Mark Cavendish schrie seine schiere Freude hinaus, fiel mit Tränen in den Augen seiner Frau Peta und den Kindern in die Arme - und sämtliche Konkurrenten zollten dem alleinigen Rekordsieger der Tour de France Respekt: Der 39 Jahre alte Brite hat mit seinem 35. Etappenerfolg bei der Tour de France den legendären Eddy Merckx überflügelt und ist beim wichtigsten Rennen der Welt nun selbst zur Legende geworden.
Irres Malheur bei Tour-Rekord
„Das ist unglaublich, ein Traum ist wahr geworden. Ein großer Moment“, sagte Cavendish, nachdem er beim Massensprint der fünften Etappe in Saint-Vulbas souverän triumphiert hatte. Vor 5838 Tagen, am 9. Juli 2008, feierte Cavendish in Chateauroux seinen ersten Tour-Etappensieg. Nun folgte sein 35. Streich - trotz einer Panne am Ende.
Wie die TV-Bilder zeigten, sprang dem Briten auf den letzten Metern seiner Zieleinfahrt die Kette ab. Aber sein Schwung und eine Geschwindigkeit von 69,4 km/h auf der Ziellinie reichten im Kampf um den Etappensieg.
Mit 39 Jahren, einem Monat und zwölf Tagen ist Cavendish der zweitälteste Etappengewinner überhaupt. Nur Pino Cerami war 1963 bei seinem Sieg in Pau mit 41 Jahren, zwei Monaten und drei Tagen älter.
Dabei war Cavendish am Samstag fast schon raus aus der Tour gewesen, nachdem er sich in der Hitze Italiens leidend nur knapp im Zeitlimit ins Ziel gequält hatte: „Da habe ich mich wirklich elend gefühlt.“
Tour de France: Cavendish und die Jagd nach dem Rekord
Schon im Vorjahr hatte Cavendish den Rekord knacken wollen, war aber nach einen Sturz mit gebrochener Schulter ausgeschieden - und verschob sein Karriereende um ein Jahr. Nun gab es das große Happyend, nach dem „Cav“ dem Eritreer Biniam Girmay innig umarmte: Der nämlich hatte ebenfalls Geschichte geschrieben und zwei Tage nach seinem ersten Etappensieg als erster schwarzer Afrikaner auch das Grüne Trikot übernommen.
Am Mittwoch war „Cav“ klar der schnellste Sprinter, setzte sich deutlich vor dem Belgier Jasper Philipsen durch, der im Vorjahr mit vier Etappensiegen und dem Grünen Trikot überragt hatte. Dritter wurde der Norweger Alexander Kristoff.
Dem deutschen Sprinter Pascal Ackermann, der auf der Zielgeraden geführt hatte, ging die Luft aus, er wurde Sechster. „Ich war ganz gut dabei, aber dann kam der Gegenwind durch“, sagte der 30-Jährige. Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) musste sich mit dem 16. Platz begnügen.
Tour de France: Pogacar bleibt in Gelb
Am Tag nach der Schinderei am Galibier ließen es die Favoriten erwartet locker angehen. Der slowenische Spitzenreiter Tadej Pogacar, der die erste Alpen-Etappe gewonnen hatte, verteidigte das Gelbe Trikot ohne große Mühe, hat weiter 45 Sekunden Vorsprung auf den Belgier Remco Evenepoel.
Allerdings hatte Pogacar rund 60 km vor dem Ziel einen Schreckmoment zu überstehen, als er mitten im Peloton wohl nach einer Unaufmerksamkeit einer Verkehrsinsel nur knapp ausweichen konnte und mit einem waghalsigen wie gekonnten Manöver auf dem Rad blieb. „Bei so einem Vorfall kann die Tour ganz schnell zuende sein“, sagte ARD-Experte Fabian Wegmann.
Direkt hinter Pogacar hatte ein gutes halbes Dutzend Fahrer weniger Glück und stürzte, alle konnten aber weiterfahren - auch in der Schlussphase gingen einige Profis zu Boden.
Erst Flachetappe, dann Angriff von Evenepoel?
Nach einer weiteren Flachetappe am Donnerstag steht für die Favoriten erst beim Einzelzeitfahren am Freitag wieder ein neuralgischer Abschnitt an. Dann könnte Evenepoel, der Weltmeister in dieser Disziplin, den Gesamtführenden Pogacar attackieren - mit der Ruhe des Mittwochs ist es dann vorbei.
Auf dem Weg nach Sainbt-Vulbas wurde in der Anfangsphase selbst für Flachetappen-Verhältnisse außerordentlich gebummelt - in der ersten knappen halben Stunde lag der Temposchnitt bei rund 30 km/h. Erst spät trauten sich zwei Ausreißer, die Franzosen Clement Russo und Matteo Vercher, aus der Deckung. Realistische Siegchancen besaßen sie aber nie.