Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard fahren bei der Tour de France einmal mehr der Konkurrenz davon - nicht ohne Argwohn auszulösen. In einem Interview mit der französischen Sportzeitung L‘Equipe hat sich Stéphane Heulot, Manager des Teams Lotto-Dstny, hörbar frustriert über die Dominanz der Top-Fahrer geäußert - und offen von „Zweifeln“ an der Sauberkeit der Radsport-Elite gesprochen.
Tour-Stars sauber? Teamchef zweifelt
„Ich habe keine Antwort“, erwiderte Heulot auf die Frage, ob er sich die historischen Rekordzeiten von Tour-Leader Pogacar und auch Vingegaard bei der Bergetappe zum Plateau de Beille am Sonntag erklären könne.
Der Vergleich zu den rund 25 Jahre alten Zeiten von Lance Armstrong, Marco Pantani und Co. sei für ihn dabei weniger das Thema, so Heulot, das sei wegen der sich verändernden Bedingungen immer „kompliziert“. Es sei eher „die Lücke zwischen den Top 10 und dem Rest des Pelotons“, die ihn beschäftige: Da gebe es nämlich „keine großen Unterschiede“ in Bezug auf Ausrüstung, Aerodynamik und Trainingsmethodik.
„Man muss immer zweifeln“, antwortete der frühere Spitzenfahrer schließlich auf die Frage, ob er die Sauberkeit der Topstars bezweifle - nach „langem Schweigen“, wie L‘Equipe vermerkt: „Die Geschichte hat uns das gelehrt, sie wiederholt sich in den Erklärungen, die uns gegeben werden. Wir sind von einer bestimmten Vergangenheit geprägt.“
Heulot meldete schon 2020 Zweifel an Pogacar an
Heulot war selbst in der Hochdopingzeit des Radsports aktiv, bei der Tour 1996, trug er einige Tage das Gelbe Trikot, ehe sich am Ende der inzwischen geständige Sünder Bjarne Riis durchsetzte. Heulot hatte schon bei Pogacars ersten Tour-Sieg 2020 mit offener Skepsis auf den Slowenen geblickt - und auf die belastete Vergangenheit seines Teamchefs Mauro Gianetti verwiesen.
Heulot war einst Teamkollege Gianettis, als der 1998 nach einem Kollaps bei der Tour de Romandie fast starb. Später arbeiteten beide für das Team Saunier-Duval, für das Heulot Kommunikationsdirektor war. Heulot verließ den von Gianetti geführten Rennstall 2007 im Streit, 2008 zerfiel das Team nach dem Dopingfall Riccardo Ricco - den Heulot nach eigenen Angaben vorausgeahnt hatte.
Nun umtreibt Heulot die Frage, wie sich die Rekord-Performances von Pogacar (UAE Emirates) und Vingegaard (Visma Lease a Bike) erklären lassen. Der technische Fortschritt könne es nicht sein, „von dem profitieren alle 150 Fahrer“.
Womöglich seien Pogacar und Vingegaard genetische „Phänomene“, aber: „Hier geht es um die Weltspitze, wie kann es da solche Lücken geben?“ Heulot erinnert in diesem Zusammenhang auch an das Zeitfahren in Combloux im vergangenen Jahr, als Vingegaard 2:51 Minuten und Pogacar 1:13 Minuten vor dem drittplatzierten Wout van Aert lagen: „Das ist eine Art von Dominanz, des Kannibalismus, der an die Merckx-Ära erinnert und die ich so nicht kannte.“
„Ich hoffe, wir sind aus dieser Sch***e raus“
Der beste Fahrer von Heulots Team - Victor Campenaerts aus Belgien - liegt aktuell auf Rang 74 der Gesamtwertung. Nach seiner Schilderung unternehme man dabei alles, um die Ressourcen zu „120 bis 130 Prozent“ auszuschöpfen: „Wir arbeiten mit der Universität Gent zusammen, mit drei Ernährungswissenschaftlern, also sind wir nicht sehr weit von den großen Teams entfernt.“
Auch bei Themen wie Ausrüstung, Aerodynamik-Optimierung oder technologischer Trainingsmethodik mit Hilfe von KI sieht Heulot alle Teams auf hohem Niveau: „Was ich im Radsport in den vergangenen zwei Jahren gesehen habe, hat nichts mehr zu tun mit dem Sport, wie ich ihn vor zehn Jahren verlassen habe.“
Letztlich spricht Heulot keine offenen Verdächtigungen aus - anders als vor vier Jahren, als er Pogacars Sauberkeit noch offener infrage stellte und gar davon sprach, „angewidert“ auf die damals schon außerordentlichen Zeiten des Slowenen zu blicken.
Nun ist Heulot diplomatischer und meidet persönliche Angriffe, äußert am Ende des Interviews aber trotzdem einen allgemeinen Appell: „Ich hoffe, wir sind aus dieser Scheiße raus. Wir müssen über Beweise sprechen und klagen nicht ohne Beweise an. Wollen wir uns nicht vorstellen, dass wir zu dieser Art von Betrug zurückgekehrt sind, das wäre das Ende unseres Sports.“