Es war die große Zeit von Franziska van Almsick – aber in ihrem Schatten wuchs schon das nächste deutsche Schwimm-Phänomen heran.
So erging es Völker nach Hartz IV
Es ist der 16. Februar 1993. Ein halbes Jahr nach Olympia 1992 in Barcelona, wo die 14 Jahre alte Ost-Berlinerin van Almsick mit drei sensationellen Medaillencoups zum umjubelten Sport-Popstar des frisch wiedervereinten Deutschland wurde. (NEWS: Alles zum Thema Schwimmen)
Nun setzt eine andere deutsche Teenagerin ein Ausrufezeichen: Die 18 Jahre alte Lübeckerin Sandra Völker legt ihre Spezialstrecke 50 Meter Rücken in 28,33 Sekunden zurück.
Es ist ein Weltrekord - und der Durchbruch zu einer Karriere, die am Ende ähnlich erfolgreich werden wird wie die von van Almsick. Eine Karriere, die dann aber in einem persönlichen Drama münden wird, zu dessen Stationen eine Privatinsolvenz, Hartz IV und der Verkauf ihrer Medaillen gehören werden. Aber auch ein persönliches Happy End.
Sandra Völker reifte in Franziska van Almsicks Schatten
Sandra Völker muss schon in jungen Jahren mit Widrigkeiten und Rückschlägen zurechtkommen: Während Teamkollegin van Almsick bei Olympia in Barcelona brilliert, erlebt sie herbe Enttäuschungen.
Über 100 Meter Rücken - die 50 Meter sind nicht olympisch - verpasst sie das Finale, fliegt dann aus dem Staffel-Team. „Richtig abgesoffen bin ich“, sagt sie später der taz, denkt an ein frühes Karriere-Ende.
Ihr Umfeld mit dem Trainer und damaligen Lebensgefährten Dirk Lange überzeugen sie vom Weitermachen, nicht zuletzt auch, weil sie die großen Möglichkeiten inmitten des Schwimm-Booms sehen, den van Almsick ausgelöst hat.
Als „Super-Sandra“ am sportlichen Gipfel
Völker macht weiter, reift zu einer Weltklasse-Schwimmerin, die bei Olympia 1996 in Atlanta ihr eigenes Märchen schreibt: Silber über 100 Meter Freistil, Bronze über 50 Meter Freistil, Bronze mit der Staffel (van Almsick, Simone Osygus, Antje Buschschulte).
Es ist der Beginn sportlich goldener Jahre: Die als „Super-Sandra“, es folgen drei Weltmeister-Titel, drei Auszeichnungen zur Schwimmerin des Jahres 1997 bis 1999. Insgesamt gewinnt sie bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften über 60 Medaillen.
Völkers Karriere dauert an bis 2008, eineinhalb Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes macht sie Schluss - und hat große Probleme, in das Leben nach dem Sport zu finden.
Hartz IV, Privatinsolvenz, Angebot vom RTL-Dschungelcamp
„Ich war Sandra Völker, die Schwimmerin“, blickt sie 2019 in der Welt am Sonntag zurück: „Ich musste in eine Rolle hineinschlüpfen, um alles wuppen zu können, den Leistungssport, den Erfolg, die Öffentlichkeit, das ganze Drumherum. Es ist wichtig, dass man sich dabei nicht selbst verliert. Genau das traf teilweise auf mich zu.“
Der vor wenigen Jahren noch gefeierte Star schlittert in finanzielle Not, beantragt 2013/14 Hartz IV und Privatinsolvenz.
„Mir war es total peinlich, ich schämte mich“, gesteht sie sechs Jahre später: „Und es war mir alles zu viel. Ich hatte auch Angst vor der Reaktion der Menschen, der Öffentlichkeit. Ich hatte schlaflose Nächte.“
Ein besonders herber Schlag, der noch folgt: Völker muss ihre Medaillen versteigern, sie bringen bei einer Online-Auktion 67.500 Euro. Es kommen weitere, ihr nicht angenehme Angebote, zu schnellem Geld zu kommen: vom Playboy, vom RTL-Dschungelcamp, vom katarischen Schwimmverband, der sie einbürgern und ein Comeback einfädeln will. Völker lehnt alles ab, will auf anderen Wegen wieder Fuß fassen.
Schritt in ein neues Leben gelingt
Letztlich gelingt es: Der Hartz-IV-Antrag sei „ein Schritt in ein neues Leben“ gewesen, sagte sie später.
Nachdem ihre finanziellen Angelegenheiten mit anwaltlicher Hilfe geregelt sind, hat sich die dreifache Mutter eine neue Existenz aufgebaut, arbeitet als freiberufliche Schwimmtrainern und bietet Motivationsvorträge und Lebenshilfe an. Ihre Erfahrungen hat die heute 48-Jährige autobiografisch aufgearbeitet in dem Buch „An Land kannst Du nicht schwimmen“.
Sie sei mit sich im Reinen, berichtete sie 2019 der Welt, trotz und gerade wegen der Lebenskrise nach dem Sport: „Wenn alles super läuft, gibt es nichts zu hinterfragen, nichts zu kritisieren, nichts zu reflektieren. Wenn ich Hartz IV, die Insolvenz und die schwere Zeit, die damit einherging, nicht erlebte hätte, wäre ich nicht die Sandra von heute.“