Angriffskrieg von Putin nicht aktiv unterstützen (Die WM findet voraussichtlich noch ohne russische Schwimmer, Anm. d. Red.) Wie sehen Sie diese Entscheidung?
Wellbrock: Ich finde das aktuell eher ein bisschen schwierig, weil das IOC und die ganzen anderen Verbände sich ja eigentlich gegen den Start dieser Sportler ausgesprochen haben. Und politisch hat sich seitdem überhaupt gar nichts verändert, die Kriegssituation in der Ukraine ist dieselbe. Daher verstehe ich persönlich nicht, wo diese Kehrtwende herkommt.
SPORT1: Was sind Ihre persönlichen Ziele für die WM?
Wellbrock: Ich möchte möglichst oft aufs Podium schwimmen und bei der Siegerehrung dabei sein. Das sind die emotionalsten Momente, die mich persönlich voll abholen. Über die 10 Kilometer kann ich auch schon das Olympia-Ticket lösen, wenn ich da in die Top drei schwimme. Das ist auf meiner Agenda ganz oben. Wenn das mit der Olympia-Quali klappt und ich hier und da noch eine Medaille aus dem Wasser ziehe, dann wäre ich sehr zufrieden.
SPORT1: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie zehn Kilometer lang im Wasser sind?
Wellbrock: Das ist bei mir aufgeteilt, das baut sich alles auf. Im Freiwasser ist das eine echte Marathonstrecke von fast zwei Stunden. Da habe ich verhältnismäßig viel im Kopf. Ich gucke dann, wo die Konkurrenz rumschwimmt, was die so machen. Wir haben auf dem Kurs verschiedene Bojen zur Orientierung, die ich mir genau einpräge. Irgendwann komme ich dann in meinen Rhythmus und in diesen Flow. Dann erwische ich mich oft dabei, wie ich irgendeinem Ohrwurm verfalle. Dann dudele ich in meinem Kopf irgendeine Melodie vor mich hin. Aus diesem Flow, wo ich Musik in meinem Kopf habe, wach ich erst in der letzten Runde wieder auf. Wenn es auf die letzten 1.000 Meter geht, bin ich wieder voll bei Verstand und versuche, mental gegen die Schmerzen anzukämpfen. Dann motiviere ich mich mit Bildern vom Podium oder der Siegerehrung: Dass ich vielleicht dabei sein kann oder gewinnen kann. Das sind dann die positiven Emotionen, die mich auf den letzten Metern tragen.
Faszination Freiwasser: „Man betritt den Lebensraum wilder Tiere“
SPORT1: Was hören Sie denn für Musik, wenn Sie in dieser Flow-Phase sind?
Wellbrock: Aktuell höre ich viel amerikanischen Hiphop und Rap. Die Musik von Gunna höre ich sehr viel, das kommt mir dann in den Kopf. Aber letztens bei der WM in Ägypten habe ich im Wasser plötzlich einen sehr großen Rochen unter mir gesehen, so vier bis fünf Meter lang. Da ist man dann mit den Gedanken auf einmal nicht mehr bei sich, sondern bei dem wilden Tier, das unten rumschwimmt. Ist es gefährlich, ist es nicht gefährlich? Das war bislang meine einzige Begegnung dieser Art im Freiwasser. Als ich weiter weggeschwommen bin, konnte ich mich dann auch wieder besser auf den Wettbewerb konzentrieren (lacht).
SPORT1: Was für ein Rochen könnte das in Ägypten gewesen sein? Werden Sie vor solchen Wettbewerben gebrieft über mögliche Gefahren?
Wellbrock: Nein. Das hatten wir zum Glück auch noch nie. Es gab bei Freiwasser-Events auch noch keinen Kontakt mit Haien. Aber ich sag mal, wenn du in Ägypten ins Wasser gehst, dann weißt du, dass Haie vor Ort sein können. Es ist auch erst ein paar Wochen her, dass in Ägypten ein Mensch von einem Tigerhai getötet wurde. Meiner Meinung nach muss man sich bewusst sein, dass man den Lebensraum wilder Tiere betritt. Wir sind da nur Gast, auch als Profisportler.
Über Lia Thomas: „Deswegen trennen wir im Sport Männer und Frauen“
SPORT1: Wie denken Sie über die amerikanische Trans-Schwimmerin Lia Thomas? Sie bekam von der University of Pennsylvania noch als Mann ein Schwimm-Stipendium, nahm dann zwischen 2017 und 2019 an Ivy League und NCAA-Rennen teil, bevor sie im Alter von 20 Jahren mit Operationen und hormoneller Behandlung eine Frau wurde. Jetzt gewinnt sie an der Uni reihenweise Frauen-Schwimm-Wettbewerbe. Sollte man Trans-Schwimmerinnen bei Frauen-Wettbewerben zulassen?
Wellbrock: Ich finde das total schwierig. Bei Lia Thomas ist es so, dass ein Mann als Mann aufgewachsen ist und dann hormonell behandelt und zur Frau umoperiert wurde. Und Thomas möchte dann bei den Frauen mit starten. Wenn jetzt ein Mann als Frau aufwächst und sich zum Mann operieren lässt und hormonell behandeln lässt, dann möchte diese Person wahrscheinlich weiter bei den Frauen starten - und versucht sich da eventuell einen Vorteil rauszuholen. Ich finde Transgender im Leistungssport ganz, ganz schwierig. Auch auf Profi-Ebene gab es ja schon große Schlagzeilen bei einer neuseeländischen Gewichtheberin bei den Olympischen Spielen. Da gab es auch einen Riesen-Aufschrei. Ich finde das wirklich problematisch. Ich kann da die Konkurrentinnen, die sich unfair behandelt oder benachteiligt fühlen, gut verstehen.
SPORT1: Sehen Sie biologische Frauen durch Trans-Frauen im Schwimmsport benachteiligt?
Wellbrock: Ja, auf jeden Fall! Alleine hormonell, durch das biologische Potenzial, was ihnen mitgebracht wird, sind sie auf jeden Fall benachteiligt. Deswegen trennen wir im Sport ja Männer und Frauen, weil die Evolution und die Biologie es möglich macht, dass Männer andere sportliche Leistungen vollbringen können. Da ist diese Trennung einfach fair. Da wird vom Transgender-Thema teilweise versucht, das auszuhebeln. Das finde ich dann nicht gut.